Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Selbstverständlich

Neulich traf ich mich mit der ukrainischen Finnischkurskollegin zum Kaffeetrinken. Wir beredeten unsere gegenwärtigen Jobs, und dann die Kinderbetreuung, und welche Sprachen unsere Kinder sprechen, und wie toll das ist mit dem Extra-Finnischunterricht für Ausländerkinder und den zwei Stunden pro Woche Unterricht in der eigenen Muttersprache, und wir schwärmten davon, wie super unser Finnischkurs – vor, oh Gott, sechs Jahren schon? – damals war, und ich erwähnte, dass sich anderswo Politiker allen Ernstes hinstellen und fordern können, Ausländer sollten zu Hause in der Landessprache miteinander reden.

„Manchmal vergisst man, wie gut wir es als Ausländer hier haben. Ich nehme zu viele Dinge hier für selbstverständlich“, seufzte darauf die Finnischkurskollegin.

Gestern erst wieder. Wir hatten einen Termin in der… äh… Erziehungsberatung nennt man das wohl auf Deutsch, weil der Rabauke seinen Betreuern im Kindergarten Sorgen macht, und dann sassen wir da so: Vater, Mutter, Lieblingsbetreuerin, Psychologin, Sozialarbeiterin – und Dolmetscherin, weil man die uns einfach mal selbstverständlich mit dazubestellt hatte.

***

Und ich finde es auch nicht selbstverständlich, dass, wenn der Kindergarten ein Erziehungsproblem hat, die Verantwortung dafür weder auf die Eltern abgeschoben noch das Kind eben achselzuckend als „Problemkind“ eingestuft wird. Ich finde es sehr rührend, und es macht mich sehr glücklich, dass sich so viele Leute so ernsthaft um das Wohlergehen des kleinen Herrn Maus bemühen.


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Die Bettwäsche aus Malmö

Wir schlafen in Reiseerinnerungen.

Und das kam so:

Nachdem wir im Sommer die Erprobung des Landweges “nach Europa” erfolgreich absolviert hatten, war klar, dass wir so auch im Advent ins Erzgebirge fahren würden.

Als wir im Sommer von der brandneuen Schwedenfähre gerollt waren, hatte der leicht fiebernde Ähämann gefragt, ob ich erstmal ein Stückchen fahren könne. Ich fuhr ein Stückchen. Es rollte sich so dahin über die sommerhelle, leere schwedische Autobahn. Ich fuhr auch nach der ersten Pause weiter und nach der zweiten. Ich fuhr über die beiden grossen Brücken, durch Dänemark und ein Stück durch Norddeutschland. Ich fuhr fast 1100 km. Nur die letzten 20 km fuhr der Ähämann, weil ich die Karte lesen musste.

Im Dezember wechselten wir uns alle paar hundert Kilometer ab. Wir kamen im Stockdunklen in Stockholm an und quälten uns den ganzen Tag durch diffuses, dunkelgraues Winterlich. Cola half nicht, Kaffee half nicht, reden half nicht, essen half nicht, Musik half nicht – nach jeweils zweihundert Kilometern fielen uns fast die Augen zu.

Wir hakten Landmarken ab. Norrköping, wo das Fräulein Maus immer „Hier wohnt Ella Frida!“ ruft. Linköping, wo die Flugzeuge am Strassenrand aufgestellt sind. Der Vätternsee. Jönköping, wo wir immer in einem riesigen Supermarkt auf Toilette gehen und Bananen und Saft kaufen.

An ausgedehnte Pausen war auch diesmal nicht zu denken. Das Wetter zu kalt, zu nass, zu stürmisch. (Wir lasen Warnschilder, dass “windempfindlichen” Autos wegen des starken Sturms von der Benutzung der Öresundbrücke abgeraten wird.) Andererseits hatten wir alle Zeit der Welt 16 Stunden Zeit, um die läppischen 650 km von Stockholm nach Trelleborg hinter uns zu bringen. Denn anders als im Sommer fuhren wir im Dezember nicht von Stockholm bis Norddeutschland durch, sondern nahmen die Nachtfähre von Trelleborg nach Rostock, so wie der Damals-noch-nicht-Ähämann und ich mit dem J-FI, damals, als wir drei Monate lang nach Finnland umzogen zwei Mal innerhalb von drei Monaten zwischen Jena, Turku und Bielefeld hin und her fuhren.

Wir hatten viel Zeit totzuschlagen. Sehr viel Zeit.

Und deswegen durften die Kinder nach 600 Kilometern endlich auf einen Spielplatz. Einen ohne Regen, ohne Kälte, ohne Finsternis, ohne Sturm: wir schickten sie ins Småland im Malmöer IKEA. Sehr zu Fräulein Maus’ Freude liegt in Schweden die Altersgrenze fürs Småland bei 10 Jahren – und nicht wie bei uns bei 7 – so dass sie alle drei gemeinsam gehen konnten. Sie fanden es auch sehr lustig, dass sie jeder eine Weste mit Nummer überziehen mussten statt wie hier einen Namensaufkleber aufs Shirt zu bekommen. Und wir Eltern fanden besonders lustig, dass man fürs Anmelden und Abholen eine Nummer ziehen und dabei auch gleich die Anzahl der Kinder angeben muss. Dass sie sich mit niemandem verständigen könnten, schreckte die Mäusekinder kein bisschen. Schliesslich sind sie erfahrene Smålandgänger! Schliesslich gingen sie ja gemeinsam!

Und so kam es, dass der Ähämann und ich plötzlich eine Stunde frei hatten. Wir guckten ein bisschen hier und ein bisschen da, und die gepunktete Bettwäsche, die wir schon seit Monaten angehimmelt hatten, die… nahmen wir einfach mit.

Dann holten wir die Kinder aus dem Småland ab, assen ein Zwei-Gänge-Menü im IKEA-Restaurant, das besser war als alles, was man an schwedischen Raststätten kriegen kann, und waren uns einig, dass wir auf der Rückfahrt genau wieder so eine Pause machen würden, in irgendeinem anderen IKEA, an dem wir zu passender Zeit vorbeikämen.

Nun hätten wir die gepunktete Bettwäsche natürlich auch zu Hause in Turku kaufen können. (Oder in China.)

Aber dann wäre es halt irgendwelches Bettzeug. Die Bettwäsche aus Malmö aber, die erinnert mich jeden Morgen, wenn ich sie glattstreiche, jeden Abend, wenn ich sie über einem Kind zurechtrücke, jedes Mal, wenn ich sie in die Waschmaschine stopfe, jedes Mal, wenn ich sie zum Trocknen auf die Leine hänge, daran, wie wir uns einmal fast in einem verlassenen Elchpark eingesperrt hätten, daran, wie wir dem grossen Herrn Maus grünen Nagellack kauften, daran, wie ich einmal Bananenpizza ass, daran, wie die Kinder in Trelleborg am Hafen einfach zwei Stunden friedlich in ihren Autositzen schliefen, bis wir 23 Uhr endlich auf die Fähre durften, daran, wie wir einmal Schwerverbrecher waren, daran, wie der grosse Herr Maus einmal neben dem Heizer und dem Lokführer auf einer Dampflok mitfahren durfte, an Weihnachtsmärkte, Heimatmuseen und Pyramiden, an den Tag, an dem wir der liebsten Freundin und dem Räupchen das adventliche Erzgebirge zeigten. An einen ganz wunderbaren Urlaub. Und vor allem daran, wie grossartig Reisen mit unseren Kindern ist.


Ein Kommentar

Zeitreise

Heute bin ich zehn Jahre zurückgereist.

Seit das Fräulein Maus buchstabieren kann und im Vorbeifahren das Wort Uimahalli entziffert hat, hat sie gebettelt, ob ich mit ihr nicht auch mal in diese kleine Schwimmhalle gehen kann.

Erst musste sie richtig schwimmen lernen, weil es dort kein Kinderbecken gibt. Dann haben wir es zwischendurch wieder vergessen. Dann war immer irgendwas anderes. Aber heute ging ich endlich mit ihr hin.

Vor ziemlich genau sieben Jahren war ich zum letzten Mal da. Aber als wir heute da rein kamen, uns zwei Schlüssel am Gummiband ausgehändigt wurden (nachdem das Fräulein Maus kurzerhand als Studentin deklariert worden war, weil Kinder dort in der Preistabelle gar nicht vorgesehen sind) und uns dieser unverkennbare Chlorgeruch entgegenschlug, den es in modernen Schwimmhallen gar nicht mehr gibt, da fühlte ich mich sofort zurückversetzt in den Winter bevor der grosse Herr Maus geboren wurde, als ich mich im Endspurt für meine Doktorarbeit befand und regelmässig direkt vom Schreibtisch weg mit der deutschen Freundin dorthin zum Schwimmen und Schwatzen ging – sehr ernst nahmen wir das nämlich nicht mit dem Sport – um danach mit dem Gefühl, mehrere Zentner zu wiegen, dem Wasser zu entsteigen und mich und den dicken Babybauch in die Sauna zu schleppen.

Nichts hat sich seither dort geändert. Das Holz in der Sauna ist vielleicht noch ein bisschen dunkler geworden. Dafür riecht es in ihr immer noch so, wie es in einer richtigen Sauna riechen muss, ein bisschen so wie die Sauna auf der geliebten Forschungsstation, ein bisschen wie die Eisbadesauna, bevor sie renoviert wurde. Über dem Schwimmbecken hängt genau die gleiche Werbung wie vor zehn Jahren. (Ich bezweifle, dass es ausser Silja Line noch irgendetwas davon gibt. Und wenn, dann garantiert nicht mehr unter der inserierten Adresse.) Immer noch strampeln alte Frauen im Wasser und kraulen Studentinnen ihre Bahnen.

Ich bin weniger geschwommen als vor zehn, neun, acht, sieben Jahren. Für das Fräulein Maus waren die 25m pro Bahn nicht nur ein Klacks, sie schwamm sie überdies mit mir um die Wette, und ich habe nur noch knapp gewonnen.


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Am liebsten (2)

Das Fräulein Maus schrieb neulich unter dem Punkt “Lieblingsmusik” in ein Freundebuch:

Wenn ich selbst spiele.

Kein Wunder, wenn man bei sowas mitspielen darf…!

(Also, wegen des gemeinsamen Spiels jetzt. Das ach so tolle Original kennt das Fräulein Maus – „Wie, echt nicht?!“ – gar nicht. Disneyscheiss Animationsfilme reissen in unserer Familie niemandem vom Hocker. Das Fräulein Maus bat sogar schon mal inständig darum, am nächsten Tag nicht in den Hort zu müssen, weil dort als besonderes Ereignis “Schon wieder so ein Film!” gezeigt werden sollte.)

Ich wünschte, ich hätte seinerzeit nicht immer nur einsam Etüden vor mich hin kratzen müssen…

[Am liebsten (1)]


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kaksisataayksi

Ich hatte ja schon fast die Hoffnung aufgegeben. Schliesslich waren seit der 200 schon fast zwei Monate vergangen. Zwei Monate, in denen ich unzählige 198en, 199en, 200en nochmal gesehen habe und auch schon mal bis zur 204 gekommen wäre, wenn ich… wenn ich nur endlich eine 201 gesehen hätte!

Und als ich dann am Montag den Herrn Picasso mit Harfe im Kofferraum durch den Feierabendverkehr lenkte und innerlich fluchte, weil sich das Radio mal wieder aufgehängt hatte – das Radio, das man nicht austauschen kann, und das mit Abstand das billigste Bauteil in unserem Auto sein muss – als ich also so im Schneckentempo von roter Ampel zu roter Ampel fuhr, an der ich dann jeweils versuchte, die gewünschte Musik wieder zum laufen zu bringen, da hätte ich fast nicht mitgekriegt, dass die 201 schon seit mindestens drei Ampeln vor uns herfuhr.

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Wählen auf Finnisch

Heute ärgere ich mich, dass ich – mangels entsprechender Staatsbürgerschaft – bei den Parlamentswahlen am Sonntag nicht wählen darf.

Nicht nur, dass ich gern eine Stimme hätte, wenn es um die Geschicke des Landes geht, in dem ich lebe und in dem meine Kinder aufwachsen.
Nicht nur, dass ich den Analphabeten von den Wahren Finnen, die als einzige immer wieder Wahlwerbung in unseren Briefkasten schmeissen, über dem gross und deutlich und in Landessprache “Bitte keine Werbung einwerfen!” steht, gerne wenigstens meine eine kleine Stimme entgegensetzen würde.
Nicht nur, dass mir sogar das Aussuchen eines passenden Kandidaten eine willkommene Abwechslung vom Zahlenhinundherschieben wäre.

Es wäre vor allem… so… einfach.

Seit letzter Woche schon kann man vorwählen – nicht nur per Briefwahl, sondern auch in Supermärkten, auf Postämtern, in Bibliotheken. Bei uns in der Uni ringelten sich heute die Studenten mit ihren Wahlzetteln die Treppe hoch. Für die, die eigentlich zu einem anderen Wahlkreis gehören, lagen vor der Wahlkabine – denn in die Wahlkabine passt tatsächlich nur eine – die anderen 12 Kandidatenlisten aus. Nicht einmal in dem Ort, in dem man gemeldet ist, muss man zur Wahl gehen! Wer seine Wahlbenachrichtigung vergessen oder verschlampt hat, der braucht nur seinen Pass oder seinen Führerschein vorzeigen.
Wann habe ich in Deutschland jemals unter so wenig Aufwand und Aufhebens an einer Wahl teilgenommen?!

Mein besonderer Neid aber gilt allen Finnen im Ausland. Die dürfen nämlich einfach so – so haben auch die ehemalige Mitdoktorandin in Berlin, meine finnische “kleine Schwester” in Amsterdam und die Bekannte in Addis Abeba letzte Woche ihre Kreuzchen gemacht eine Zahl in einen Kreis geschrieben – auf den finnischen Botschaften und in finnischen Konsulaten vorwählen!
Ich habe nach einmaligem Versuch, im umgekehrten Fall das Gleiche zu tun – was mit Wochen dauerndem Briefwechsel und absurdem Formulareausfüllen verbunden war – aufgegeben. Ich habe schon seit 2005 nicht mehr für Deutschland gewählt. Und das liegt zum geringsten Teil an meinem inzwischen leicht geminderten Interesse an deutscher Politik.