Urlaubsplanung mit Kindern.
Ob wir in den Skiferien mal wohin fahren könnten, wo es warm ist. Mal woandershin als ins Baltikum.
Der Ähämann recherchierte, bis wohin wir mit dem Zug in einer Woche hin und zurück kämen und sagte: „Wir könnten zum Beispiel nach Lyon fahren. Oder nach Zagreb. Oder wir könnten nach Lissabon fliegen.“ (Da war er schon mal auf Tagung, hat aber damals nicht viel von der Stadt gesehen.)
„Ja, fliegen!“, leuchteten drei Paar Kinderaugen, vor allem die des kleinen Herrn Maus, der sich gar nicht mehr an seinen letzten Flug erinnern konnte, weil wir vor zehn Jahren das letzte Mal alle gemeinsam geflogen sind.
Vier Wochen vor Ferienbeginn hatten wir ein Reiseziel.

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Jede Reise beginnt auf dem Meer.
Sogar für Flugreisen wohnen wir, wie die Finnen zu sagen pflegen, hinter Gottes Rücken: von Stockholm zu fliegen kostet nur halb so viel wie von Helsinki, und so begann auch diese Reise, wie alle unsere Reisen beginnen: mit einer Fährüberfahrt.

In Stockholm war echtes Beschisswetter, und so zitterten wir uns nicht nur früh halb sieben vom Hafen zum ersten geöffneten Café, sondern auch von einem sehr ausgedehnten zweiten Frühstück über einen spontanen Regenjackenkauf für den schon wieder gewachsenen grossen Herrn Maus sowie ein ausgedehntes Mittagessen zum Bahnhof, von wo wir mit Pendeltåg und Bus zum Flughafen fuhren. Brrrrr.



Nach immer noch vier Stunden bis zum Abflug und weiteren vier äusserst langweiligen Stunden Flug durch die Nacht – wenigstens hatte ich ein gutes Händchen bei der Buchauswahl für die Reise gehabt – wurden wir endlich für die Bibberei entschädigt: in Lissabon war es nachts um elf noch so warm, dass wir nicht nur Mützen und Handschuhe, sondern auch sämtliche Jacken direkt in die Rucksäcke stopfen konnten. Sogar über dem Kerosingeruch des Flughafens roch es ganz deutlich nach Sommer, und als wir eine halbe Stunde später der Metro entstiegen, fühlte es sich wirklich nach Sommernacht an. Hach.

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Ferienwohnung mit Aussicht. Und Infrastruktur.
Halb eins – nach unserer inneren Uhr bereits halb drei – hatten wir endlich im Bett gelegen. Als wir ziemlich ausgeschlafen aufwachten, war es erst um neun: Zeitverschiebung ist manchmal gar nicht so schlecht. Dann zog ich die Rollläden im Schlafzimmer hoch, und mein Blick fiel als erstes auf vier Bäume voller Zitronen und Apfelsinen im Hinterhof. Völlig unwirklich.


Auf der anderen Seite guckten wir auf eine sehr breite Strasse mit sehr tollem Radweg und Fusswegen, die kilometerlang mit Mustern aus weissen und schwarzen Pflastersteinen versehen waren.


An dieser sehr belebten, aber völlig touristenfreien Strasse reihte sich Minimarkt an Obstladen an Frisör an Haushaltswarenladen an Café an Waschsalon an Bäckerei an Kebabstand. Der Ähämann ging uns jeden Morgen Frühstück kaufen und erstmal im Café nebenan einen Espresso trinken, jeden Abend suchten wir, bevor wir heimwankten, den kleinen Supermarkt auf und den Obsthändler, der die Namen der Früchte auf Chinesisch in den Kassencomputer tippte. Unter der Strasse fuhr die Metro; die nahmen wir, wenn wir Grösseres vorhatten oder fusslahm waren, aber meistens liefen wir, weil es bis ins Stadtzentrum auch nur einen reichlichen Kilometer war.



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65 300 Schritte.
Apropos laufen. Lissabon ist nicht nur die perfekte Stadt für Leute, die gern laufen, sondern vor allem für Leute, die gern bergsteigen. Wir liefen treppauf und treppab – der kleine Herr Maus allerdings ging schnell dazu über, treppab die Geländer herunterzurutschen – hügelauf und hügelab, enge Gässchen hoch und wieder runter, von Metrostationen zu Strassenbahnhaltestellen, und, seit wir am zweiten Tag da gewesen waren, fortan jeden Abend noch auf unseren Lieblingsaussichtsplatz.









Das Allerseltsamste war, durch eine Stadt zu laufen, wo im Februar bei frühsommerlichen Temperaturen Palmen, Bananenstauden, Apfelsinenbäume voller reifer Früchte, Araukarien und andere immergrüne Bäume neben noch kahlen, blätterabwerfenden Baumarten stehen.

Ich lief vier Tage lang mit der Flora-incognita-App in der Hand rum und hielt die Kamera auf rosa Blüten, handtellergrosse Blätter und seltsam gemusterte Baumstämme.

Ein Florettseidenbaum. Möchte kein Eichhörnchen drauf, auf den.


















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Fliesenliebe.
Als wir im Studium auf Exkursion in Tunesien waren, habe ich mich in die bunten Fliesen verliebt, die dort an jeder Strassenecke verkauft wurden. Man kann sich also vorstellen, dass ich in Lissabon vier Tage lang vor Freude gequietscht habe.











(„Billiger und einfacher zu beschaffen als Ziegel“ , das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen…!)
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Öffentlicher Nahverkehr.
Lissabon ist so eine Art Paradies für Leute, die Schienenfahrzeuge mögen.
Es gibt keine App für den Nahverkehr, aber man kann an den Fahrkartenautomaten in den Metrostationen für 50 cent eine Karte erwerben, die man beliebig oft mit Einzelfahrten oder 24-Stunden-Tickets aufladen kann. Das billigste 24-Stunden-Ticket kostet 6,60 € und gilt für sämtliche Strassenbahnen, Standseilbahnen, Aufzüge und die Metro, das teuerste kostet 10,70 € und gilt zusätzlich auch noch für die Fähren und den Pendelzug, mit dem man zum Beispiel ins 30 km entfernte Cascais an den Strand fahren kann. Ein Schnäppchen, vor allem, wenn man bedenkt, dass allein einmal mit einem Schrägaufzug hoch und wieder runter fahren 3,80 €, also den Preis von zwei Einzeltickets, kostet. (Oder wenn man auf der vorherigen Reise in Venedig war und die Preise für ein 24-Stunden-Vaporetto-Ticket kennt.)

Die Lissabonner Metro ist wie jede Metro sehr toll, aber superlaut. Man versteht in den Stationen, wenn eine einfährt, sein eigenes Wort nicht mehr und in den Waggons die Ansagen nicht; da, wo wir wohnten, befand sich auf beiden Strassenseiten ein grosser Belüftungsschacht, wenn da gerade eine Metro untendrunter langfuhr, dachten wir, in der Nähe startet ein Flugzeug. Vielleicht liegt es daran, dass sie nur einen Tunnel statt zwei getrennter hat und es darin besonders laut schallt, und die Siemens-Waggons aus den 1990ern erschienen mir auch weitaus rumpeliger als die sowjetischen Modelle aus den 1970ern, die bis heute in osteuropäischen Haupstädten fahren. Wir benutzten die Metro jedenfalls ausgiebig, um schnell von A nach B kreuz und quer durch die Stadt zu gelangen.



Weil Lissabon auf hohe Hügel gebaut ist, gibt es mehrere Schrägaufzüge. Sie fahren im Prinzip ganz normale Strassen entlang, die Zugseile und Rollen sind unter der Strasse versenkt, so dass auch Autos und Fussgänger auf der Bahnstrecke fahren und laufen können. Genial.




Die Aufzüge sind unter Touristen unterschiedlich beliebt bekannt. Am ersten mussten wir eine ganze Weile anstehen. Mit dem zweiten wollten wir spontan runter und wieder hoch fahren, aber als wir unten die Warteschlange sahen, beschlossen wir, es mit dem Runterfahren gutsein zu lassen und einfach wieder hoch zu laufen.

Der dritte, hatte ich gelesen, sei am wenigsten touristisch. Ich hatte so meine Zweifel, als wir durch unheimliche Menschenmassen, eine Strasse entlang, an der sich Souvenirladen an Souvenirladen und internationale Klamottenkette an internationale Klamottenkette reihte, in die Richtung liefen. Aber 100 m vor der Haltestelle waren plötzlich alle Leute um uns rum verschwunden, und zehn Minuten später fuhr der Aufzug für sieben Passagiere, uns eingeschlossen, nach oben.



Ausserdem gibt es einen Fahrstuhl zwischen Unter- und Oberstadt, den man ebenfalls mit einer normalen Nahverkehrsfahrkarte benutzen kann. Pro-Tipp: von oben nach unten fahren. Unten standen 200 Leute an, oben fünf.



Die berühmten gelben Strassenbahnen lösten bei mir einen akuten Anfall von Sentimentalitis aus: in meiner Geburtsstadt hatte es bis 1988 noch auf einigen Strecken ein ganz ähnliches Modell gegeben, mit Holzsitzen und funzeligen Lampen, das knarzend und quietschend über die alten Schmalspurschienen holperte, und ich habe „die Rumpel“, wie sie genannt wurde, als Kind sehr geliebt.


In Lissabon haben die Strassenbahnen ausserdem eine besonders schöne Streckenführung, vor allem die beiden Linien, die hügelauf, hügelab durch die engen Gassen von Graça und Alfama rumpeln. Statt mit der 28, die in jedem Reiseführer erwähnt wird, sollte man allerdings lieber mit der 12 fahren: an der Anfangshaltestelle der 28 hatte sich eine 100 m lange doppelte, bisweilen auch drei- oder vierfache, Warteschlange gebildet, während an der gleichen Haltestelle nicht mehr als zehn Leute mit uns in die 12 stiegen.







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Atlantikwellen.
Teile der Familie hatten sich – wenn schon „Ski“ferien im Süden, dann richtig! – einen Ausflug an den Strand gewünscht, und so setzten wir uns am letzten Tag in einen Zug und anschliessend noch in einen Bus und fuhren zum Strand.

Leider hatte uns inzwischen das Beschisswetter aus Stockholm eingeholt. Andererseits sorgte der starke Wind für tolle Wellen, die sogar dem kleinen Herrn Maus so viel Respekt einflössten, dass er freiwillig nicht weiter als bis zu den Knien ins Wasser ging. Und unsere Vitamin-D-Speicher waren hinterher sicher auch erstmal wieder voll, ganz ohne Tabletten.






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Zurück in den Winter.
Andere Sprachen, andere Namen. Oder: Wo ich schon immer mal hinwollte. ;-)

Der Rückflug war nicht ganz so langweilig, weil er immerhin zum grössten Teil im Hellen stattfand. Wir sahen Schnee in Spanien – „Mama, was ist das? Das sieht aus, als hätte da jemand Mehl hingestreut“ – und die Ausläufer der Pyrenäen und die Kinder guckten mit offenen Mündern Flugzeugen hinterher, die uns entgegenkamen oder kreuzten. (Vor uns sass eine schwedische Familie – Mutter, Vater, vielleicht sechsjähriges Kind – sie hatten den ganzen Flug über das Rollo an ihrem Fenster runtergezogen und das Kind guckte vier Stunden lang irgendwelche Animationsfilme auf dem Tablet. Ja, kann man machen. Muss man aber zum Glück nicht.)

Nachdem wir mit anderthalb Stunden Verspätung in Stockholm gelandet waren, passierte dann noch Folgendes:

(Reisetagebuchillustration vom grossen Herrn Maus.)
Irgendwann mache ich mal eine Liste der lustigsten Ansagen, und neben „Wir müssen ein Rohr wechseln“ und „Weisst du, wo der Zug ist?!“ wird diese auch dabei sein.
Zum Glück hatten wir es nicht eilig, denn Fliegen, ich wiederhole mich, ist überhaupt nicht schnell, denn es besteht hauptsätzlich aus Herumsitzen und Warten.
Wir wären gern wieder mit der Fähre zurück nach Turku gefahren, aber die Abendfähre hätten wir nicht geschafft und die Morgenfähre hätte noch eine Übernachtung in Stockholm bedeutet, und so begaben wir uns für weitere zwei Stunden Warterei an das entfernteste Gate des Flughafens, vor dem das zu dem Zeitpunkt vermutlich kleinste Flugzeug auf dem ganzen Flughafen im Finstern stand und darauf wartete, uns später in nur 40 Minuten nach Turku zu bringen. Immerhin hatten wir während der Wartezeit beste Sicht auf die Startbahn – wir sahen unter anderem, wie unser Flugzeug zurück nach Lissabon flog, ein riesiger Airbus nach Addis Abeba startete und ein DHL-Flugzeug nach Leipzig – und guckten zu, wie mehrere grosse Flugzeuge über den Flughafen rangiert wurden, wie Einkaufswagen auf dem Supermarktparkplatz.
0:10 Uhr landeten wir in einem tiefverschneiten Turku und schlitterten in unseren Turnschuhen über das vereiste Rollfeld zum Terminal. Die Dreiviertelstunde Wartezeit, bis auch das Flugzeug aus Helsinki und das aus Riga eingetroffen waren und der letzte Stadtbus abfuhr, vertrieb uns der kleine Herr Maus mit einem kleinen Klavierkonzert.

Halb zwei stiegen wir am Markt in die Nachtbuslinie, die in unseren Stadtteil fährt, um zwei waren wir zu Hause. Zwölf Stunden später stiegen der Ähämann und ich an der Lieblingsloipe auf unsere Skier.