Bis vor ein paar Jahren noch hätte ich ja Stein und Bein geschworen, dass es in Finnland keinen Rassismus gibt. Okay, ja, vielleicht in der Haupstadtregion. Okay, ja, den Artikel über den angegriffenen iranischen Busfahrer habe ich auch gelesen. Okay, ja, ich weiss, dass die Ghettos Stadtteile, in denen besonders viele Ausländer wohnen, keinen besonders guten Ruf haben.
Aber ich bin ja nun selbst auch Ausländer. Hat mich das jemals jemand spüren lassen?
Ich finde ja, in Finnland hat man es als Ausländer ziemlich gut:
Von Anfang an haben alle bereitwillig Englisch mit uns gesprochen, auf Ämtern füllten wir englische Formulare aus, meine Kontoauszüge kamen jahrelang auf Englisch in den Briefkasten geflattert. (Und wir wurden stets überschwänglich für unsere radebrechenden Versuche auf Finnisch gelobt.) Bei Bedarf hat sogar jeder Ausländer Anrecht auf einen (kostenlosen) Dolmetscher für seine Muttersprache für Behördengänge, Arztbesuche, Entwicklungsgespräche im Kindergarten… so Sachen.
Nie (nie!) ist mir irgendjemand mit dem Vorschlag gekommen, doch zu Hause mit den Kindern Finnisch zu sprechen, damit sie später in der Schule mitkommen. (Und ehe jetzt jemand stirnrunzelnd fragt: ”Warum sollte das jemand tun?!”, dann denke man mal kurz an die Türken in Deutschland und was denen so ungefragt geraten wird.) Im Gegenteil, die eigene Muttersprache wird hier als so wichtig angesehen, dass sie sogar jedem Schulkind zwei Stunden pro Woche zusätzlich unterrichtet wird. Andererseits werden Kinder, die zu Hause nicht Finnisch sprechen, schon im Kindergartenalter regelmässig gefördert. Auf dem Stundenplan des Fräulein Maus steht nicht ”Finnisch” (sprich: ”Muttersprache”), sondern ”Finnisch als zweite Sprache”. Die meiste Zeit des Unterrichts ist das nichts als eine Formalität – sie lernt genau wie ihre finnischen Mitschüler finnisch lesen und schreiben – aber ein, zwei Stunden pro Woche übt sie in einer Kleingruppe mit ihren estnischen, iranischen und spanischen Mitschülern.
Jeder Ausländer bekommt die Chance, einen kostenlosen ”Integrationskurs” zu besuchen, in dem hauptsächlich die Sprache gelehrt wird, aber z.B. auch, wie man mit einem Computer umgeht, wie man sich bewirbt, was man über Land und Leute wissen sollte.
Es gibt in den Schwimmhallen wöchentliche Schwimmzeiten nur für Frauen (zu denen auch nur weibliches Personal anwesend ist) und nur für Männer (wo dann auch nur männliches Personal anwesend ist), damit auch die schwimmen gehen können, denen das wichtig ist.
Ausländer sind auch ohne finnischen Pass bei Kommunalwahlen wahlberechtigt.
…
Aber wie sieht es ausserhalb der staatlich verordneten Ausländerfreundlichkeit aus? In den Köpfen der Menschen?
Dieses ganze Ausländerdingens, das es in Deutschland schon seit einem halben Jahrhundert gibt, ist hier ja ziemlich neu. Ausländer? Ja, da ist doch dieser Mann im Nachbarort, der mit einer Deutschen verheiratet ist… Und dieser eine Brite, der schon seit zwanzig Jahren hier lebt… So war das lange. Die ersten wirklich ernstzunehmenden Migrantenmengen kamen in den 1990ern, als Finnland eine grosse Zahl Bürgerkriegsflüchtlinge aus Somalia aufnahm. (Und dann kamen auch Bosnier, Kosovo-Albaner, Kurden, Iraner.)
Wenn man einen Finnen nach ”Ausländern” fragt, dann denkt er vermutlich zuerst an die. Nicht an uns. Denn wir fallen ja eher in die Kategorie Luxusausländer. Als EU-Bürger ist man ja kaum einer. Noch dazu kam ich mit einem Job nach Finnland, nicht als Flüchtling. Und als Deutscher darf man sich sowieso eher noch in einer eher zweifelhaften Bewunderung für sein Heimatland sonnen – nicht selten sind wir gefragt worden, warum wir denn ausgerechnet als Deutsche ausgerechnet nach Finnland gekommen sind, und das auch noch gern und aus freien Stücken…
Kein Wunder, dass wir nie mit Rassismus konfrontiert wurden.
Nie?!
Und der Nachbar, der uns regelmässig Belehrungen gutgemeinte Ratschläge angedeihen lässt, die er üblicherweise mit den Worten ”Bei uns in Finnland ist es üblich, dass…” einleitet?!
Und die Personalchefs, die dem Kollegen des Ähämanns bei gleicher Qualifikation nach nur einem Jahr eine Festanstellung anboten, auf die der Ähämann fünf Jahre warten musste?!
Ausnahmen, ja. Kleinigkeiten, ja.
Aber Kleinigkeiten, die wehtun. Anderen auch.

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