Oder: wie wir jetzt statt Poststreik fast einen Generalstreik haben
Ich hatte ja nicht geglaubt, dass es soweit kommen würde, dass sogar die Schwedenfähren in den Häfen bleiben. Denn die sind – als quasi einziger Landweg „nach Europa“ und fast mehr noch im Vergnügungsbusiness – eine Institution. Aber nun liegen sie doch seit gestern alle in den Häfen; als wir gestern mit den Hortkindern auf dem Sportplatz waren, ragte die „Amorella“ am hellerlichten Tag über die neugebauten Hochhäuser, und die „Grace“ leistet ihr seit gestern Abend Gesellschaft.
Die Verhandlungen sind… kompliziert. Und vorerst am Wochenende gescheitert.
Es wird jetzt auch keine Post mehr ausgetragen, die Postfilialen bleiben geschlossen, und das Streikende – sollte es vorher keine Einigung geben – wurde vom 8. auf den 20. Dezember verschoben.
Die Zahl der Sympathiestreiks wächst täglich. Finnair hat gestern 300 Flüge canceln müssen, weil auf den Flughäfen kein Gepäck verladen wurde, es kein Catering und keine Sicherheitskontrollen gab. Die Eisenbahner und die Stauer in den Häfen schliessen sich jetzt auch den Streiks an.
Und weil gerade bei vielen Gewerkschaften Tarifverhandlungen anstehen, werden Angestellte der Stadt Turku die nächsten drei Tage auch streiken: es werden nur wenige Buslinien fahren, es gibt nur Notbetreuung in den Kindergärten und den Schulhorten, wir werden wieder Schulbrote schmieren und Thermosbehälter füllen müssen, und unsere Hortkinder – wir sind nicht bei der Stadt Turku angestellt und streiken nicht – werden wieder drei Tage lang Cornflakes und Blaubeersuppe zum Vesper bekommen und sich freuen, dass sie wieder selbst abwaschen dürfen.
Es ist der wohl umfassendste Streik, den wir in den 16 Jahren, die wir hier wohnen, erlebt haben.
Wir leiden da ganz konkret auch selbst drunter: wir haben gestern für alle Fälle eine sauteure Fährüberfahrt von Helsinki nach Stockholm mit dem einzigen Fährschiff gebucht, das auch dann fahren wird, wenn der Streik bis nächsten Donnerstag nicht beendet ist – die Silja Symphony fährt unter schwedischer Flagge – um nicht tatsächlich über Haaparanda oder durchs Baltikum und Polen ins Erzgebirge fahren zu müssen. Wir haben von Freunden ein Päckchen geschickt bekommen, das auf der Postfiliale liegt, aber uns nicht ausgehändigt wird. Wir haben für die Kinder vor zwei Wochen Bücher zu Weihnachten bestellt und wissen nicht, ob wir sie ihnen unter den Baum legen können werden.
Es tut mir sehr leid für alle Adventskalenderbesteller, denn wie es aussieht, werden alle Kalender, die nach dem 10. November verschickt wurden, nicht mal annähernd pünktlich ankommen. Selbst wenn der Streik sofort beendet würde, hat sich inzwischen so viel Post angesammelt, dass es Wochen dauern wird, bis alles abgearbeitet ist. (Und bitte entschuldigt, dass ich euch nicht allen persönlich auf eure Nachfragen antworten kann!)
Und dennoch finde ich den Streik richtig. Es wird so heftig gestreikt und es gibt so viele Sympathiestreiks, weil es ein Präzedenzfall ist: wenn jetzt die Post damit durchkommt, ihre Angestellten – erst war die Rede von allen (was aber verhindert werden konnte), jetzt „nur“ noch von 700 Paketausträgern – einfach so unter einen für sie günstigeren Tarifvertrag zu stellen, der aber Lohnkürzungen und überhaupt schlechtere Bedingungen für ihre Arbeitnehmer bedeuten würde – dann werden das andere Unternehmen genauso machen.
Und insgeheim glaube ich, ein Grossteil der Verbissenheit, mit der jetzt gegen die Post gekämpft wird, ist dem lange angestauten Frust über das Missmanagement der Post in den letzten Jahren zuzuschreiben, das sich auch für die normale Bevölkerung in astronomischen Preissteigerungen für Brief- und Paketbeförderung, Schliessung fast aller Filialen, ewigen Postlaufzeiten (Wenn man jetzt garantiert einen Brief am nächsten Tag zugestellt bekommen möchte – was jahrelang selbstverständlich war! – muss man eine 1,50 € teure „Plus“-Briefmarke neben die normale Briefmarke auf den Brief kleben, womit sich das Porto verdoppelt!!!) und immer schlechterem Service (Hab‘ ich schon mal erzählt, dass hier seit ein paar Jahren dienstags keine Post mehr ausgetragen wird?!) bemerkbar gemacht hat.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Beissen wir einfach weiter die Zähne zusammen, bis es zu einer vernünftigen Einigung kommt!