
Noch fünf Stunden, bis wir in Rovaniemi das Auto für die Rückfahrt in den Zug laden müssen.
Das mökki ist geputzt. J-FI ist gepackt. Die Schweinchen sitzen schon in ihrer Transportkiste.
Draussen sind -30 Grad. J-FI hängt schon die ganze Nacht an der Steckdose. Dann wollen wir ihn mal starten und wenigstens ein bisschen warmlaufen lassen, bevor wir die Schweinchen hineinsetzen. Sonst machen wir das nicht, aber -30 Grad sind Ausnahmezustand.
Unseretwegen hätte es auch noch kälter sein können. Die Welt ist still, wie in Watte gepackt. Der Schnee knirscht unter den Füssen. Mein Anorak knistert beim Laufen. Die Sonne leuchtet mittags um zwölf orange durch’s Unterholz.
Im mökki war’s die ganze Zeit warm. Die elektrische Heizung haben wir runtergedreht, weil es viel schöner war, mit dem Kamin zu heizen. Wir haben bestimmt einen ganzen Baum verbrannt in der Woche, aber wir hatten es immer warm. Autogefahren sind wir nur ein Mal. Warum auch, wenn die Loipe direkt vor der Haustür beginnt. Die an den langen Abenden geschriebenen Briefe können wir auch auf der Heimfahrt in einen Briefkasten werfen. Was macht es, ob sie drei Tage später ankommen.
Also, lassen wir mal den J-FI an. *wiuwiuwiu* *krrr* *krrrr* Aus. Bei -30 Grad hat man genau einen Versuch, mehr schafft die Batterie nicht. Der Ähämann fängt an zu fluchen. Aber ich weiss was. Sowas ist kein Weltuntergang. Nicht in Finnland. Und ob wir den J-FI zum Laufen kriegen werden! Und ob wir pünktlich in Rovaniemi sein werden! Gib mir mal das Telefon!
Ich sehe Risto vor mir, wie er unermüdlich einen Winter lang die Stationsladas, Autos von Stipendiaten und die völlig ungeeigneten Autos von ausländischen Besuchern, denen man in der Autovermietung in Helsinki eins ohne Spikereifen und Motorheizung angedreht hat, wieder zum Laufen bringt. Wie mindestens einmal pro Woche ein Auto im „esikäsi“ steht, Motorhaube auf und an der Batterie diese riesigen roten und blauen Klemmen. Wie die Techniker grinsend zu dritt losziehen, um den Lada zu holen, den ich im Schnee hinter der Holzfabrik festgefahren habe. Wie Janne mit einem riesigen Schraubenschlüssel auf die Räder des blauen Ladas einschlägt, als das Auto nicht richtig in Gang kommen will, als wir von meinen Mäusegehegen zurückfahren wollen, und mir, die ich mich gerade frage, was zum Teufel er da eigentlich tut, erklärt, die Räder wären vereist, und er würde das Auto dann mal über Nacht ins „esikäsi“ zum Auftauen fahren. Und wie dann das Auto nicht nur im Warmen stand, sondern auch gleich noch die Batterie zum Laden angeklemmt war und die Fussmatten zum Trocknen ausgebreitet.
Also, gib mir mal das Telefon! Zufällig ist nämlich der huoltomies, der sich um das mökki kümmert, ein sehr, sehr netter Mensch und ausserdem noch Taxifahrer, der uns jedes Mal bei Urlaubsantritt beschwört, seine Telefonnummer gleich ins Handy einzuspeichern und jederzeit anzurufen, wenn es ein Problem gibt. „Joo, joo, kein Problem, ich komm’ gleich mal hin!“ Fünf Minuten später ist er da, Starthilfekabel und so ein tragbares Ladegerät dabei. „Seid ihr wohl die ganze Woche nicht gefahren? Ihr solltet euch überlegen, euch eine stärkere Batterie zuzulegen. Alt ist die ja noch nicht, aber bei diesen Temperaturen… Wir hatten übrigens -40 Grad bei uns in Torvinen gestern früh. Mist, ich bekomme den Kontakt nicht hin. Das ist alles eingefroren. Ich bau’ die Batterie mal aus.“ Trägt sie ins mökki und duscht sie heiss ab. Dem Ähämann wird es ob dieser Methode wahrscheinlich auch ganz heiss, aber ich, ich weiss, dass man bei derlei Angelegenheiten Finnen bedenkenlos vertrauen kann. Der huoltomies trägt sie wieder zum Auto, setzt sie ein, sagt: „Ich brauch’ da einen speziellen Schraubenschlüssel, um sie wieder festzuschrauben. Ich fahr’ den mal schnell holen. Setzt euch derweil ins Warme, und die Batterie lassen wir noch ein bisschen laden.“ Nach fünf Minuten kommt er wieder. Die Batterie ist wieder ordnungsgemäss eingebaut. „Nun versuch mal zu starten!“ *wiuwiuwiu* Nee. Zwar hat die Batterie genug Kraft, aber es tut sich trotzdem nichts. Hm. Huoltomies wundert sich. Fingert am Motor rum. „Der ist ja ganz kalt!!! Habt ihr den nicht vorgeheizt?“ „Doch, die ganze Nacht!“ Mistmistmist! Von wegen das Auto immer mal bewegen! Von wegen Batterie zu schwach! Unsere Motorheizung ist kaputt!!! „Na gut, ich lass die Batterie mal am Ladegerät. Versuch nochmal zu starten. Und gib viel Gas dabei!“ *wiuwiuwiuwiuwiu* Nee. Huoltomies schraubt irgendwas ab. „Versuch nochmal. Aber ohne Gas. Ich mach’ das mal selber.“ *wiuwiuwiu* „Nochmal!“ *wiubrwiubrwiubrwiu* Klingt schon besser. Aber so wird das trotzdem nichts. Huoltomies schraubt die Luftleitung ab, guckt rein, denkt nach. „Geht mal wieder ins Warme! Ich hole mal noch was.“ Kommt nach fünf Minuten wieder. „So, versuch’s jetzt nochmal. Mit Gas.“ Der Ähämann dreht am Zündschlüssel und gibt hoffnungsvoll Gas, der huoltomies hält eine Spraydose in der Hand und sprüht daraus kräftig in die Luftleitung, J-FI stösst eine riesige schwarze Wolke aus – und läuft! Wir stehen staunend vor der Wunderdose und fragen, was das denn ist. „No, starttipilotti!“ Selbstverständlich! Wie wir das nicht wissen können! ;-) Huoltomies packt das Ladegerät zusammen, schraubt die Luftleitung wieder fest, ruckelt nochmal an der Batterie, ob die auch wirklich wieder richtig eingebaut ist, erzählt uns nebenher, sein neues Taxi hätte er in München gekauft, und dann wäre er den ganzen Weg zurückgefahren, über Leipzig und Berlin nach Hamburg, und dann nach Dänemark… „Fähre?“, fragt er auf meine Einwurf, „Nee, ich fahr’ gern Auto! Fähre dauert viel zu lange. Nee, ich bin den ganzen Weg selber gefahren. Über Dänemark und durch Schweden. 3500 km sind das bis zu uns hier oben!“, setzt er stolz hinzu. „So, nu’ is’ alles wieder in Ordnung. Ich hab’ alles wieder festgeschraubt. Kommt gut nach Hause! Und kommt dann mit dem Baby mal wieder her!“ Winkt unsere Dankesbezeugungen ab, setzt sich in sein Taxi und braust davon. Wir lassen J-FI noch zehn Minuten laufen, dann laden wir die Schweinchen ein und machen uns auch auf den Weg. „So ne Aufregung!“, sagt der Ähämann, „Ich sah mich schon fast den Abschleppdienst von der Lähi anrufen.” ”Ich nich’. Ich hab’ keine Sekunde gezweifelt, dass so ein Finne unser Auto schon wieder zum Laufen kriegt.”