Heute im Dschungel der Stadtverwaltung: erst in den vierten Stock – „Vierter Stock: Stadtplanungsamt“ – des falschen Gebäudes gestiegen. Vier Treppen wieder runter, Strasse überquert, neuer Versuch. „Vierter Stock: Liegenschaftsamt“, gut, dann eben hier. Gleich neben der Infotafel geht’s durch eine Tür zum Treppenhaus. Vier Treppen hochgestiegen, schwungvoll die Tür aufgerissen… nicht. Tür verschlossen. Eintritt nur mit elektronischem Schlüssel. Neben der Tür ist ein Knopf – vielleicht eine Klingel. Nein. Der Lichtschalter. Scheisse. Denn wenn ich jetzt wieder runtergehe, ist die Tür im Erdgeschoss vermutlich auch von innen zu. Mir wird noch heisser, als mir nach der ganzen Treppensteigerei sowieso schon ist.
Warum ich das auch immer mache…! Dass man in Finnland üblicherweise nirgendwohin durchs Treppenhaus gelangt, sondern nur mit dem Fahrstuhl, das habe ich ja eigentlich schon am allerersten Tag auf dem Meldeamt gelernt. Dort gelangt man vom Eingang gar nicht erst zu irgendeinem Treppenhaus. Ist man mit dem Fahrstuhl hochgefahren und findet nach erledigtem Behördengang oben doch den Eingang zum Treppenhaus, findet man sich unten dann in irgendeinem Hinterhof wieder, aus dem den Ausgang zu finden ungefähr fünf Minuten dauert.
Ich beschliesse, einfach mal kräftig zu klopfen. Und nochmal. Irgendwann kommt eine Frau gelatscht, lacht mich an: „Ach, hab‘ ich doch richtig gehört…!“ Ich lache zurück, danke fürs Reinlassen und suche das Büro, in dem eine DVD mit alten Luftbildern auf mich wartet. „Ah, komm rein!“, begrüsst mich einer, der schlürft grad einen Kaffee und ist nicht älter als ich, und ich denke, warum hab‘ ich bloss diesen Mist angefangen, diese Sache auf Finnisch zu verabreden – Weil sein Name so alt klang? Dabei weiss ich doch, dass man in Finnland Generationen kaum am Vornamen identifizieren kann! – mit dem hätte ich doch wunderbar englisch reden können. Egal. Ich will ja gar nicht mehr Englisch reden. „Nimm dir’n Stuhl, ich zeig dir mal was, das könntet ihr vielleicht auch gebrauchen.“ „Oh, toll!“ sage ich. „Ja, das nähmen wir auch gern!“ Er zerrt eine DVD aus der Schublade, fängt an zu kopieren und entschuldigt sich: „Das geht immer furchtbar langsam bei uns.“ Trommelt ein bisschen mit den Fingern auf die Tischplatte, fragt dann: „Möchtest du vielleicht solange einen Kaffee?“ Er holt sich selbstverständlich auch noch einen.
Ich muss an den finnischen Freund denken, der immer und zu jeder Tageszeit fragt: „Kommst du mit Kaffeetrinken?“ Einmal habe ich zurückgefragt: „Sag mal, wieviele Tassen Kaffee trinkst du eigentlich pro Tag?“ „Och“, hat er aufgezählt, „eine zum Frühstück. Eine, wenn ich auf Arbeit ankomme. Eine zur Kaffeepause. Eine nach dem Mittagessen. Eine zur Kaffeepause. Eine, wenn ich heimkomme. Eine mit meiner Frau, wenn sie heimkommt. Manchmal noch eine abends.“ Mich wundert seitdem nicht mehr, dass die Finnen Weltmeister im Kaffeetrinken sind (übrigens auch im Eisessen, aber das gehört jetzt nicht hierher).
Wir trinken Kaffee und gucken uns Luftbilder an, schwarzweisse, bunte, infrarotgefärbte. Meine Jacke habe ich längst ausgezogen, trotzdem schwitze ich wie Sau nach der Treppensteigerei, der Aufregung, dem heissen Kaffee. Wahrscheinlich habe ich auch den exakt einzigsten Arbeitsplatz Finnlands erwischt, an dem nicht mollige 24 Grad herrschen, sondern an dem man ohne Strickjacke und Handstulpen nach einer halben Stunde mit den Händen auf einer kalten Tastatur anfängt zu bibbern.
Kopiervorgang abgeschlossen. „Danke!“ sag ich. Auch für den Kaffee. Diesmal nehme ich eine andere Tür. Die, die auch zum Fahrstuhl führt. Und steige dann doch die Treppe runter. Bin ich nicht längst im Erdgeschoss? Keine Nummer. Kein Ausgang. Plötzlich finde ich mich im Keller wieder. Ich sehe mich schon wieder in den vierten Stock hochsteigen, an die Tür hämmern und nach dem Ausgang fragen. (Oder das Handy aus der Tasche kramen, den Ähämann, den Arbeitskollegen oder gleich die Polizei anrufen.) Eine Treppe weiter oben fällt mein Blick auf den beschilderten Notausgang. Nach kurzer Überprüfung bin ich mir halbwegs sicher, dass es kein solcher ist, dessen Benutzung ohrenbetäubenden Alarm im gesamten Gebäude auslöst. Ich drücke beherzt auf die Klinke – und stehe irgendwo auf der Rückseite in der frischen Luft. Es bleibt auch alles ruhig. Ich atme erleichtert durch.
Wenn ich Finne wäre, würde ich jetzt erstmal Kaffeetrinken gehen.