oder: Mäusefangen im Archipelago im April
So harmlos fing alles an: in Turku war’s warm, das Boot war schnell beladen, und wir freuten uns auf acht Tage draussen, weit weg vom Büro. Und es wurden wirklich acht unglaubliche Tage – unglaublich schön, unglaublich anstrengend, unglaublich kalt, unglaublich viel Sonne.
Unglaublich schön:
Die ganze Zeit mit dem Boot in dieser unglaublich schönen Landschaft herumzufahren, und diese ganze nahezu unberührte Natur (vor allem jetzt, wenn noch keine Touristen dasind!) – ich habe Robben gesehen, wie vorher nur im Zoo, viele, viele Schwäne, die für mich doch bisher nur auf Parkteiche gehörten, und jede Menge Wasservögel natürlich, und Scharen von Singvögeln, die nach der Ostseeüberquerung nur mit Bauchvollschlagen beschäftigt sind und gar nicht scheu, und sogar einem Mink bin ich begegnet!
Unglaublich anstrengend:
In einem neuen Fanggebiet ankommen, Fallen auf 10 Inseln bringen, früh 250 Fallen kontrollieren, abends 250 Fallen kontrollieren, am nächsten Morgen alle Fallen wieder einsammeln und mit allem Krempel zum nächsten Fanggebiet und zur nächsten campsite umziehen. Dabei an jeder Insel die gleiche zeitaufwändige Prozedur: einen geeigneten Landeplatz suchen, Anker auswerfen, aus dem Boot springen, einen geeignete Stelle suchen, um das Boot zu vertäuen (meist muss es mit einem Spezialhaken, eingehämmert in einen Felsspalt, befestigt werden), Schwimmweste aus, Kiste mit Fallen oder Fangutensilien geschnappt, und los! Danach das Gleiche rückwärts: Schwimmweste an, Haken aus dem Felsen klopfen, Tau einrollen, ins Boot springen, Anker raufholen, auf zur nächsten Insel. 20 Mal am Tag nervt das dann doch!
Ausserdem: jeden Früh um sechs aufstehen und bis abends acht, neun arbeiten.
Unglaublich kalt:
Eigentlich war das Wetter recht schön, nur einen Tag hat es geregnet. Aber ehe es im Archipelago warm wird, das dauert. In der ersten campsite haben wir mit dem holzbetriebenen Küchenherd geheizt und es immerhin auf 11 Grad gebracht. Campsite 2, auf Utö, mit elektrischer Beheizung, war uns dann schon fast zu warm. Campsite 3, ein altes, zugiges Fischerhäuschen, war trotz offenem Kamin überhaupt nicht warmzukriegen, zum Glück war es wenigstens im Schlafsack mollig warm. Die Konsistenz meiner Butter zeigte mir jedenfalls an, dass im Häuschen ungefähr Kühlschranktemperaturen herrschen mussten. Campsite Nummer 4 war uns eigentlich versprochen als mit Strom und Sauna, aber leider waren wir die ersten Besucher nach dem Winter, und weder die Elektritzität noch der holzbeheizte Küchenherd waren irgendwie zum Arbeiten zu bewegen. Mit der Sauna haben wir es dann gleich gar nicht erst versucht. Der raumhohe, runde Kachelofen in der Ecke zeigte seine Wirkung dann immerhin schon 12 Stunden später…
Umso mehr wussten wir dann im Nachhinein das Angebot der Utöer Lotsen zu schätzen, ihre Sauna zu benutzen. Utö ist der südwestlichste Zipfel Finnlands, die letzte grössere Insel vor dem offenen Meer. Im Hafen gibt es ein Grenzschild, das einem sagt, dass man sich jetzt in Finnland befindet, ausserdem eine Militärbasis, einen Leuchtturm auf der höchsten Erhebung der Insel und ein grosses Schifffahrtsüberwachungszentrum gleich daneben. Utö war für uns in den acht Tagen die einzige Station mit ein wenig Zivilisation, es gibt sogar einen kleinen Laden dort, und unglaublich nette, neugierige Menschen. Sogar kleine Kinder fragen dich nach deinem Woher und Wohin. An unserem zweiten Tag auf Utö kam auch ein relativ starker Sturm auf. Es wurde noch kälter, auf See sehr nass, und mir ein bisschen mulmig. Man kommt sich doch sehr wie in einer Nussschale auf hoher See vor, wenn das Boot hart über jede Welle springt und man dabei jedes Mal eine Ladung Salzwasser ins Gesicht gespritzt bekommt. Aber da dran hatte ich mich auch ziemlich schnell gewöhnt. Ich bin ja auch gleich in der ersten halben Stunde, beim ersten Tanken, ins Wasser gefallen. Dank des Ganzkörperrettungsanzugs und der Schwimmweste bin ich ganz und gar trocken geblieben, nur Mikael hatte ein bisschen zu tun, mich wieder ins Boot zu hieven, ich hab’ mich in dem Ding nicht besonders bewegungsfähig gefühlt. Ich bin schliesslich nicht zum Seefahren geboren, aber ich glaube, ich hab’ mich trotzdem nicht zu blöd angestellt.
Unglaublich viel Sonne:
Sonne vom Himmel und Sonne vom Meer, und meine alljährliche Frühsommer-Sonnenallergie hat diesmal, nicht wie sonst auf den Armen, sondern voll im Gesicht zugeschlagen, weil das natürlich die einzige Stelle war, an die die Sonne überhaupt rankam. Das hat mir dann die Freude in den letzten Tagen ein bisschen verdorben. Gleich nach unserer Rückkehr war ich beim Arzt, der hat mir Allergietabletten verschrieben und mir den Tipp gegeben, mich nächstes Jahr langsamer an die Sonne zu gewöhnen. Guter Witz!
Jetzt haben wir fünf Wochen Zwangspause, weil die Seevögel anfangen, auf den Inseln zu brüten und wir dann, um sie nicht zu stören, nicht da hin können. Und danach, wenn meine eigentliche Arbeit beginnt, wird bestimmt alles viel einfacher, weil es wärmer ist, und weil wir länger an der gleichen Stelle bleiben und nicht mehr jeden zweiten Tag umziehen müssen und nicht mehr auf so vielen Inseln gleichzeitig arbeiten. Aber trotzdem – es war ein Abenteuer, und es war wunderschön!