Am Morgen musste ich sämtliche Wollsachen wieder aus den Schränken holen. Beschisswetter vom Feinsten. Auch die Bäume zittern in ihren zartgrünen Spitzenkleidern.
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Kurz nach dem Vesper hatten wir einen halbstündigen Stromausfall im Hort, weil – so erfuhren wir später – ein LKW im nahegelegenen Strassentunnel von der Fahrbahn abgekommen war und dabei Stromkabel einer ebenfalls im Tunnel befindlichen Verteilerstation herausgerissen hatte. Man sollte meinen, dass wir nach dem Winter, in dem uns wöchentlich prophylaktische Stromsperren angedroht worden waren, vorbereitet gewesen wären – ich hätte damals gern irgendwelche hübschen Akkulampen für die fensterlosen Toiletten gekauft, was aber leider im Budget nicht vorgesehen war – allerdings war dann keine Taschenlampe auffindbar. Streichhölzer, Kerzen und eine Laterne aber fanden sich dort, wo ich sie zuletzt hingeräumt hatte. Es mussten dann plötzlich sehr viele Kinder sehr dringend aufs Klo.
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Nachrichten hätte ich mal lieber nicht gelesen. Kurz nach 14 Uhr verkündete der Wahlsieger, was wir seit vier Wochen geahnt und befürchtet hatten: man werde mit den Rechten Perussuomalaiset, der Partei der Finnlandschweden und den Christdemokraten – mit denen verglichen die deutsche CDU eine linksradikale Partei ist – Koalitionsverhandlungen führen. Es wird die rechteste Regierung werden, die Finnland je hatte. Prost Mahlzeit.
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Nach der Arbeit traf ich mich mit dem Ähämann beim Georgier, denn wir hatten Ausgehabend und fingen ihn angesichts unserer finnisierten Mägen im Restaurant an statt ihn, wie wir das früher gemacht hätten, dort zu beenden. Währenddessen radelte der kleine Herr Maus zur Vappudisco in der Schule, das Fräulein Maus traf aus Köln wieder ein und wurde netterweise von der befreundeten Deutschlehrerin heimgefahren, und der grosse Herr Maus hielt zu Hause die Stellung, um nicht nur der grossen Schwester die Tür zu öffnen, sondern auch dem besten ehemaligen – bald wieder derzeitigen! – Schulfreund des kleinen Herrn Maus, der versprochen hatte, das kaputte Modellflugzeug des kleinen Herrn Maus abzuholen und zusammen mit seinem Vater zu reparieren.
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Mit vollgefressenen Mägen radelten der Ähämann und ich zum Konzerthaus.
Ich kann alle sechs Teile von Smetanas „Mein Vaterland“ quasi mitsingen, habe es aber noch live gehört.
Deshalb wusste ich auch nicht, dass man dafür zwei Harfen im Orchester braucht. Die erste Harfe spielte die ehemalige Lehrerin der ehemaligen Harfenlehrerin des Fräulein Maus; sie guckte, als die Leute schon in den Saal strömten, kurz vom Stimmen auf, erspähte uns im noch spärlichen Publikum und winkte uns erstmal zu, und ich musste daran denken, wie das Fräulein Maus vor ein paar Jahren mit ihrer Klasse zu einem Schulkonzert gewesen war, bei dem man während des Konzerts im Orchester rumlaufen und den Musiker*innen über die Schulter gucken durfte, und es auch damals grosses Hallo zwischen der Harfenistin und dem Fräulein Maus gegeben hatte und sie dem Fräulein Maus in einer Pause gleich mal noch was zeigte, worüber sie Monate vorher zufällig mal gesprochen hatten. Auch die zweite Harfe kannten wir; das Fräulein Maus und sie hatten ein paar Jahre lang nämlich die selbe Lehrerin und sahen sich zu Gruppenstunden und auf Konzerten und haben schon zusammen gespielt, da konnte das Fräulein Maus gerade mal mit einem Finger an zwei oder drei verschiedenen Saiten zupfen. (Ja, das ist alles ein einziges grosses Dorf hier.)
Es war jedenfalls sehr, sehr schön, und als der letzte Teil zu Ende war, hätten sie meinetwegen gleich nochmal von vorn anfangen können.
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Im Abendsonnenschein radelten wir heim.
Das Fräulein Maus hatte fünf Streuselschnecken und einen halben Koffer voller unverzichtbarer Dinge aus Köln mitgebracht.
Ausserdem ist sie einen halben Meter gewachsen und sich jetzt sicher, dass sie in Deutschland studieren möchte. „Die sind da alle so wie ich…!“ sagte sie ebenso erstaunt wie glücklich. („Naja, Schule war nicht so toll. Und in Köln ist es furchtbar dreckig. Aber ich habe in den sechs Tagen mehr Freundinnen gefunden als in meiner ganzen Schulzeit. Und so viel gelernt!“) Bis kurz vor elf guckten wir noch Fotos.
(Zum Glück mussten wir uns danach nur für einen Schul- und Arbeitstag aus dem Bett quälen und können jetzt drei Tage lang ausschlafen.)