Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Pest und Cholera

Die Kinder feierten gestern wegen Sommerurlaubsvorbereitungen fröhliches Wiedersehen mit ihren Bergstiefeln.

Fräulein Maus: „Wann kann ich die denn mal wieder anziehen? Wann gehen wir denn endlich mal wieder wandern?“

Kleiner Herr Maus: „Aber Fräulein Maus, du gehst doch gar nicht gerne wandern?!“

Fräulein Maus: „Doch! Viel lieber als Skifahren! Skifahren ist so doof!!!“ *

Jedes Jahr das Gleiche.


* Genaugenommen ist sowieso Gymnastik die einzig akzeptable Art sich zu bewegen.


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Palmsonntag 2018

Letztes Jahr kam auf Instagram die Diskussion auf, ab wann die Kinder eigentlich zu alt sind – oder sich zu alt fühlen – um am Palmsonntag als Hexe und Kater verkleidet mit geschmückten Weidenkätzchen um die Häuser zu ziehen.

Ich kann dann jetzt vermelden: mit 12, 9 und 7 sind sie überhaupt erstmal im perfekten Alter dafür angekommen!

Mein Anteil am diesjährigen Palmsonntag bestand nämlich ausschliesslich darin, die Kinder zu einem geeigneten Weidenbusch zu kutschieren sowie Federn, Pfeifenputzer und Klebeband zur Verfügung zu stellen. Verziert haben sie eine Woche lang ganz allein in jeder freien Minute: „Wir müssen unbedingt mehr Zweige machen als letztes Jahr! Letztes Jahr waren nämlich die Zweige alle, bevor wir überall waren, wo wir hinwollten!“ Der Ähämann musste die Verkleidungskiste aus dem obersten Schrankfach herunterreichen und ich zweimal Schnurrhaare und einmal Sommersprossen schminken, und dann zogen sie auch schon los, um erst drei Stunden später mit mehreren Kilo Schokolade – wer soll die bloss essen?! – wiederzukommen.

„Wir haben’s gut!“, sagte der kleine Herr Maus heute beim Frühstück. „Wir können alle deutschen Feste feiern und alle finnischen!“

Und da hat er wohl recht!


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kolmesataayksi

Oder: Was sonst noch so los war in den letzten zwei Wochen:

Vorletzten Donnerstag fuhr ich mit dem Auto auf Arbeit. Ich versuche das normalerweise zu vermeiden, schon deswegen, weil es nahezu unmöglich ist, im Umkreis von einem Kilometer einen Parkplatz zu ergattern. Ich fand dann einen. Dass der nicht die beste Wahl war, stellte ich fest, als ich das Auto noch ein bisschen gerader ausrichten wollte und die Räder auf dem fünf Zentimeter dicken, spiegelblanken Eis auf der ziemlich steilen Strasse einfach nur durchdrehten. (Ich sah innerhalb der letzten beiden Wochen übrigens sehr viele Autofahrer, denen es genauso erging.) Ich liess den Herrn Picasso also schief eingeparkt zurück und hoffte, dass die Sonne während des Tages ihren Dienst tun würde: wenn schon nicht das Eis wegzutauen, es zumindest so weich zu schmelzen, dass ich abends wieder wegkommen würde. Auf den restlichen 800 Metern zur Arbeit zog es dann auch noch mir selbst die Füsse unter den Beinen weg. Der Splitt,der unter meinen Füssen gefehlt hatte, lag da, wo meine – ob der Aufregung und der doch schon recht kräftigen Sonne unbehandschuhte – Hand aufkam. Mit schmerzendem Rücken und einer bluttropfenden Hand kam ich auf Arbeit an und liess mir von der Kollegin erstmal einen Verband anlegen. Die hatte sich ihrerseits meine Ankunft auch anders vorgestellt, denn sie hatte Kerzen angezündet, Kaffee gekocht, Pulla mitgebracht und mir Blumen gekauft – zu Ehren meines ersten offiziellen Arbeitstages mit ordentlichem Arbeitsvertrag. Wenn an der Uni jemand im Lotto gewonnen irgendwelche Fördergelder ergattert hatte, dann war es üblich, dass derjenige für die Kollegen Torte ausgab. Ich habe das nie in Frage gestellt, aber ich sag‘ mal so: es gibt vielerlei Gründe, warum ich mich mit Freuden in die Reihe meiner ehemaligen Mitdoktorandinnen, die inzwischen Kindergärtnerin, Köchin, Krankenschwester… geworden sind und einhellig beteuern, ihre alte Arbeit noch keine Minute vermisst zu haben, einreihe.

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Ich schaffte es am Abend tatsächlich, den Herrn Picasso wieder mit heimzunehmen, ohne warten zu müssen, bis sich in ein paar Wochen das Problem von selbst gelöst hätte. Einmal mehr habe ich dankbar geseufzt über mein Winterfahrtraining.

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Letzten Donnerstag begleitete ich den grossen Herrn Maus – mal wieder, und ein Ende ist auch erst in mehreren Jahren abzusehen – zum Zahnarzt. Während wir an der Ampel neben der Haltestelle warteten, zeigte der grosse Herr Maus hoch zur Uni und sagte bedauernd: „Da gehst du jetzt nie mehr hin!“, woraufhin ich ihm zu seinem Erstaunen entgegnete: „Und das ist auch gut so!“. Ich erklärte ihm ein bisschen meine Beweggründe und war froh, dass er die Sache angesprochen hatte, denn zur Uni schicke ich üblicherweise keine sentimentalen Blicke wie zum Krankenhaus, aber am Fuss der langen Treppe zum Unihügel parkte eine 301, und für die wurde es ja auch wirklich langsam Zeit!

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Am Freitag hatten alle drei Kinder einen Termin bei der Schulschwester zur FSME-Impfung. Ich fuhr mit dem kleinen Herrn Maus gemeinsam zur grossen Schule, Impfstoff im Wert von insgesamt 120 € vorsichtig im Kühltäschchen mit mir führend, und als wir von der Haltestelle zur Schule liefen, hupte es plötzlich hinter uns und die Vorschullehrerin aller unserer Kinder, die wir seit einem Dreivierteljahr nicht gesehen hatten, beugte sich zum Autofenster raus und wollte ein kleines Schwätzchen mit uns halten. „Und grüsst auch den grossen Herrn Maus und das Fräulein Maus von mir, und natürlich auch den Papa!“, sagte sie, als wir weitermussten, und dieser Kindergarten war wirklich unser Dorf und ich werde ihn noch lange vermissen. Sehr lange.

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Meistens lerne ich hier ja bei jeder Gelegenheit noch was Neues – neulich von der Schulschwester zum Beispiel, dass man Warzen auch einfach mit Jeesusteippi behandeln kann – aber am Freitag hat die Schulschwester, die diesen Job bestimmt seit 35 Jahren macht, auch was Neues gelernt – nämlich dass die Etiketten auf den Impfstoffampullen Aufkleber sind, die man abziehen und in den Impfausweis einkleben kann. Bitte, danke, gern geschehen, hat mir meine Jenaer Hausärztin schon vor 20 Jahren gezeigt, den Trick, und unsere Neuvolatante kennt den jetzt auch schon seit ein paar Jahren.

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Hinterher gingen der grosse Herr Maus und das Fräulein Maus in ihre Klassenzimmer zurück, der kleine Herr Maus marschierte zur Haltestelle und fuhr in seine Schule, und ich fuhr weiter ins Stadtzentrum. Dort stellte ich fest, dass nicht nur schon die ersten Kehrmaschinen dagewesen waren, sondern dass auch schon die Theaterbrücke mit Narzissen geschmückt ist. Letzteres finde ich recht gewagt – ich weiss zwar aus eigener Erfahrung, dass diese Narzissensorte gut und gern 10 Grad minus aushält, aber die Nächte werden derzeit durchaus auch manchmal noch kälter. Aber gut, Frühling ist Frühling!

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Die Skier sind trotzdem noch nicht weggeräumt. Wenigstens einen der vorhergesagten sonnigen Ostertage möchte ich nämlich nochmal auf Skiern verbringen, und es sieht durchaus so aus, als ob das – zwar nicht in Turku, aber im nahe- und höhergelegenen Lieblingsskigebiet – was werden könnte. Zu Ostern noch skifahren und zu Vappu dann Picknick im T-shirt, das wäre so meine Idealvorstellung vom finnischen Frühling. (Und gar nicht so selten klappt das auch.)

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Naturgefiltert

Am Wochenende mal den Kindern gezeigt, wo unser Trinkwasser herkommt.

Klein-Lappland ist nämlich nicht nur unser nahegelegenes Lieblingsskigebiet, sondern von dort kommt auch seit sechs Jahren unser Turkuer Trinkwasser.

Das heisst, eigentlich kommt es aus dem Kokemäenjoki, und den hatten wir uns schon auf der Fahrt in die Skiferien angesehen. Also da, wo die Strasse ihn an einer Stromschnelle überquert und der Fluss in der Kälte dampfte und weisse Eisschollen hurtig auf seinem schwarzen Rücken dahindrifteten, denn überall sonst lag er natürlich unter einer dicken Eis- und Schneeschicht verborgen.

Dann aber wird das Flusswasser nach Klein-Lappland gepumpt, wo es in die Sandschichten des Harjus einsickert und zu Grundwasser wird, und nach drei Monaten wird dieses künstliche Grundwasser wieder hochgepumpt und auf die 60 km lange Reise nach Turku geschickt. Weil Klein-Lappland so hoch ist, fliesst es von ganz allein durch die Rohre und kann sogar am Anfang der Reise noch eine kleine Turbine antreiben.

Dieses künstliche Grundwasser ist nicht unumstritten – vor allem, weil dieses zusätzliche Wasser und die Bestandteile des Flusswassers, die im Harju herausgefiltert werden, natürlich das ökologische Gleichgewicht des Harjus verändern – aber ich, in einer Gegend aufgewachsen, in der Trinkwasser grundsätzlich aus Talsperren kommt, finde das Ganze trotzdem höchst spannend.

(Man könnte Wasseruhren einführen hierzulande. Und angemessene Wasserpreise. Dann müsste man nicht immer noch effizientere Wasserquellen erschliessen. Aber ach… das ist schon wieder ein ganz anderes Thema.)

[Den Kindern gezeigt:
1) Wo die Tomaten wachsen
2) Wo die Schnee-LKWs hinfahren]


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Das sind dann jetzt wirklich schon ganz unglaublich viele Kerzen…!

Vorgestern vor zwölf Jahren war übrigens genau das gleiche Wetter wie heute: Sonne und Schneetreiben wechselten sich ab. Heute stieg ich aber nicht am Krankenhaus aus – ja, ich bin die, die mit dem Bus zur Entbindung ihres ersten Kindes fuhr – sondern schickte nur einen sentimentalen Blick auf die andere Strassenseite.


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Eis

Gestern Abend hatte das Fräulein Maus ein Konzert im Konservatorium. Der Ähämann fragte- schliesslich musste ja sowieso eine Harfe transportiert werden – ob er mich von Arbeit abholen und hinfahren solle. Ich aber wollte viel lieber laufen, den ganzen Weg am Fluss entlang.

Aus Gründen.

(Auf den Strassen und Fusswegen sieht es übrigens nicht viel anders aus als auf dem Fluss.)

Sogar die Föri hat Eispause. Man kann dann jetzt zu Fuss über einen extra angelegten Steg den Aurajoki überqueren.

(Das gab es zuletzt 2011!)


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Ein Frei-tag

Freitags habe ich in diesen Wochen frei.

Es ist nämlich so, dass die Mühlen der deutschen Bürokratie auch in Finnland sehr langsam mahlen und ich deshalb gerade keinen Arbeitsvertrag habe und nur aushelfe im Hort.

Aber Frei-tage sind ja auch sehr schön und haben bei uns schon eine lange Tradition.

Nur, während wir den letzten Frei-tag(nachmittag) für einen mehrstündigen Schwimmhallenbesuch nutzen konnten, verbringe ich diesen Frei-tag mit zwei kranken Kindern zu Hause.

Ausserdem habe ich Hausaufgaben und vertiefe mich den ganzen Nachmittag lang in den finnischen Lehrplan. Der finnische Lehrplan ist ein 473 Seiten dickes Werk, in dem nicht nur sämtliche Unterrichtsinhalte für die Klassen 1 bis 9 festgeschrieben sind, sondern auch das Recht der Schüler auf individuelle Förderung und Forderung und positive Lernerfahrungen, auf Hilfe und Unterstützung, wenn sie nötig ist, auf Pausen, auf kostenlose Lernmittel und ein kostenloses Mittagessen, auf eine sichere und gesunde Lernumgebung, auf physische und psychische Gesundheitsvorsorge, auf Achtung ihrer Kultur und Muttersprache, auf Wertschätzung und Gleichbehandlung und darauf, nur an ihrem individuellen Lernerfolg gemessen zu werden und nicht an dem anderer Schüler. Ich habe Herzchenaugen beim Lesen; auch deswegen, weil ich an unseren drei Schulkindern erlebe, dass das alles nicht nur hohle Worte sind.

Das Fräulein Maus leistet mir am Esstisch Gesellschaft mit ihrer Religionshausaufgabe – etwas über eine Kirche und einen Altar in Finnland sowie eine Kirche und einen Altar irgendwo anders auf der Welt – und wegen des zweiten Teils helfe ich ihr ein bisschen beim Recherchieren über die Dresdner Frauenkirche (ihr Vorschlag) und den Annaberger Bergaltar (mein Vorschlag, von ihr begeistert angenommen). Heimatkunde.

Der Frei-tagabend endet mit einem Kicherkrampf des grossen Herrn Maus; der ist dann wohl wieder gesund.

Und nächsten Freitag stehe ich dann hoffentlich – denn das ist zumindest der Plan – schon offiziell bei der Deutschen Gemeinde in Lohn und Brot.


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Mit dem Boot zum Gottesdienst

Ausser der Sache mit der Koiramäki-Kirche hat sich dabei auch noch ein anderes Mysterium aufgeklärt: was es mit den Kirchbooten auf sich hat, nämlich.

Ich habe hier schon oft welche gesehen – auch in meinem finnischen „Heimatort“ wird im Sommer ein altes Kirchboot rausgeholt und feierlich von zwanzig Männern über den See und durch die Stromschnelle gerudert – aber so richtig klar war mir die Verbindung von „Boot“ und „Kirche“ bisher nicht.

Bis wir eben die Koiramäkikirche und eine andere, nur ein paar Kilometer entfernte und tatsächlich noch ganz alte Kirche besuchten.

Beide liegen weitab vom nächsten Ort, auf Halbinseln im See sich zum See ausgebreiteten Fluss. Damit sie sicher vor Angriffen waren, damals, vor 500 Jahren.

Und deshalb ruderten die Kirchgänger dann sonntags gemeinsam in grossen Booten zum Gottesdienst.

Also zumindest in der Zeit im Jahr, in der sie nicht einfach mit dem Pferdeschlitten übers Eis fahren konnten.