Letzter Ferienmorgen.
Die Sonne lachte auch wieder, und nichts und niemand machte uns den Abschied leicht. Seufz.
Der Weg zum Hafen führte uns nicht nochmal durch die Altstadt, wohl aber an einem Laden vorbei, in dem wir schnell noch einen Miniproviant für die Zugfahrt von Helsinki nach Turku kauften: Quarkriegel, Nurr-Schokolade, Milchreis. Oh, und den schon in Valga besorgten und inzwischen schon wieder dezimierten kleinen Vorrat an Rhabarberlimonade konnten wir auch nochmal aufstocken! „Nimm noch eine!“, sagte der kleine Herr Maus, „Ich kriege die schon fort. Ja, auch zwei. Nein, pack mir ruhig vier Stück in den Rucksack. Ja, wirklich! Ich schaffe das!“
Beladen wankten wir Richtung Hafen.
Noch vor dem Terminal bekam ich – man mag es meinem Gesichtsausdruck ansehen – angesichts der Massen an rollkoffer- und bierwägelchenziehenden Herbstferienrückreisenden die Krise. Ich mag ja im Allgemeinen meine selbstgewählten Landsleute sehr, aber bei den Kreuzfahrern hört es echt auf.
In weiser Vorraussicht hatten wir auch für die Rückfahrt Buffet gebucht, so hatten wir nicht nur einen bequemen Sitzplatz, gutes Essen und beste Aussicht, sondern auch unsere Ruhe. Im Buffetrestaurant sitzen üblicherweise nur die Leute die Fahrzeit ab, die nicht noch schnell billigen Alkohol shoppen oder eine Runde Karaoke singen müssen.
Wehmütig schauten wir auf das sich entfernende Tallinn. Tschüss Baltikum! Das waren sicher die besten Herbstferien, die wir jemals hatten!
In Helsinki am Hafen gibt es für die Zu-Fuss-Passagiere neuerdings ein sogenanntes Ampelsystem: zweitausend Leute müssen sich in die richtige Schlange einreihen. Grün ist für die Passagiere, die eine Kreuzfahrt ohne Landgang gemacht haben – Corona ist ja immer noch nur ein Problem des Auslands – gelb für die, die nachweisen können, dass sie voll geimpft oder genesen sind, und rot ist für alle anderen. Wir reihten uns also brav in die gelbe Schlange ein, vier Handys mit den entsprechenden QR-Codes gezückt.
Nun ist es hier ja so, dass es schon viele Jahre eine digitale Patientenakte gibt, in die man sich einloggen kann, um seine Laborergebnisse, Arztberichte und Rezepte einzusehen, Rezepte verlängern zu lassen oder zu prüfen, welche Impfungen wann aufgefrischt werden müssten. Dort findet sich neuerdings auch der EU-Coronapass. Als PDF. Das kann man sich herunterladen, ausdrucken und bei seinen Pässen liegen haben (wie wir) oder wahlweise auch die QR-Codes ausschneiden und in sein Reisetagebuch kleben (wie wir) – aber was man nicht kann, ist, den QR-Code zeitgemäss und leicht vorzeig- und prüfbar in irgendeine finnische App laden. (Man könne ja einen Screenshot machen und den bei Bedarf vorzeigen.) Wir verwenden deshalb die Corona-Warn-App vom Robert-Koch-Institut. Das war weder in Lettland noch in Litauen noch auf dem Rückweg in Estland, wo inzwischen die Coronaregeln auch verschärft worden waren, ein Problem: unser finnischer Code in der deutschen App war wunderbar mit den lettischen / litauischen / estnischen Coronapass-Lese-Apps lesbar. Aber dann standen wir da in Helsinki am Hafen in der gelben Schlange, und die Frau, die die Coronapässe kontrollieren sollte, guckte hilflos auf meinen QR-Code und fragte dann, ob ich mal ein bisschen runterscrollen könne. Die sollte Coronapässe kontrollieren und hatte keine Lese-App…!
Ich blätterte der Frau – wegen der grünen Schlange sowieso schon auf Krawall gebürstet – unseren Stapel ausgedruckter Impfzertifikate samt unserer Reisepässe auf den Schreibtisch, durch den sie sich dann die nächsten drei Minute suchte, nicht ohne uns ausführlich zu loben, wie toll wir die Dokumente zusammengestellt hätten, und uns einen schönen Urlaub – nichts liegt natürlich näher bei fünf untereinander deutsch sprechenden Personen mit finnischen Pässen und finnischen Impfzertifikaten, die ausserdem wenngleich nicht fehlerfrei, so doch fliessend auf Finnisch kommunizieren – zu wünschen. Danke, ihr mich auch.
Während unserer Herbstferienwoche hat Finnland übrigens auch schnell den Coronapass durchs Parlament gejagt. Wir hatten allerdings zu viel erwartet, als wir dachten, wir könnten uns jetzt in Restaurants und Cafés und auf Veranstaltungen ähnlich sicher fühlen wie während unserer Reise: in Finnland gilt der Coronapass nur als Ersatz für Einschränkungen. Wenn irgendwo aufgrund der Coronalage die Bars nur bis 23 Uhr geöffnet haben, dann darf man eine Bar bis 23 Uhr ohne Coronapass besuchen, muss ihn aber vorzeigen, wenn man erst nach 23 Uhr kommt oder länger als bis 23 Uhr bleiben will.
Es ist ein Wunder, dass mir die Augen vom vielen Rollen noch nicht rausgefallen sind.
Jedenfalls liess man uns wieder ins Land, und nach einer Viertelstunde mit der Strassenbahn, einer Stunde Wartezeit am Helsinkier Bahnhof, zwei Stunden mit dem Zug und sechs weiteren Kapiteln „Herr der Diebe“ waren wir wieder in Turku. Wir verliessen den Zug etwas überstürzt, weil uns erst kurz vor Ankunft aufging – wir sind wirklich schon sehr lange nicht mehr Zug gefahren – dass Turku auf der Strecke ja zwei Bahnhöfe hat und wir vom ersten aus viel schneller an der Bushaltestelle wären und sicher auch noch einen Bus eher schaffen würden. Kurz nach acht waren wir wieder zu Hause.
„Ich bin traurig, dass der Urlaub schon vorbei ist“, sagte der kleine Herr Maus eine Stunde später beim Zubettgehen.
Das waren wir alle.
***
Epilog.
Montagmorgen. „Mama, mein Rucksack ist so leicht!“ „Hast du was vergessen?“ „Weiss nicht.“ „Hast du dein iPad?“ „Ja.“ „Hast du geguckt, dass du wirklich alle Bücher dabei hast?“ „Ja.“ „Dann weiss ich auch nicht.“ „Weisst du was, Mama? Der fühlt sich so leicht an, weil ich mich jetzt an den schweren Rucksack gewöhnt hatte!“
Šiauliai!
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Tag 1: Turku-Tallinn
Tag 2: Tallinn-Riga
Tag 3: Riga-Šiauliai
Tag 4: Šiauliai-Vilnius
Tag 5: Vilnius
Tag 6: Vilnius
Tag 7: Vilnius-Riga
Tag 8: Riga
Tag 9: Riga-Tallinn
Tag 10: Tallinn-Turku