Als wir im Sommer Urlaub in Estland machten, wohnten wir in einem Ferienhaus, das nicht nur die aussergewöhnlichste und tollste Einrichtung hatte, die wir jemals erlebt haben, sondern in dem es auch einen Plattenspieler samt einer umfangreichen Schallplattensammlung gab.
Die Kinder waren begeistert. „So habt ihr Musik gehört als Kinder?!“ „Wie funktioniert das denn?“ „Darf ich auch mal?“ Sie waren so begeistert, dass sie sogar Videos vom Musik abspielenden Plattenspieler an ihre besten Freund*innen schickten.
Wir Eltern waren ebenfalls begeistert. Was für eine allumfassende Musiksammlung! Lachend entzifferten wir Dire Straits auf Kyrillisch, erfreuten uns an auf Russisch übersetzten Nirvana-Songtiteln und „Guck mal hier, eine ETERNA-Schallplatte!“ und liessen die Kinder abspielen, was sie wollten.
Und dann kriegte ich Herzchenaugen.
(Vielleicht auch schon Herzchenohren, noch bevor ich einen einzigen Ton davon gehört hatte.)

Auf der Schallplatte ist die schönste Version von „Maria durch ein‘ Dornwald ging“, die ich jemals gehört habe. (Also vielleicht sind darauf von allen bekannten Weihnachtsliedern die schönsten Versionen, die ich jemals gehört habe.) Und Choräle und Volkslieder sind gleichermassen so perfekt gesungen, dass ich immer noch bei jedem Anhören Gänsehaut bekomme.
Das war mal gleich klar, dass diese Aufnahme des Dresdner Kreuzchors von 1984 in unsere Weihnachtsliedersammlung muss.

Mitten im Hochsommer freuten wir uns auf den Advent.
Und jetzt enthält unser Advent ein bisschen Hochsommer. Den mitternachtsblauen Himmel über der Ostsee vor dem Fenster. Das Stückchen Melonenschale, das nötig war, um den Tonarm so weit herunterzudrücken, dass die Schallplatte nicht leierte, aber der tiefe Kratzer, der durch „Alleluja! Freuet euch, ihr Christen alle!“ ging, nicht dazu führte, dass der Kreuzchor bis in alle Ewigkeit „Alleluja!“ sang. Die Erinnerungen an eine wunderbare Reise, die gar nicht geplant war, aber das Wunderbarste war, das der zweite Coronasommer uns beschert hat.