Plan B.
Eigentlich wollten wir ja dieses Jahr über Silvester wieder ins blaue rote Mökki fahren, weil es letztes Jahr um die Zeit in Lappland so traumhaft schön war. Leider ist das blaue rote Mökki vermutlich schon wieder abgebrannt, und als man uns im Februar mitteilte, dass wir nicht ins blaue rote Mökki fahren könnten, war für Silvester schon nichts anderes mehr zu einem halbwegs akzeptablen Preis buchbar.
Und naja. Fuhren wir eben statt nach Lappland nach Tallinn. Da ist auch das Essen besser.
Weil wir, als wir Plan B fassten, noch damit rechneten, dass Václav nicht vor nächstem Sommer bei uns eintreffen würde, beschlossen wir ausserdem, die Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bestreiten. (Die Ticketpreise der finnischen Bahn und die Benzinpreise hierzulande sind im Moment so, dass es tatsächlich sogar für fünf Personen billiger ist, mit dem Zug statt dem eigenen Auto zu fahren. Das kann bittedanke so bleiben.) Ohne Auto kann man zwar keine Grosseinkäufe machen, aber mit dem Zug zu reisen ist auf jeden Fall angenehmer. Gerade die Autobahn nach Helsinki hängt mir echt zum Hals raus.

Und das neue Fährterminal im Helsinkier Westhafen ist auch viel angenehmer zum Warten als das eigene Auto.


Im Tallinner Hafen liegt die „Isabella“, die Zwillingsschwester der „Amorella“, die lange Zeit zwischen Turku und Stockholm fuhr und jetzt schon seit einem Dreivierteljahr bis zu 1800 ukrainische Geflüchtete beherbergt.

Neulich las ich, dass das kleine Estland sehr schnell sehr viele Möglichkeiten geschaffen hat, um aus der Ukraine Geflüchtete aufzunehmen, aber wenig Möglichkeiten hat, sie dauerhaft aufzunehmen und zu integrieren, weswegen jetzt Finnland Hilfe angeboten hat, aber noch unklar ist, wieviele der Geflüchteten willens sind, nochmal in ein anderes Land umzuziehen (zumal eins, das kulturell nochmal zwei Welten von ihrem eigenen entfernt ist). Man kann es sich nicht ausdenken.
Ukraine.
Generell scheint die Solidarität mit der Ukraine umso stärker zu sein, je mehr sich ein Land historisch mit der Situation dort identifizieren kann.

Sehr schön ist das zum Beispiel an der Menge an Protestplakaten und Ähnlichem vor russischen Botschaften zu sehen: allein vorm russischen Generalkonsulat in Turku gibt es mehr davon als vor der russischen Botschaft in Berlin, und in Tallinn war die ganze Strasse vor der russischen Botschaft voller Plakate, Kerzen, Stofftiere, Flaggen und Blumen.
Sogar das estnische Regierungsgebäude (!) war blaugelb angestrahlt.

Hansehäuser und Pflastersteine.
Im Osten ist mehr Glitter.






Museumsliebe.
Passenderweise kam auch in Tallinn am Tag vor Silvester die Warmfront mit Sturm, Regen und Tauwetter, und wir verbrachten Stunden in Museen.
Zuerst im Strommuseum, wohin die Kinder seit Jahren gewollt hatten. Es befindet sich in einem ehemaligen Elektrizitätswerk, und man kann da sehr viele alte Generatoren angucken und alles mögliche (auch Dinge, die nichts unbedingt mit Elektrizität zu tun haben) ausprobieren. Sehr nett, aber ich hätte mir, wie das sonst eigentlich in estnischen Museen üblich ist, bessere Erklärungen zu den einzelnen Exponaten und Versuchen gewünscht.



Silvester begannen wir im Seefahrtsmuseum. Allein schon die Ausstellungshalle – der Hangar eines ehemaligen Wasserflugzeughafens – ist super beeindruckend.

Neben Bojen und anderen Seezeichen, historischen Booten, einer kleinen Sonderausstellung über die Herstellung von Schiffsmodellen und einer über die Tragödie von Juminda – seit wir das Baltikum bereisen, habe ich das Gefühl, Geschichte noch einmal völlig neu lernen zu müssen – sowie vielen Stationen, an denen man selbst etwas ausprobieren kann, ist dort auch ein echtes U-Boot ausgestellt.

Nun ist ein U-Boot so ziemlich das Gruseligste, das ich mir vorstellen kann, und es hat mich wirklich Überwindung gekostet, durch die enge Torpedoluke in die „Lembit“ hineinzuklettern, aber es war auch wirklich beeindruckend.



Leider war das der Tag, an dem ich befürchtete, mal wieder mit E111 ein estnisches Krankenhaus aufsuchen zu müssen. Ich war nicht nur immer noch fürchterlich kaputt, sondern mir tat von den Zähnen über die Wangenknochen bis zur Stirn alles verdächtig weh – die Silvestersauna mit viel Dampf hat’s dann aber offensichtlich gerichtet – so dass ich es zum Schluss gerade noch geschafft habe, mich einmal durch alle Räume des historischen Eisbrechers, der draussen vor dem Museum im Hafen liegt, zu schleppen, bevor ich wirklich nicht mehr konnte.

(Man hätte sicher noch ein, zwei Stunden mehr dort zubringen können.)
Ferienwohnung mit Aussicht.

Ferienwohnung mit Aussicht (2).

Neujahrsspaziergang.
Unser Neujahrsspaziergang führte uns von der Linnahall, einem dieser grössenwahnsinnigen sozialistischen Prestigeobjekte, die jetzt vor sich hinrotten, durch den Hafen und über die in den letzten Jahren sehr hübsch gestaltete Strandpromenade, die wir bisher immer nur vom Auto aus bewundert haben, bis zum Strand auf der anderen Seite der Hafenbucht.





Perfektes Timing.
Während wir wegwaren, waren hier 6 Grad (plus!) und Regen. Als wir am Abend des 2. Januar wieder in Turku eintrafen – und Gott sei Dank noch fast eine Woche Ferien vor uns hatten! – schaukelten riesige Schneeflocken vom Himmel.
