Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Ostern 2024

Es lohnt sich kaum, für die vier Tage, die die Finnen Osterferien nennen, wegzufahren. Es lohnt sich aber doch, denn so fühlt es sich wenigstens ein bisschen wie Ferien an, und wir taten, was wir immer tun bei solchen Gelegenheiten: wir fuhren nach Südosten.

Tartu ist dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt, wovon aber (noch) fast nichts zu merken ist.

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Ferienwohnung mit Aussicht.

Es ist nicht mehr so einfach wie zu Pandemiezeiten, aber der Ähämann, der immer alle unsere Reisen organisiert, hat trotzdem ein Händchen für Ferienwohnungen mit Ausblick. Es wäre noch schöner gewesen, wenn es nicht dreiviertel der Zeit grau gewesen wäre.

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Wünsche.

Die Kinder wollten unbedingt wieder ins AHHAA und in die Schwimmhalle. Ich wollte vor allem spazierengehen, denn es gibt in Tartu neben der Suppenstadt noch ein zweites, gut erhaltenes und ausgedehntes Holzhausviertel. Wir alle wollten unsere zu Hause fast vollständig vegetarische Ernährung für ein, zwei, drei Restaurantmahlzeiten mit gutem und gut zubereitetem Fleisch unterbrechen und uns ausserdem durch das Warenangebot der Supermärkte essen und trinken.

Wir kamen alle auf unsere Kosten.

Leider sind unsere Kinder dem Spielplatzalter entwachsen, denn die estnischen Spielplätze sind so schön (und zahlreich). Dafür machten wir am lauen und hellen Ostersonntagabend noch einen Ausflug auf einen nahegelegenen Schulsportplatz, der an Schultagen nach 16 Uhr und an Wochenenden allen Sportbegeisterten zur Verfügung steht, und spielten eine Stunde Tischtennis.

Im Supermarkt: Limo aus Usbekistan (!) und Kulturhauptstadtlimo. 😋

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Saharastaub.

Karfreitag war super ungemütliches Wetter. (Zum Glück verbrachten wir den halben Tag im Museum.) Karsamstagabend kam endlich die Sonne raus. (Zum Glück waren wir bis zum späten Nachmittag in der Schwimmhalle.) Ostersonntag war mild und sonnig, aber die Sonne schien nur durch Schleierwolken. Am Ostermontag waren schon am Vormittag fast 20 Grad – statt uns mit einem Eis in einen Park zu setzen, mussten wir allerdings leider die Heimfahrt antreten – aber die Sonne schien nur durch einen weissen Dunstschleier.

Ich hatte den gleichen Gedanken wie das Fräulein Maus, die ihn schliesslich aussprach: „Das fühlt sich an wie in Venedig!“ – denn dort war es genauso warm und feucht und diesig gewesen.

Es stellte sich dann heraus, dass der starke Südwind nicht nur warme Luft, sondern auch Saharastaub bis zu uns in den Norden mitgebracht hatte.

Tallinn unter Saharastaub und an Saharastaub kondensierten Schleierwolken.

(Gestern hat es dann wieder geschneit. Der Schnee liegt auch noch, denn wir haben wieder ganztägig Frost.)


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„Ski“ferien 2024

Vor 25 Jahren war der Damals-noch-nicht-Ähämann auf Exkursion in Teneriffa.

(Das ist so lange her, dass ich ihm damals Briefe ins Hotel schickte. Und die sogar pünktlich ankamen.)

Seitdem wollte er mit uns nochmal hinfahren. Nicht zum Am-Pool-Liegen, sondern zum Wandern. Je länger wir in Finnland wohnten, desto mehr kam noch die Sehnsucht nach Sonne und Wärme in der in diesen Breitengraden unangenehmsten Jahreszeit dazu. Aber lange Zeit wäre es zu kompliziert gewesen: allein, drei Kindersitze zum Mietauto zu bekommen! Und ganz zu schweigen von der Unmöglichkeit, mit kleinen Kindern sieben Stunden im Flugzeug zu sitzen!

25 Jahre später haben wir es endlich geschafft.

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Jede Reise beginnt auf dem Meer.

Man kann natürlich auch aus Finnland nach Teneriffa fliegen. Sogar von Turku aus. Direkt.

Es ist aber unverhältnismässig teuer, wenn man nur den Flug braucht, weil man nicht so auf All-inclusive-Hotelurlaub mit Animation am Pool steht.

Von Stockholm zu fliegen war auch deswegen praktisch, weil das Fräulein Maus ja noch eine Nachfeier auf einer Schwedenfähre hatte und wir sonst noch einen Tag später weggekommen wären. (Und wir haben ja nur eine Woche Skiferien.) So fuhren der Ähämann, das Fräulein Maus und Václav mit Silja Line voraus – Václav deswegen, weil Silja Line nicht mehr nach Stockholm reinfährt, sondern nur ins fast eine Autostunde entfernte Kapellskär – und die Herren Maus und ich zwei Stunden später mit Viking Line hinterher.

Am Viking-Terminal in Stockholm trafen wir uns am Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe wieder. Immerhin sind wir jetzt schon wieder so weit über den Berg, dass es halb sieben schon hell wurde.

Das Auto dabeizuhaben war auch deswegen praktisch, weil wir alle dicken Klamotten einfach mit Václav im ein halbes Jahr im Voraus gebuchten und deshalb gar nicht so teuren Parkhaus am Flughafen lassen konnten und nicht wie letztes Jahr mitschleppen mussten. Das half uns sehr bei der Gepäckminimierung, denn wir flogen nur mit Handgepäck.

Nach vier Stunden Rumhockerei im Terminal wurde es dann genau deswegen noch hektisch: es war nämlich nicht genug Platz für Handgepäck im Flugzeug. Der grosse Herr Maus und ich erklärten uns freiwillig bereit, unsere Rucksäcke doch noch in den Frachtraum laden zu lassen, was aber sehr hastiges und deshalb leider unvollständiges Umpacken fünf Minuten vor Boarding nach sich zog. (Flugreisen, ey! So komfortabel…!)

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Vier Monate in einer Nacht.

Nach fünf Stunden Flug nach Madrid (langweilig), weiteren dreieinhalb Stunden Flug nach Teneriffa (noch langweiliger, weil dunkel), sowie einer halben Stunde Autofahrt („Guck mal die Palmen!“, „Da steht ein Drachenbaum auf dem Kreisverkehr!“, „Santa Ursula, hihi!“, „Guck mal, wie hoch der Mond steht!“) waren wir um Mitternacht – nach unserer inneren Uhr allerdings schon um zwei Uhr morgens – endlich in unsere Betten gefallen.

Als wir gegen acht halbwegs ausgeschlafen aufwachten, ging gerade erst die Sonne auf. Nebenan krähte ein Hahn, die Spitze des Teide leuchtete in der Sonne, das Meer hatte sich noch in Nebel gehüllt. Der Ähämann und der kleine Herr Maus fuhren Frühstück einkaufen, und als wir kurze Zeit darauf auf der Dachterrasse sassen und frühstückten, war auf einmal Sommer. Hach!

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ExotischeEinheimische Vegetation.

Da wir alle noch party- und anreisemüde waren, begannen wir den Urlaub mit einem Besuch im Botanischen Garten.

„Haben die hier gar keine Gewächshäuser?!“ fragte der kleine Herr Maus verwundert. Kurze Pause. „Ach so. Ja. Das kann hier ja alles draussen wachsen.“

Alle diese Gewächse, die wir als kleine Zimmerpflanzen kennen, nicht nur im Botanischen Garten, sondern auch am Strassenrand, auf Kreisverkehren und in den Bergen wachsen zu sehen, war eines der tollsten Dinge in Teneriffa!

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Anbaden und -wandern.

Nachdem wir ausgiebig exotische Pflanzen bestaunt hatten, kam der Wunsch nach einem Strand auf. Wir fanden einen, zu dem man sogar zwei Kilometer hinwandernspazieren konnte. Der Weg führte zunächst durch Bananenplantagen, die für mich ihre Faszination bis zum Urlaubsende nicht verloren. Die Blätter der Bananenstauden rascheln im Wind wie Plastetüten, und je älter sie werden, desto zerfetzter sind sie vom Wind. Unter den Stauden scharren Hühner, und wenn irgendwo ein Hahn kräht, ist eine Bananenplantage nicht weit.

Zum Strand mussten wir tief hinuntersteigen. Sein Sand war kohlschwarz und die Wellen so riesig, dass man nicht schwimmen, sondern nur bis maximal zu den Knien in der Brandung stehen und sich von den anrollenden Wellen umwerfen lassen konnte. Die Bademeister pfiffen alle paar Minuten Leute, die sich zu weit hinausgewagt hatten, zurück. Immer wenn eine besonders grosse Welle auf die Felsen weiter draussen traf, donnerte es wie bei einem mittelweit entfernten Gewitter. Es war grossartig.

Erst als die Sonne hinter der Steilküste verschwand, machten wir uns auf den Heimweg.

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Wandern mit Aussicht.

Am zweiten Urlaubstag fuhren wir ins Anaga-Gebirge. Wir wollten im Lorbeerwald, mit dem der oft feuchte und neblige, um die 1000 m hohe Kamm des Gebirges bewachsen ist, wandern gehen.

Wir hatten keinen wirklichen Plan, also holten wir uns zuerst im Besucherzentrum eine Wanderkarte und liessen uns zum Wanderweg Nummer 10 raten, der vom Kamm des Gebirges bis hinunter ans Meer führt, den man aber auch als Rundweg gehen kann, wenn man „nur“ 500 Höhenmeter absteigt und über einen Schlenker durchs nächste Dorf wieder zum Ausgangspunkt zurück aufsteigt.

Es war einer der schönsten Wanderwege, den ich je gegangen bin. Am Anfang führte er durch einen Wald, der sich auch in Mittelerde befinden könnte, dann auf einem schmalen Pfad immer an einem Berghang entlang wie der Lieblingswanderweg in Jena, auch durch zwei an die Berge geklebte bunte Dörfer. Immer mit Aussicht, fast immer auf schmalen Pfaden, und die kurzen Strecken, die man auf der Strasse laufen musste, waren nicht nervig, sondern erholsam für die Füsse.

Das einzig Doofe war, dass wir eigentlich keine so grosse Wanderung geplant hatten, nicht genug Proviant dabei hatten und beide (!) am Weg liegenden Restaurants geschlossen waren. Es war trotz knurrender Mägen und am Ende etwas zittriger Beine sehr toll.

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In den Mond die Sonne gucken.

Auf diesen Urlaubstag hatten wir uns am meisten gefreut: wir fuhren zum Teide, dem die Insel dominierenden gewaltigen Vulkan, hinauf. Es sieht von unten nicht weit aus, aber man braucht fast eine Stunde: die Strasse windet sich 40 km lang in engen Serpentinen den Hang hinauf.

Leider zwei Drittel davon durch verbrannte Kiefernwälder – die Folge der verheerenden Waldbrände im letzten Jahr. Aber die Natur lässt sich nicht unterkriegen: die ersten verkohlten Bäume haben schon wieder lange, grüne Nadelbüschel ausgetrieben.

Um zehn hatten wir uns für eine Führung im Teide-Observatorium angemeldet. Dort wird nicht nur der Sternhimmel beobachtet, sondern auch die Sonne, und wir konnten sogar selbst durch ein Teleskop Sonnenflecken und – eruptionen angucken. Voll toll!

Hinten guckt Gran Canaria aus den Wolken raus.

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Plan B.

Vom Observatorium fuhren wir zur Talstation der Seilbahn, die fast bis auf den Gipfel des Teide führt.

Zum Glück hatte mir die deutsche Kollegin irgendwann, als wir über unsere Skiferienpläne sprachen, gesagt, dass man die Seilbahn vorher buchen muss. (Das war, als der Ähämann da war, noch anders.) Leider erfuhren wir erst bei der Buchung, dass man eine (kostenlose) Genehmigung beantragen kann, bis zum Kraterrand des Teide aufzusteigen. (Das war, als der Ähämann da war, ebenfalls noch anders. Da durfte man überhaupt nicht.)

So war zwar in unserer Urlaubswoche noch eine Seilbahnfahrt verfügbar, aber die nächste Aufstiegsgenehmigung hätte es im April gegeben. Ausserdem darf man, wenn man mit der Seilbahn hoch und runter fährt, nur eine Dreiviertelstunde oben bleiben. Da haben wir ja gerade erstmal angefangen mit gucken!

Wir hatten dann sehr schnell einen besseren Plan: wir fahren mit der Seilbahn hoch und laufen runter. Darauf hatten wir uns wochenlang vorgefreut. Leider hatten wir uns bei der Buchung zielsicher den Tag der Woche mit dem stärksten Sturm ausgesucht, und die Seilbahn fuhr deshalb den ganzen Tag überhaupt nicht.

Grosse Enttäuschung bei allen. Schnell fassten wir Plan B: wir stiegen vom Parkplatz aus auf dem Weg, den wir eigentlich heruntergekommen wären, auf den Montaña Blanca und machten auf dem Abstieg noch einen Schlenker durch ein Tal zwischen zwei Vulkanen.

Es gibt nicht viel faszinierenderes auf der Welt als Vulkanlandschaften! ♥

Sieht ganz nah aus, wären aber immer noch 1000 Höhenmeter aufzusteigen gewesen.

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Über den Wolken.

Auf der Hochebene rund um um den Teide gibt es an 300 Tagen im Jahr keine Wolken. Die Wolken hängen der Insel auf halber Höhe wie ein Wattekranz um den Kopf.

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Ruhetag.

Nach den zwei Wandertouren, die dann doch sehr viel anstrengender gewesen waren als der eigentliche Plan vorgesehen hatte, brauchten wir einen Ruhetag.

Wir fingen mit Wäscheaufhängen und Monopolyspielen auf der Dachterrasse an, dann fuhren wir den grössten Drachenbaum der Welt angucken (ein ganz kleines bisschen imposanter ist als unsere kümmerlichen Büropflanzen), wir assen in einem sehr netten, völlig untouristischen Grillrestaurant unter Bananenstauden und Drachenbäumen, wir gingen wieder nicht schwimmen, weil die gigantischen Wellen uns aus dem natürlichen Badebecken herausgespült hätten, stattdessen fuhren wir nach Puerto de la Cruz und assen sehr leckere Eisbecher.

Weil danach noch keine*r heimwollte, machten wir noch einen kleinen Spaziergang durch den Ort. Es gibt: „Inges deutschen Bücherstand“, das „Deutsche Ärztehaus“, eine Anwaltskanzlei, die Werbung dafür macht, auf Deutsch behilflich zu sein. Es gibt ausserdem Hotelburgen mit Poolanlagen wie allüberall auf der Welt, Restaurants mit Tischchen auf der Terrasse, an denen Menschen sitzen, ihr Essen fotografieren und dieses orange Gesöff schlürfen wie allüberall auf der Welt, Souvenirhöllen, die den gleichen Ramsch anbieten wie allüberall auf der Welt (aber keine teneriffische oder wenigstens eine spanische Flagge für den kleinen Herrn Maus). Ich hatte akute Fluchtreflexe.

(Da waren wir noch nicht im Süden der Insel gewesen. Schlimmer geht immer.)

Als ich später die getrocknete Wäsche von der Dachterrasse holte, dabei die Grillen zirpten, von irgendwoher ein Hund bellte, der grosse Herr Maus mitteilte, in der Küche lebe ein Gecko, ein Auto hupend um unsere Hausecke gefahren kam und vom flutlichtbeleuchteten Stadion nebenan gedämpfte Jubelrufe herüberwehten, ging’s wieder.

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Bergsteigen zwischen Sukkulenten.

Nach dem Ruhetag schnürten wir noch einmal die Wanderstiefel. Wir fuhren an die Südküste der Insel und stiegen auf den Roque del Conde. Bergsteigen ist ja immer toll, aber das allertollste waren die exotischen Gewächse am Wegesrand!

Wobei das, was wie ein schlangenförmiger Kaktus aussieht, die Kanaren-Wolfsmilch ist und das, was wie ein kleiner Drachenbaum aussieht, die Oleanderblättrige Kleinie. Beides endemische Arten auf den Kanaren, d.h. es gibt sie ausschliesslich dort, wohingegen die Feigenkakteen eine eingeschleppte Art sind, die bzw. deren Bekämpfung noch viele Probleme machen wird.

Der Abstieg – wenn man nicht auf dem gleichen Weg zurück gehen möchte – ist ein bisschen schwer zu finden, war aber besonders toll: man muss sogar ein bisschen klettern.

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Routenplanung auf Vulkaninsel.

Für die Heimfahrt hatten wir die Wahl zwischen linksrum (1 h 27 min), rechtsrum (1 h 21 min) oder obendrüber (1 h 41 min). Es war keine Frage: obendrüber natürlich!

(40 km Serpentinen hoch, 40 km Serpentinen wieder runter.)

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Autofahren mit Aussicht.

Am letzten Urlaubstag kam noch einmal der Wunsch nach Strand auf. Weil auf der Nordseite das Wetter ein bisschen unbeständig war, fuhren wir auf die Südseite. Es dauerte ein bisschen, bis wir da waren, denn in Santa Cruz gerieten wir in einen Bauernprotest, bei dem nicht nur Traktoren durch die Stadt gefahren, sondern auch Kühe durch die Strassen getrieben wurden.

Weil die dem Teenageralter entwachsenen Familienmitglieder Strand eher langweilig finden, nahmen wir hinterher wenigstens den abenteuerlichsten Heimweg: über das Anaga-Gebirge mit seinem märchenhaften Lorbeerwald.

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Ferienwohnung mit Aussicht.

Letztes Terrassenabendbrot.
(Eine Woche ist einfach viel zu kurz.)

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Heimwärts.

Der Urlaub nahm ein jähes Ende, denn wir mussten schon um 4:30 Uhr aufstehen, um rechtzeitig am Flughafen zu sein.

Dafür flogen wir erste Klasse, weil der Ähämann sich geweigert hatte, die horrenden Preise für eine Platzreservierung im Voraus zu bezahlen. Wir erhaschten einen letzten Blick auf den Teide auf Augenhöhe, sahen den Sonnenaufgang über den Wolken und kamen in den Genuss eines Rundflugs über Barcelona. Wenn wir nur nicht so müde gewesen wären!

Auf dem zweiten Flug wurden wir ein bisschen zappelig, denn die Zeit, um in Stockholm vom Flughafen zum Hafen zu kommen, war extrem knapp bemessen. (Ich hatte meine Arbeitskolleg*innen schon darauf vorbereitet, dass sie den Laden Hort am Montag eventuell ohne mich schmeissen müssten, und sie hätten das zweifelsohne gut hingekriegt, es wäre mir aber extrem unangenehm gewesen.) Die Hoffnung, ein bisschen eher starten zu können, löste sich in Luft auf, als noch Leute zwecks besserer Austarierung des Flugzeugs umgesetzt werden mussten. (Das haben wir zum letzten Mal erlebt, als der Ähämann und ich 1998 meine beste Studienfreundin während ihres Austauschjahrs in Manchester besuchten und auf dem Rückflug ausser uns nur 10 Leute in einem Flugzeug mit 120 Plätzen sassen.) Rückenwind gab’s auch nicht. Wir sahen den Sonnenuntergang über den Wolken und flogen eine Ehrenrunde über ein glitzernd erleuchtetes Stockholm. Wenn wir nur nicht so müde gewesen wären! Und es nicht so eilig gehabt hätten!

18:40 Uhr setzte das Flugzeug auf der Landebahn auf. Genau 60 Minuten später würde der Auto-Check-in am Hafen schliessen.

Wir sprangen, kaum dass das Flugzeug am Gate zum Stehen gekommen war, auf, rissen unsere Rucksäcke aus den Gepäckfächern, entschuldigten uns bei den Mitpassagier*innen wegen grosser Eile („Kein Problem! Ihr müsst wohl einen Anschlussflug schaffen?“ „Nein, ein Schiff.“ „Oh!“), rannten an allen vorbei aus dem Flugzeug, rannten aus der Nase, liessen uns am Gate-Ausgang kurz von einem Zollhund beschnüffeln, rannten aus dem Terminal ins Parkhaus, schmissen die Rucksäcke in Václavs Kofferraum, fuhren 30 km Autobahn, fuhren eine Strasse mit vielen Ampeln entlang, fuhren durch einen Tunnel, fuhren über eine Brücke, schafften es ohne Verfahren über die Mega-Baustelle an der goldenen Brücke und waren um genau 19:33 Uhr am Auto-Check-in am Hafen. Puh! Noch nie war ich so froh, auf diesem Schiff zu sein!

Nach einem spontanen, ausgiebigen Buffet-Abendbrot – ich hatte den ganzen Tag ausser einem Muffin in Barcelona auf dem Flughafen nichts gegessen und bei den anderen sah es auch nicht viel besser aus – während dem sich die „Glory“ in angenehmer Langsamkeit aus Stockholm herausgeschoben hatte, fielen wir in unsere Betten.

Irgendwann nachts wurde ich kurz wach; das Nebelhorn, mit dem die „Glory“ damals bei ihrer Ankunft alles zum Vibrieren gebracht hatte, tutete, und Eisschollen polterten gegen den Schiffsrumpf. Ich zog mir die Decke zurecht, kuschelte mich an den Ähämann und fühlte mich so geborgen und gemütlich wie lange nicht mehr. Bevor ich wieder einschlief, dachte ich: Was für eine tolle Reise – aber die Seele kommt beim Fliegen tatsächlich nicht hinterher.


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Turku-Warschau mit dem Zug: (7) Berlin-Stockholm-Turku

Freitag, 5. Januar – Sonntag, 7. Januar 2024

Die Heimreise brachten wir wie immer im Schlaf hinter uns: eine Nacht im Zug, eine auf der Fähre.

Der Nachtzug nach Stockholm fuhr diesmal nicht vom Hauptbahnhof, sondern von Gesundbrunnen. Wir hatten bis zur Abfahrt fast noch eine Stunde zu warten, es war kalt und zugig, und als ich bei der S-Bahn-Aufsicht fragen ging, ob es denn irgendwo auf dem Bahnhof einen Warteraum gäbe, entspann sich folgender Dialog: „Auf den Bahnsteigen gibt es Warteräume.“ „Sind die warm?“ „Nö.“ Der Abschied aus Deutschland fiel diesmal nicht schwer.

Wir fuhren zum ersten Mal nicht Snälltåget, sondern mit der Schwedischen Bahn; was aber fast keinen Unterschied macht, da beide mit alten Liegewagen der Deutschen Bahn fahren. Wir schliefen kurz vor Hamburg in einer mit ein paar Zentimetern Matschschnee belegten Landschaft ein und wachten kurz hinter Linköping in einem Winterwunderland wieder auf.

(Ich wurde ausserdem pünktlich bei der Auffahrt auf die Rendsburger Hochbrücke kurz wach – wahrscheinlich, weil sich die Rollgeräusche auf dem Metallgestell plötzlich anders anhörten – und guckte auch beim fünften Mal noch fasziniert dabei zu, wie wir durch die Schleife langsam nach Rendsburg hinunterfuhren.)

Der Zug hatte zwei Stunden Verspätung, was super war – so konnten wir zwei Stunden länger schlafen und hatten ausserdem zwei Stunden weniger in Stockholm rumzubringen.

(Theoretisch ist so ein Tag Aufenthalt in Stockholm ja ganz nett, aber praktisch ist es nach dem fünften Mal – Stockholm ist für uns ja immer Durchgangsstation, sogar wenn wir fliegen – nur noch nervig.)

Wir zogen die ganz warmen Sachen an, die wir teilweise seit zehn Tagen nur dafür spazierengetragen hatten, und fuhren als erstes mit dem Bus zum Fährterminal, wo wir unsere Rucksäcke einschliessen wollten. Leider standen wir dort vor verschlossenen Türen: das Terminal ist nur kurz vor Abfahrt und kurz nach Ankunft einer Fähre, also nur früh und abends für jeweils zwei Stunden, geöffnet. Also nahmen wir den nächsten Bus zurück und schlossen die Rucksäcke mal wieder zu horrenden Preisen am Bahnhof an.

Eigentlich hatte ich zu dem Zeitpunkt schon die Nase voll, aber dann wurde der Tag doch noch schön: wir spazierten nach Södermalm, einen Stadtteil von Stockholm, in dem wir vorher noch nie gewesen waren. (Also noch nicht in seinem westlichen Teil. Der östliche liegt ja – wenn man Zeit und Muse hat, hinaufzusteigen statt unten am Meer entlangzulaufen – auf dem Weg zum Hafen.) Dort war es bei -10 Grad und mit Schnee und im Spätnachmittags- und Abendlicht und vor allem ohne die Touristenmassen, die sich alle durch die Altstadt wälzen, ganz unerwartet schön.

Die Fähre polterte dann die ganze Nacht durch dicke Eisschollen – das hatten wir schon viele Jahre nicht mehr – und als wir früh halb acht in Turku ankamen, waren -23 Grad.

Wir begannen die Wiedereingewöhnung zu Hause mit einem Experiment mit heissem Wasser sowie nachmittäglichem Paarlauf auf einem zugefrorenen See und einem anschliessenden Bad im Meer, während andere Leute auf dem Meer herumliefen.

Das war alles sehr, sehr schön.

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(1) Turku-Rīga
(2) Rīga
(3) Rīga-Kaunas
(4) Kaunas-Warschau
(5) Warschau
(6) Berlin
(7) Berlin-Stockholm-Turku


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Turku-Warschau mit dem Zug: (5) Warschau

Samstag, 30. Dezember 2023 – Dienstag, 2. Januar 2024

Als wir am Silvestermorgen aufwachten, schien die Sonne zum Fenster herein. Was für eine Wohltat nach den finsteren Tagen der letzten Woche!

Der Ähämann ging zum Bäcker, um ein Brot zu kaufen, und kam… mit Birnen wieder. :D

Dann lockten uns die Sonne und die Wolkenkratzer in der Nachbarschaft hinaus. Die Teenager, die mit uns sonst „immer nur durch kleine Gassen laufen müssen“, waren begeistert.

Ich fand es nicht minder faszinierend, denn als ich das letzte Mal in Warschau war – 1988 mit dem Ferienlager – war das kleine, immerhin 44-stöckige Zuckerbäckertürmchen das höchste Gebäude Warschaus.

Da wir ja bekanntlich auf jeden Turm hoch müssen, stellten wir uns eine halbe Stunde an dessen Fahrstuhlschlange an, denn man kann immer noch auf die Aussichtsplattform im 30. Stockwerk fahren – nur die Aussicht hat sich ein bisschen verändert.

Nach einem späten und sehr leckeren Mittagessen in einem ukrainischen Restaurant fuhren wir mit Strassenbahn und Metro in die sehr kleine Warschauer Altstadt.

Dem armen Motorman klingeln seit Silvester 2023 vermutlich ununterbrochen die Ohren…

Dort stand auf dem Schlossplatz ein sehr bunter, blinkender, seine Farbe wechselnder und zu allem Überfluss noch nicht einmal echter Weihnachtsbaum. „Der ist nur zu ertragen, weil heute Silvester ist“, kommentierte das Fräulein Maus.

Ausserdem stapelten sich auf dem Platz schon am frühen Silvesterabend die Touristen, so dass wir sehr (sehr, sehr!) schnell den Rückzug antraten.

Wir hatten uns für Mitternacht eine Brücke über die Wisła mit Blick auf Stadtzentrum und Altstadt ausgesucht. Die Kinder fürchteten kurzzeitig, es werde gar kein Feuerwerk geben, weil bis halb zwölf eigentlich gar nichts zu sehen oder zu hören war. Um Mitternacht wurde dann doch einiges Feuerwerk abgefeuert; es sah sehr schön aus, war aber insgesamt recht moderat und kurz.

(Die einzigen, die Knaller schmissen und sich danebenbenahmen, war eine Gruppe Deutsche…)

Viertel eins brachen wir Richtung Metrostation auf, weil um 0:24 Uhr die (vermeintlich) letzte Metro in unsere Richtung fuhr. Es stellte sich dann aber heraus, dass die Metro wegen Silvester extralange fährt. ♥

(Ich erinnere mich an ein Jahr, das mit einem Marsch durch die ganze Prager Kleinseite sowie die halbe Altstadt zur Nachtbushaltestelle, einer eher unangenehmen Fahrt in einem völlig überfüllten Nachtbus und einem anschliessenden weiteren anderthalb Kilometer langen Marsch zu unserer Unterkunft anfing.)

Als wir am Neujahrsmorgen aufwachten, regnete es in Strömen, und die Hochhäuser waren zu echten Wolkenkratzern mutiert.

Leider waren nicht nur sämtliche Läden und Einkaufszentren, sondern auch ausnahmslos alle Warschauer Museen und Schwimmhallen geschlossen. Immerhin hatten wir ein Drei-Tages-Nahverkehrsticket und befanden uns in einer Stadt mit Metro.

Neujahrsspaziergang 2024.

Wir gingen nochmal in das selbe ukrainische Restaurant, weil es am Vortag so lecker gewesen war und uns sehr viele Sachen auf der Speisekarte angelacht hatten. Hinterher sassen wir lange in einem Café im ersten Stock und guckten auf die sich auf den nassen Strassen spiegelnden Lichter der Stadt.

Endlich mal ein realistisches Piktogramm…!

Und dann fiel uns ein, dass der kleine Herr Maus ja noch eine polnische Flagge braucht, und eine kurze Recherche ergab, dass es in der Altstadt ein geöffnetes Souveniergeschäft gibt, und fuhren mit dem Bus hin. Im Gegensatz zum Vortag war es in der Altstadt fast leer und wir liefen noch ein bisschen durch die Gassen und zwischen den verschiedenen Leuchtobjekten herum.

Danach fielen wir müde und durchweicht in eine Strassenbahn, in eine Metro der M1 und eine der M2 und waren eine Viertelstunde später in der Nähe einer warmen Badewanne und unserer Betten.

Das war ein sehr schöner Jahresbeginn. Und Warschau eine überraschend tolle Stadt.

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(1) Turku-Rīga
(2) Rīga
(3) Rīga-Kaunas
(4) Kaunas-Warschau
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Turku-Warschau mit dem Zug: (4) Kaunas-Warschau

Samstag, 30. Dezember 2023

In Kaunas wäre ich gern noch ein bisschen länger geblieben.

Nicht nur, dass wir dort eine sehr gemütliche Wohnung in einem ganz normalen Wohnhaus hatten, ich hätte mir auch gern noch ein bisschen mehr von der Stadt angeguckt als das, was am Weg zwischen Wohnung und Weihnachtsmarkt bzw. Wohnung und Bahnhof lag.

Ich wäre gern noch ein bisschen an den Ufern von Nemunas (die die Deutschen Memel nennen) und Neris, die in Kaunas zusammenfliessen, spazierengegangen und über die eine oder andere Brücke. Und auf den hohen Hügel gestiegen, an dessen Fuss wir wohnten und der mich an die Sandhügel in Vilnius erinnerte.

Vielleicht auf einer anderen Durchreise. Vielleicht dann auch bei besserem Wetter.

Ferienwohnungsblick am letzten Samstagmorgen des Jahres:
Fussgängerzone und Radweg de luxe und Strasse mit O-Bus-Haltestelle.

Um aber nicht gleich wieder in den Bus zu steigen, liefen wir zunächst die Freiheitsallee entlang, die einen reichlichen Kilometer lang schnurgerade auf die Kirche des Erzengels Michael zuführt und auf der es mit der friedlichen Koexistenz von Fussgänger*innen und Radfahrer*innen vermutlich einfach schon deswegen klappt, weil für beide genug Platz vorgesehen ist.

Am Ende der Allee angekommen, stellten wir wieder einmal fest, dass es sich lohnt, in jede litauische Kirche reinzugehen: in der über 100 Jahre alten Kirche des Erzengels Michael gibt es zum Beispiel sehr berührende Kreuzweggemälde aus dem Jahr 2000.

Und weil es von da dann nur noch anderthalb Kilometer bis zum Bahnhof waren, liefen wir auch den Rest noch.

Die Koordinaten dieser Reise: die Entfernungen zu drei schon durchreisten Orten sowie den nächsten zwei Reisezielen.

Die litauische Bahn hatte ihren Fahrenden Ritter – diesmal die modernere Version – ein bisschen weihnachtlich dekoriert: altmodische Deckenlampen, Samtvorhänge, Tischlämpchen, Samtbezüge auf den Armlehnen, Orientteppiche, Holzimitatfolie an allen Wänden… kurz dachten wir, wir hätten uns in einen Museumszug verirrt.

Obwohl er als durchgehender Zug deklariert ist, brachte uns der Fahrende Ritter nur bis an die polnische Grenze.

Dass wir uns der Stelle näherten, wo (Eisenbahn-) Ost und West aufeinandertreffen, erkannten wir daran, dass plötzlich nicht nur viele, viele Güterwaggons im Nirgendwo herumstanden, sondern auch gigantische Krananlagen. Leider kein Foto; wir waren mit Gucken und gleichzeitig dem Zusammensuchen unseres Krempels beschäftigt.

Denn für Personenzüge erfolgt das Umspuren per pedes: am litauischen Grenzbahnhof Mockava wartet der polnische Zug am Gegengleis, dann gibt es fünf Minuten lang Gewusel – die Passagiere aus dem polnischen Zug steigen in den litauischen und die aus dem litauischen in den polnischen – und dann fahren beide Züge wieder dahin, wo sie hergekommen sind, zurück.

Wir tuckselten zunächst durch idyllische nordpolnische Landschaft und sahen vom Zug aus nicht nur von Bibern benagte Bäume, sondern auch einen Elch, der gemächlich durchs Unterholz stakste. Dann wurde es leider schon wieder dunkel, und wir fuhren mehrere Stunden durch pechschwarze Nacht auf Warschau zu. (Ich habe auf dieser Reise deutlich mehr gelesen als auf der letzten Zugreise.)

Kurz nach acht kamen wir in Warschau an, von wo unser Zug noch drei Stunden nach Kraków weiterfuhr, aber ohne uns.

Wir stellten fest, dass der Warschauer Hauptbahnhof wahrscheinlich der hässlichste Bahnhof ist, auf dem wir je waren. Aber als wir aus dem Bahnhof heraustraten, kriegten die Kinder grosse Augen: Wolkenkratzer! Jede Menge glänzende, blinkende, spiegelnde Wolkenkratzer!

Wir kauften für jede*n ein Drei-Tages-Nahverkehrsticket, fanden schon beim zweiten Anlauf den richtigen Ausgang aus der Unterführung, fuhren mit der Strassenbahn zu unserer Ferienwohnung, kauften ein kleines Abendbrot ein, stellten die Waschmaschine an (wobei wir leider erstmal das Bad fluteten) und fielen in unsere nach dem Tag im Zug mal wieder ziemlich schaukelnden Betten.

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(1) Turku-Rīga
(2) Rīga
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(4) Kaunas-Warschau
(5) Warschau
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(7) Berlin-Stockholm-Turku


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Turku-Warschau mit dem Zug: (3) Rīga-Kaunas

Freitag, 29. Dezember 2023

Der Wecker klingelte um acht, denn wir hatten wieder mal einen dieser absurden Reisetage vor uns, die man nur erlebt, wenn man das Baltikum auf Schienen durchqueren möchte. Oder zumindest, wo immer es geht, den Zug benutzen möchte.

Ausserdem regnete es in Strömen. Zum Glück war es bis zum Bahnhof nicht weit.

Von Finnland aus wirkt das Rail Baltica – Projekt immer so ein bisschen utopisch und als ob es noch mindestens 20 Jahre dauern würde, bevor sich da überhaupt etwas tun wird – was auch daran liegen mag, dass man in Finnland Rosinen im Kopf hat von einem Tunnel zwischen Helsinki und Tallinn fantasiert, was ja dann doch nochmal eine ganz andere Hausnummer ist, als „nur“ eine Bahntrasse zu bauen.

In Rīga jedoch geht es sichtbar voran, und überhaupt sahen wir auf unserer Reise allerorten Fortschritte jeglichen Stadiums an der Trasse. Meine Güte, wird das toll werden, wenn das erstmal alles fertig ist!

Wir aber bestiegen zunächst erstmal einen lila-gelben Rumpelzug aus sowjetischer Produktion – vielleicht auch das zum letzten Mal, denn die lettische Bahn hat seit Mitte Dezember auch moderne Škoda-Triebwagen im Einsatz, wie wir am Tag zuvor schon gesehen hatten – ins südlettische Jelgava.

Lustigster Haltepunkt zwischen Rīga und Jelgava.

Auf halber Strecke mussten wir den Fahrenden Ritter – die litauischen Loks und Züge sind ja alle mit dem Vytis geschmückt – aus Vilnius durchlassen. Seit dem Winterfahrplanwechsel gibt es nämlich erstmals seit vier Jahren – seit die ukrainische Bahn erst wegen der Pandemie und dann wegen des Krieges die Strecke Kiew-Minsk-Vilnius-Rīga nicht mehr operieren konnte – wieder eine Direktverbindung zwischen Rīga und Vilnius. Allerdings war der Ritter verspätet, und so kamen wir mit 20 Minuten Verspätung in Jelgava an, wo der Flixbus, der uns über die Grenze ins nordlitauische Šiauliai bringen sollte, seinerseits 15 Minunten eher eintraf, so dass wir direkt vom Zug in den Bus fielen und fünf Minuten nach Ankunft schon wieder unterwegs waren.

Man hätte es freilich auch einfacher haben können… ;-)

Immerhin mussten wir diesmal  in Šiauliai keine Zwischenübernachtung einschieben, sondern gingen – mit einem kurzen Abstecher in den Supermarkt zwecks Reiseproviantbeschaffung – ohne Umschweife zum Bahnhof.

Obwohl der Güterverkehr von und nach Klaipeda seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine abgenommen hat – das konnten wir vorletzten Sommer deutlich merken, als wir zum zweiten Mal auf der Durchreise in der selben Wohnung in Šiauliai übernachteten, aber anders als beim ersten Mal nicht die ganze Nacht Güterzüge vorbeirumpelten – werden in Šiauliai immer noch beeindruckend lange Güterwaggonketten rangiert und setzen sich unter Gepolter, das träge von einem Waggon zum anderen weiterläuft, langsam in Bewegung.

Wir aber bestiegen nach kurzer Wartezeit einen sehr kleinen und engen Fahrenden Ritter, der am ehesten die Bezeichnung „Schienenbus“ verdient gehabt hätte, und hoppelten mit dem zwei Stunden durch regnerisches Wintergrau nach Kaunas.

Weil der Bahnhof von Kaunas ein bisschen ausserhalb liegt – der Routenplaner sagte, es seien drei Kilometer mit dem Bus vom Bahnhof zu unserer Wohnung; allerdings nur deshalb, weil der Bus einen ziemlich grossen Bogen fährt – nahmen wir den Bus statt zu laufen. Wir fuhren seit ewig mal wieder O-Bus (die Kinder überhaupt zum ersten Mal) – Kaunas hat supermoderne O-Busse, und ich möchte der doch recht arrogant anmutenden westlichen Kritik an O-Bussen, gerade auch angesichts steigender Dieselpreise und zunehmenden Klimabewusstseins, nur entgegensetzen: Totgesagte leben länger!

Dann machten wir noch einen kleinen Abendspaziergang durch das weihnachtlich beleuchtete Kaunas.

Ein Wollpulligulli…!

Die Federn bestehen aus hunderten weissen Kabelbindern!

Abendbrot in einem georgischen Restaurant, Nachtisch aus dem Supermarkt, Bettenverteilung, Duschen, Gute Nacht!

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(1) Turku-Rīga
(2) Rīga
(3) Rīga-Kaunas
(4) Kaunas-Warschau
(5) Warschau
(6) Berlin
(7) Berlin-Stockholm-Turku


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Turku-Warschau mit dem Zug: (2) Rīga

Mittwoch, 27. Dezember – Freitag, 29. Dezember 2023

Wir reisen gern immer wieder an Orte, an denen wir schon waren.

Man entdeckt ja doch jedes Mal noch etwas Neues, und vor allem hat man nicht das Gefühl, in kurzer Zeit dies und jenes unbedingt noch sehen zu müssen. Und so begannen wir auch den Tag in Rīga erst einmal mit gemütlichem Ausschlafen bis kurz vor Mittag, ausführlichem Frühstück und längerer Herumgammelei in der Ferienwohnung, bevor wir uns zu Fuss in die Stadt aufmachten.

Wir hatten kurz erwogen, auch angesichts des Wetters, ein Museum aufzusuchen, aber da uns die Auswahl erschlug und fünf Familienmitglieder fünf verschiedene Vorstellungen und Abneigungen hatten und das Museum, auf das wir uns hätten einigen können, zwischen den Jahren geschlossen war, liessen wir uns mal wieder einfach durch die Strassen treiben.

Wir statteten der Daugava einen Besuch ab, die diesmal kein bisschen nach Moor roch, sondern nur bedrohlich kalt aussehend an die Ufermauer schwappte. Wir gingen in die Markthallen zum Mittagessen (und um ein kleines, rucksackreisetaugliches Glas Honig zu kaufen). Wir erfreuten uns an der lettischen Sprache, die – laienhaft ausgedrückt – ein sehr lustiges Gemisch aus finnischen/estnischen und slawischen Wörtern ist, und in der sogar Namen übersetzt werden. (In meinem nächsten Leben werde ich Sprachwissenschaftlerin.)  In einem kleinen Café, in dem wir uns aufwärmten, lernten wir, dass Kalter Hund in Lettland Leningrader Torte heisst (und auch viel leckerer ist). Wir sahen lilagelbe Rumpelzüge über die grosse Eisenbahnbrücke fahren, aber auch brandneue Škoda-Doppelstockzüge, und in den Strassen O-Busse jedweder Generation und die lustigen Rīgaer Tatra-Bahnen mit den O-Bus-Stromabnehmern.

Es war nicht die beste Reisezeit. Es war kalt, nass und finster, so finster. Aber es war egal. Wir haben Rīga in der Sommersonne und den hellen Sommernächten leuchten sehen, und diesmal funkelten die Weihnachtsbeleuchtungen, die über die Strassen gespannt, in Parkbäume gehängt und um Kirchtürme gewunden waren, umso mehr.

Rīga, die Stadt der hübschen Fassaden und allgegenwärtigen Oberleitungen. ♥

Strasse zu Ehren eines berühmten Deutschen. :D

Leningrader Torte.

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(1) Turku-Rīga
(2) Rīga
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Turku-Warschau mit dem Zug: (1) Turku-Rīga

Mit dem Zugreisen ist es ja irgendwie so, dass man, wenn man einmal damit angefangen hat, nicht wieder aufhören kann. Also wir zumindest nicht. Und so hatten wir schon während der letzten, ganz grossen Zugreise (die wohl so bald nicht zu toppen sein wird), die nächsten zwei Ziele für etwas kürzere Ferien – die diesjährigen Weihnachtsferien und die kommenden Herbstferien – ins Auge gefasst.

Diesmal also mal wieder durchs Baltikum.

Mittwoch, 27. Dezember 2023

Jede unserer Reisen beginnt auf dem Meer. Aber diese erst später. Diese begann mit einer Zugfahrt nach Helsinki; zwei Stunden durch verschneite Landschaft in blau-rosa Winterlicht.

In Helsinki fuhren wir mit der Strassenbahn zum Hafen und bestiegen ein Schiff.

Seit längerer Zeit hatten wir mal wieder Buffet gebucht, weshalb nicht nur die Frage, wo und wann wir mittagessen würden, von vornherein geklärt war, sondern wir auch bis zur Ankunft in Tallinn einfach im Buffetrestaurant abhängen – und das dritte Schüsselchen Kirschkompott essen und die vierte Kugel Eis holen und ein weiteres Tellerchen mit Vorspeisen beladen – konnten.

Dann schulterten wir die Rucksäcke und stapften zwei Kilometer durch matschigen Schnee zum… nein, nicht Bahnhof, sondern in die genau entgegengesetzte Richtung zum… Tallinner Busbahnhof.

Die Zugverbindungen im Baltikum sind nämlich leider so, dass man entweder sofort in Tallinn eine Übernachtung einschieben oder eben den Bus nehmen muss, wenn man am gleichen Tag noch in Rīga ankommen möchte.

Aber immer noch besser, als die Via Baltica mit dem eigenen Auto abzufahren!

Es gab einen planmässigen Halt in Pärnu sowie einen ausserplanmässigen an einer Tankstelle bei Saulkrasti, wo ein Passagier von der lettischen Polizei in Gewahrsam genommen wurde; ansonsten passierte nicht viel, ausser dass der Schnee am Strassenrand immer weniger wurde.

Als wir nach fünf Stunden Fahrt durch die Finsternis um 22 Uhr in Rīga aus dem Bus wankten, stolperten wir als erstes über den Silberstreif am Horizont. Jeeee!!!

Wir gingen noch schnell im Supermarkt neben dem Bahnhof etwas für ein kleines Nachtmahl einkaufen, wobei wir die Flasche lettisches Bier, auf die wir uns so gefreut hatten, nur in alkoholfrei mitnehmen durften, weil auch in Lettland offenbar ab 9 oder 10 Uhr abends kein Alkohol mehr verkauft werden darf. (Das alkoholfreie lettische Bier schmeckt allerdings immer noch dreimal so gut wie alkoholhaltiges finnisches.)

Kurze Wanderung durch weihnachtlich beleuchtete, aber völlig schneefreie Strassen zu unserer Ferienwohnung.

Betten verteilen, essen, duschen, Gute Nacht!

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(2) Rīga
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Herbstferien 2023

Schaukelpferd.

Dafür, dass wir die letzten vier Tage vor der Reise und bis eine Stunde vor geplanter Abfahrt wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Sturm- und Wellenwarnungen für den Finnischen Meerbusen gestarrt hatten, fand die Überfahrt nicht nur planmässig statt, sondern war dann auch recht unspektakulär.

Das Problem ist ja auch nicht, dass die Schiffe mit so ein bisschen Sturm nicht klarkämen. Das Problem scheint mir eher zu sein, dass es sich nicht lohnt, ein hauptsächlich auf Kreuzfahrer*innen ausgelegtes Schiff fahren zu lassen, wenn diese – statt zu essen, zu shoppen, Karaoke zu singen und reichlich Alkohol zu trinken – während der gesamten Überfahrt mit grünen Gesichtern in irgendeiner Ecke hängen. Für meine Theorie spricht, dass am Wochenende zuvor die hauptsächlich von Kreuzfahrer*innen frequentierten Fähren von Viking Line und Eckerö Line wegen starkem Sturm im Hafen geblieben waren, während die Tallink-Fähren, die eher Reisende und Fracht transportieren, unbeirrt zwischen Helsinki und Tallinn hin und her geschaukelt waren.

Nun fahren wir zwischen Helsinki und Tallinn ja üblicherweise mit Tallink, weil die die flexiblere Fahrzeiten haben – es fährt im Prinzip alle zwei Stunden eine Fähre – die moderneren Schiffe und das bessere Essen. Aber irgendwo muss das Geld für unsere vielen Reisen ja herkommen, und weil es diesmal mit dem Fahrplan passte, hatten wir bei der deutlich preiswerteren Eckerö-Line gebucht. Hätten wir mal nicht…!, machten wir uns vier Tage lang Vorwürfe, aber dann ging zum Glück ja doch noch alles gut und wir konnten auf einem grossen Schaukelpferd nach Tallinn reiten.

***
Alles wie immer.

Keine fünf Minuten, nachdem wir zu Ostern aus dem Mökki, in dem wir auch schon zwei Mal in den – damals noch nur viertägigen – Herbstferien gewesen waren, abgereist waren, beschlossen wir, dass es bestimmt schön wäre, die Herbstferien ebenfalls dort zu verbringen, nach der aufregenden Sommerreise an einen Ort zu fahren, an dem wir eigentlich alles schon kennen.

Es war tatsächlich genauso schön und vertraut und erholsam, wie wir uns das vorgestellt hatten.

Wir verbrachten viel Zeit vorm Kamin, in der Sauna, am Strand, im Moor und mit Einkäufen im Schlaraffenland in Supermärkten. (Wir haben jetzt tatsächlich Kundenkarten von zwei grossen estnischen Supermarktketten. Und ich war zum ersten Mal in Estland im Lidl, weil ich die Lidl-Kirschmarmelade mag, aber der Lidl in Finnland seit Jahren nur noch Erdbeermarmelade – was anderes wird hierzulande ja nicht gegessen, und auch die nur auf Pfannkuchen –  im Angebot hat.)

Strasse, estnische. ♥

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*quietsch*

Ich habe ein neues estnisches Wort gelernt und jetzt ein neues estnisches Lieblingswort: nahkhiir, die Fledermaus. Tatsächlich heisst das aber, wortwörtlich übersetzt, Ledermaus, was besonders lustig ist, da ich als Kind, weil mir das Wort Fledermaus zu komisch vorkam, zur Fledermaus, genau, Ledermaus sagte.

(Auf Finnisch heisst die Fledermaus weder nahkahiiri – Ledermaus – noch lentävä hiiri – Fliegende Maus, wie ich einst sehr zur Erheiterung aller anwesenden Finn*innen sagte – sondern lepakko. Tjanun.)

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Luxuswandern.

Nirgends gibt es so luxuriöse Wanderwege – samt Waldklos, Aussichtstürmen und Badestellen – wie in Estland. ♥

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Statt Wanderweg.

Zur Not tut es auch eine einen knappen Kilometer lange Mole an der Hafeneinfahrt.

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Ausflug mit Pfandflaschen.

Einen Tag fuhren wir nach Riga.

Das Wetter war leider viel schlechter als vorhergesagt und ziemlich ungemütlich, aber ich könnte in Riga sowieso auch einfach nur den ganzen Tag in den Markthallen mit Gucken zubringen.

Die lettischen Pfandflaschen sind dann jetzt auch ordnungsgemäss in ihr Ursprungsland rücküberführt. Zugegebenermassen befinden wir uns da allerdings in einer Art Teufelskreis.

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Frieden.

Am letzten Urlaubstag machten wir einen Spaziergang über den Pärnuer Friedhof, der wunderbar in der Herbstsonne leuchtete.

Dort liegen sie in friedlicher Eintracht, Esten, Russen und Deutsche.
Ganz anders als zu ihren Lebzeiten.

Ebenfalls auf dem Friedhof: ein Denkmal für die Pärnuer Opfer des Estnischen Freiheitskriegs – lauter 18-, 19- und 20-jährige Männer. Es ist furchtbar, und noch furchtbarer ist, dass es immer so weitergeht.

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Schaukelpferd (2)

Auf der Rückreise gab es nur eine milde Wind- und Wellenwarnung. Dafür blies der Wind aus Osten, die Wellen kamen genau von der Seite, und das Schiff schaukelte viel mehr als auf der Hinfahrt. Es wurden Kotztüten ausgeteilt, und im Helsinkier Hafen half ein Schlepper der Fähre beim Anlegen, indem er sie an der Längsseite mit voller Kraft Richtung Anleger drückte.

Auch auf Reisen, die man schon oft gemacht hat, erlebt man immer noch was Neues.


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Turku-Istanbul mit dem Zug: (18) Pisa-La Spezia-München-Berlin-Stockholm-Turku

Dienstag, 18. Juli 2023

Der lange Ritt nach Hause begann in Pisa Centrale um 12:34 Uhr.

Wir waren alle wehmütig, denn von nun an würde es unweigerlich nach Hause und die Reise zu Ende gehen.

(Ich hatte vorher gedacht, dass wir irgendwann vielleicht doch genug haben würden vom Zugfahren, vom Nomadenleben, von immer neuen Städten. Aber jede neue Zugfahrt, jede neue Stadt war wieder toll. Das hätten wir noch eine Weile so weitermachen können. Ausserdem fühlte sich dieser Urlaub viel länger an als alle Urlaube sonst: War das wirklich auf dieser Reise, dass wir in Wien waren?! Vor drei Wochen erst sollen wir in Bukarest gewesen sein?!)

Was wir von der italienischen Bahn in Erinnerung behalten werden: das umfassende Wellnessprogramm für Züge auf jedem Bahnhof. Die weissen Schienen. Die wohlklingenden Bahnhofsdurchsagen. Die tollen Züge und vielen Zugverbindungen.

Die Fahrt mit der Regionalbahn nach Le Spezia dauerte nur eine Stunde.

Der arme Berg…!
(Nein, das ist kein Schnee!)

Trotzdem hatten wir danach schon wieder Hunger.

Da traf es sich gut, dass es in La Spezia ein Bahnhofsrestaurant gibt, das Tische auf Bahnsteig 1 stehen hat; man kann lecker Pizza essen und dabei Züge gucken. ♥

Danach suchten wir einen nahegelegenen Supermarkt auf, um Proviant für die anstehende Nachtzugfahrt zu besorgen. Der Ähämann bestand darauf, mir eine Flasche Limoncello nach Hause zu tragen.

(Es ist nämlich so, dass ich einst eine italienische Mitdoktorandin hatte, zu deren Doktorfeier ihre italienische Familie nicht nur kistenweise Wein, sondern auch viele Flaschen Limoncello nach Finnland mitbrachte, und seitdem muss ich leider bei jeder Fährüberfahrt eine neue Flasche kaufen. Oder – die bessere Alternative – bei jeder Reise nach Italien.)

Dann assen wir ein allerletztes Abschiedseis.

Und dann gingen wir zurück zum Bahnhof und warteten auf den Zug nach München, obwohl wir eigentlich lieber wieder in die andere Richtung davongefahren wären.

Der Zug kam erst zwei Minuten vor Abfahrt, und von der fröhlichen Klassenfahrtatmosphäre, die wir im Herbst im Nachtzug von München nach Venedig erlebt hatten, war diesmal nichts zu spüren. Die Schaffnerinnen ranzten uns erstmal prophylaktisch wegen allem und jedem an; die eine der beiden entschuldigte sich schliesslich mit Stress und Überarbeitung und zu straffen Fahrplänen, die andere hörte praktisch bis zur Ankunft in München nicht auf zu meckern. (Sekt gab’s auch nur auf ausdrückliche Nachfrage.)

Wir gingen, nach der Wanderung zum Bahnhof in Pisa und den paar hundert Metern Spaziergang zum Supermarkt in La Spezia schon wieder völlig nassgeschwitzt, erstmal duschen. Das geht zum Glück auch im Zug.

(Generell ist mir aufgefallen, dass in Schlaf- und Liegewagen die gemeinsam genutzten Sanitäranlagen sehr viel weniger eingesaut sind als in Sitzwaggons; vermutlich, weil sich alle Passagier*innen darüber im Klaren sind, dass sie für eine lange Zeit darauf angewiesen sind.)

Man beachte die schicken ÖBB-Pantöffelchen…!

Zwischen La Spezia und Genua befindet sich ein landschaftlich besonders schönes Stück Eisenbahn: wir fuhren abwechselnd immer am Meer entlang oder den Leuten durch ihre Hinterhöfe. Das zu fotografieren war allerdings schwer, denn immer, wenn man gerade auf den Auslöser drücken wollte, wurde der Blick durch den nächsten Tunnel oder die Säulen der nächsten Galerie verdeckt.

Dann ging es in die Berge und durch den ersten Regenschauer seit Sofia. Noch vor Mailand, wo das Fräulein Maus und ich noch eine Mitfahrerin in unser Dreierabteil bekommen sollten, hatten wir Zähne geputzt, Schlafanzüge angezogen, unser Gepäck verstaut, die Reisepässe bereitgelegt und uns hingelegt.

Mittwoch, 19. Juli 2023

Beim Frühstück kamen wir mit unserer in Mailand zugestiegenen italienischen Mitfahrerin über unser Woher und Wohin ins Gespräch. Als sie hörte, dass wir in Finnland wohnen, sagte sie gleich: „Ihr habt ja jetzt auch so eine rechte Regierung.“ Augenrollend erörterten wir, wie es dazu kommen konnte, dass solche Vollpfosten gewählt werden:

In Italien denken alle, egal, wer an der Regierung ist, das sind sowieso alles Diebe.
Und in Finnland denken alle, bei uns wird es schon nicht so schlimm werden, egal, wer an der Regierung ist.

Die deutsche Bundespolizei machte an der Grenze diesmal nur Stichproben; wobei diese ja keine echten Stichproben sind, sondern sich schon immer nur auf augenscheinlich Nicht-Deutsche beziehen, was ich noch mehr zum Kotzen finde als Passkontrollen für alle innerhalb des Schengen-Gebiets.

Unsere italienische Mitfahrererin erzählte uns von ihrer Grosstante, einer Nonne, die im zweiten Weltkrieg mal in einem Abteil gereist ist, in dem sich ein junger Mann unter den Sitzen versteckt hatte, und wie sie und ihre Ordensschwestern bei einer Polizeikontrolle ihre Röcke ausgebreitet haben und der Mann tatsächlich nicht entdeckt worden ist. ♥

In München traf uns zum ersten Mal seit Wochen nach dem Aussteigen keine heisse Wand; im Gegenteil, es war ziemlich kühl und ich hätte fast meinen zuletzt auf der Fahrt durch die Karpaten benutzten Pullover von ganz unten aus dem Rucksack gekramt.

Nach dem Zug nach Berlin musste diesmal auch nicht erst gefahndet werden. Wir rauschten in vier Stunden recht unspektulär einmal durch halb Deutschland; der kleine Herr Maus freute sich sehr, als der ICE auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke durch den Thüringer Wald dann doch endlich mal 300 km/h fuhr und ihm damit zu einem neuen persönlichen Rekord verhalf.

In Berlin angekommen, freuten wir uns erstmal wieder sehr über die Bargeldgesellschaft: Schliessfachbenutzung nur mit Münzen („Kein Rückgeld!“), und selbstverständlich waren alle drei daneben befindlichen Münzwechsler defekt und die Verkäufer*innen der umliegenden Geschäfte genervt. Aber Hauptsache, es heisst nicht mehr Schliessfächer, sondern Gepäckcenter…!!!

Nachdem der Ähämann die Misere durch den Erwerb zweier Streuselschnecken an zwei verschiedenen Backständen gelöst hatte, fuhren wir mit der U-Bahn zum Alexanderplatz, denn die Kinder Jugendlichen wollten noch ein bisschen im Alexa shoppen.

Abendbrot beim Steh-Taiwanesen, zurück mit der U-Bahn, letzter Proviantkauf im Bahnhofs-Supermarkt und bei einem der vielen Bahnhofsbäcker.

Und dann hatte sich der Kreis geschlossen.
(Obgleich wir noch einen Tag und zwei Nächte Reise vor uns hatten).

Der Snälltåget fährt immer von Gleis 14, und das ist  ist prima, denn Gleis14 hat im Gegensatz zum Tiefbahnhof Aussicht bis zum Fernsehturm und auf S-Bahnen und jede Menge Züge von Regionalbahn bis ICE. Manchmal fahren vier oder fünf Züge gleichzeitig und man kommt sich vor wie auf einer Modellbahnanlage.

Der Anfang der Fahrt verlief ein bisschen schleppend und wir mussten ziemlich oft anhalten, um Gegenverkehr durchzulassen. Zwischendurch bat die Schaffnerin darum, wegen eines in Kürze zu erwartenden Gewittergusses die Fenster zu schliessen. Als der durch war, mussten wir wieder anhalten, diesmal in Stendal, und der kleine Herr Maus sagte: „Mach mal das Fenster nochmal auf, ich will die gute Stendaler Luft riechen!“, und tatsächlich roch es genau so, wie es in Deutschland riecht im Sommer  auf dem Lande, und wir wurden alle noch ein bisschen wehmütiger.

Dann – wir sind inzwischen völlig routiniert darin – Gepäcktetris, Bettenrichten, Zähneputzen im schaukelnden Gang mit Blick auf in der Dämmerung aus den Feldern aufsteigenden Nebel und rotblinkende Windräder.

Der Ähämann wollte eigentlich den planmässigen Aufenthalt in Hamburg nutzen, um eine leere Pfandflasche und zwei leere Pfand-Joghurtgläser auf den Bahnsteig zu stellen, aber noch vor Hamburg waren wir alle fünf fest eingeschlafen und schaukelten dem Norden zu.

Donnerstag, 20. Juli 2023

Ich wachte kurz davon auf, dass der Ähämann – „Wir sind in Padborg! Gleich kommen die Dänen!“ – in meinem Rucksack nach unseren Pässen grub, die ich allerdings vorsorglich schon griffbereit zurechtgelegt hatte. Dankenswerterweise blieben wir diesmal jedoch, trotz Ankündigung, von der dänischen Passkontrolle ebenso verschont wie von der ausführlichen Anschlüsse-Durchsage in drei Sprachen früh halb sieben in Malmö, so dass wir – von einmal kurz aufstehen und aufs Klo gehen abgesehen – bis halb zehn durchschlafen konnten. Danach Streuselschneckenfrühstück und faules Rumgeliege bis zur Ankunft um 14:10 Uhr in Stockholm.

In Stockholm war es ziemlich frisch, nur 18 Grad; und das war wirklich saukalt, wenn man bedenkt, dass wir zwei Tage vorher noch 20 Grad mehr gehabt hatten. Die Luft war ganz klar und die Farben ganz kräftig, und das alles zusammen fühlte sich echt wie – NEIN!!! – Frühherbst an.

Allerletzter, dringend auf dieser Reise zu tätigender Einkauf.

Dann bestiegen wir die „Glory“ und gingen auf Wunsch der Herren Maus vor dem Schlafengehen noch das Schiff erkunden – aber es bleibt dabei, die in China gebaute „Glory“ ist einfach kein schönes Schiff. Sogar die Dinge, die eigentlich baugleich sind mit denen auf der „Grace“, sind auf der „Glory“ unpraktischer / schlechter verarbeitet / hässlicher.

Freitag, 21. Juli 2023

Wir schliefen wie die Ratze und wachten erst auf, als wir eine Stunde vor Ankunft in Turku geweckt wurden. Das war allerdings immer noch viel zu zeitig, denn wir brauchten ja nur eine Viertelstunde, um uns anzuziehen und das Schiff zu verlassen. Frühstück konnten wir ja zu Hause essen.

Als wir beim Umsteigen am Markt, der julibedingt noch ganz still und leise war, von einem Bussteig zum anderen liefen und ich gewohnheitsmässig an der roten Ampel stehenblieb, obwohl weit und breit kein Auto zu sehen war, sagte der grosse Maus mit leisem Vorwurf in der Stimme: „Weisst du noch, wie wir in Istanbul über die Strasse gegangen sind?!“

Eine halbe Stunde später waren wir zu Hause und versammelten uns, noch bevor wir den Frühstückstisch deckten, andächtig vor der vor fünf Monaten aufgehängten Karte, deren Fähnchen und Fädchen, die viereinhalb Wochen vorher noch nur vage Vorstellungen gewesen waren, sich alle in unvorstellbar schöne Erinnerungen verwandelt hatten.

Das war die tollste Reise, die wir je gemacht haben!

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(1) Turku-Stockholm-Berlin-Prag
(2) Prag
(3) Prag-Wien
(4) Wien
(5) Wien-Bukarest
(6) Bukarest
(7) Bukarest-Istanbul
(8) Istanbul
(9) Istanbul-Sofia
(10) Sofia
(11) Sofia-Athen
(12) Athen
(13) Kineta
(14) Kineta-Patras-Bari-Rom
(15) Rom
(16) Florenz
(17) Pisa
(18) Pisa-La Spezia-München-Berlin-Stockholm-Turku