Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Where the heart is

Am Anfang ist ja alles einfach.

Erst zieht’s einen in die Ferne. Und wenn’s einem in der Ferne gefällt, bleibt man da, wenn es nur irgendwie möglich ist. Fühlt sich angekommen. Wenn man dann zudem noch das Gefühl hat, das sei auch ein guter Platz, um Kinder in die Welt zu setzen, dann tut man das.

Und wenn man dann einmal Kinder hat – wird alles kompliziert. Wie immer.

Man denkt so: Die Landessprache lernt das Kind schon von ganz allein.
Bis einen das dreijährige Kind mit so einem Beben in der Stimme fragt, warum man nicht in Deutschland wohne, da, wo alle deutsch sprechen.
Bis man merkt, wie aufgedreht die Kinder jedesmal werden, wenn im Flugzeug, auf dem Schiff die Mitreisenden Deutsche sind und in ihrer Sprache mit ihnen reden.
Bis das fünfjährige Kind einem seine ernsthaften Heiratspläne erklärt: „Das dauert ja dann auch, bis ich eine Frau gefunden habe. Ich muss da ja extra nach Deutschland fahren. Ich will doch keine finnische Frau, ich will doch deutsch mit meiner Frau sprechen. Ich bin doch ein deutscher Mensch!“

Man denkt so: Die deutschen Traditionen, die uns wichtig sind, die geben wir natürlich auch in der Ferne an unsere Kinder weiter.
Bis einem auffällt, dass man in Erklärungsnot kommen wird, warum der Nikolaus über Nacht was in die Stiefel der eigenen Kinder gesteckt hat, aber bei keinem einzigen Kindergartenfreund war. (Zum Glück ist hier am 6. Dezember Feiertag, da wird es noch eine Weile nicht auffallen.)
Bis man anfängt, dem Vorschulkind zu erklären, dass es selbstverständlich zum Schulanfang eine Zuckertüte bekommen wird, aber dass sie damit die einzige aus ihrer Klasse sein wird, und dass es deshalb keine so gute Idee sein wird, die Zuckertüte am ersten Schultag mit in die Schule nehmen zu wollen.

Man denkt so: Sollen wir vielleicht doch die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen? Mindestens der Kinder wegen, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben, die Finnland als ihr Heimatland ansehen, die jederzeit die Möglichkeit haben sollen, zurückzukehren, egal, wohin es sie einmal verschlagen wird.
Bis einem einfällt, dass man ja zwei Jungs hat, die dann eventuell hier Wehrdienst leisten müssten, während der in ihrem offiziellen Heimatland inzwischen abgeschafft wurde.

Man denkt so: Gibt ja eigentlich kein besseres Land für wenn man kleine Kinder hat. Stimmt ja so auch.
Bis man denkt: Aber will ich auch, dass die Kinder hier ihre Teenagerzeit verbringen? Will ich, dass sie diese freitägliche Saufkultur als normal ansehen? Will ich, dass das Fräulein Maus mal so einen finnischen Stoffel heiratet? Will ich, dass der gutmütige grosse Herr Maus sehr wahrscheinlich später einmal von einer emanzipierten finnischen Frau sitzengelassen wird, die es völlig normal findet, sich scheiden zu lassen, weil das ihre Eltern und die Eltern ihrer meisten Klassenkameraden schliesslich auch schon so gemacht haben? (So Quatsch eben, der in Müttergehirnen vorgeht… nein, ich werde mal nicht so eine Schwiegermutter! ;-) )

Ohne Kinder hat man sogar immer gedacht: Vielleicht ziehen wir später noch woandershin. Wenn schon nicht zurück nach Deutschland… gibt ja viele schöne Länder auf der Welt.
Bis man merkt: Mit Kindern gibt es nur noch ein entweder…oder. Ihnen nochmal eine neue Sprache zumuten? Sicher nicht. (Von unterschiedlichen Schulsystemen und Einschulungsaltern ganz zu schweigen.)

Man fühlt sich ein bisschen – wie es eine Freundin neulich formulierte – als ob man mit der Wahl des einen oder des anderen Wohnortes über zwei völlig verschiedene Leben für seine Kinder entschiede. Eine Verantwortung, die mir oft zu gross erscheint. Von der ich manchmal insgeheim hoffe, dass mir sie jemand abnimmt.

Aber als jetzt zwei Wochen lang das Damoklesschwert einer Kündigung (des Ähämanns, wegen Sparmassnahmen) über uns hing, da habe ich gemerkt: es würde mir das Herz brechen, hier weggehen zu müssen, die Kinder aus ihrem Geburtsland reissen zu müssen.

Home is where the heart is.

Und das ist letzten Endes vielleicht das Einzige, worauf es ankommt.


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Carpe diem

Ist ja nicht so, dass wir am Wochenende nicht jede Menge liegengebliebener Hausarbeit abzuarbeiten gehabt hätten. Oder bis Ende der Woche Urlaubsausrüstung für drei Wochen in Taschen und Koffern verstaut sein müsste.

Aber wir waren dieses Jahr ja noch gar nicht in Seili.

Und der Sommer ist sowieso viel zu kurz.


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sata

Die 100 kann ich sehen, während ich an meinem Schreibtisch sitze und das hier schreibe. Die gehört einem Nachbarn.

Wenn ich jetzt das gesamte Kennzeichen hier schriebe, könnte ich übrigens auch gleich unsere vollständige Adresse hier angeben. Neuerdings muss man nicht mal mehr anrufen, um die Daten eines Fahrzeughalters in Erfahrung zu bringen. SMS genügt.

Und ab jetzt wird’s dann wohl schwierig…

[1-3, 4, 5, 6, 7, 8, 9-10, 11, 12, 13, 14, 15, 16-17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32-35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59-61, 62, 63, 64, 65, 66, 67-68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99]


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yhdeksänkymmentäyhdeksän

Die E63 und mich verbindet so eine Art Hassliebe. Sie hängt mir zum Hals raus. (Und dabei ist es vollkommen egal, ob wir die 300 km bis Jyväskylä oder die 30 km zum Erdbeerpflücken oder eben die 130 km bis zum Lokomotivenmuseum fahren.) Aber einmal, auf einer nächtlichen Heimfahrt, loderte stundenlang ein Nordlicht rechts von ihr. Und im Sommer ist es eigentlich recht schön, da zu fahren.

Erst recht im Juni. Da ist es regelrecht idyllisch.

Vor dem Fenster wechseln sich ab: ein Stück Wald, ein Roggenfeld, ein Stück Wald, ein Feld mit einer Scheune drauf, ein Stück Wald, ein Bach, an dem schon Schwertlilien blühen, ein Roggenfeld mit einem rotweissen Bauernhof dahinter, ein Stück Wald, eine Wiese. Am Himmel ziehen die Sommerwölkchen ein Schauspiel ab. Sie sind besonders weiss, der Himmel besonders blau, die Felder mit dem frischen Getreide besonders grün. Die Birken wedeln mit ihren Blättchen, die Fichten recken sich reglos zum Himmel. Die Strassenränder sind rosa und lila von Lupinen. Über das Grün der Wiesen hat der Wiesenkerbel ein Spitzentuch gelegt. Junge Bachstelzen sitzen am Strassenrand und fliegen erst im allerletzten Moment auf. Einmal steht ein Reh am Strassenrand, dreht sich um und verschwindet in den Wald.

Dass ich über dem ganzen Naturschauspiel die 99 überhaupt gesehen habe – und zwar ohne, dass mich der fahrende Ähämann darauf aufmerksam machen musste! – gleicht schon fast einem Wunder. (Ein Landrover. Sonst hätte ich vermutlich tatsächlich nicht hingeguckt.)

[1-3, 4, 5, 6, 7, 8, 9-10, 11, 12, 13, 14, 15, 16-17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32-35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59-61, 62, 63, 64, 65, 66, 67-68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98]


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Im Lokomotivenmuseum

In Toijala gibt es, in einem alten Lokschuppen, ein kleines Lokomotivenmuseum. Dass wir noch nie da waren, liegt daran, dass wir noch nie davon gehört hatten. (Das geht wohl den meisten Leuten so. In den drei Stunden, die wir dort verbrachten, waren gerade einmal drei Familien da. Uns eingeschlossen.)

Schade eigentlich. Denn es ist sehr schön da.

Wir schauten ehrfürchtig zu den blankpolierten Kolossen auf. Wir sahen den Schwalben hinterher, die zwitschernd durch den Lokschuppen zickzackten. Und wir staunten über finnische Kuriositäten: Dass – wir wussten es schon – finnische Dampfloks mit Holz statt Kohle beheizt wurden. Und dass die Sauna für die Lokführer und Lokinstandhalter, die es in einem finnischen Lokschuppen natürlich gibt, früher keinen Saunaofen besass – sondern einfach mit Dampf aus einer Lok betrieben wurde.

Hinterher zwei Stunden auf der sonnigen Wiese vor dem Lokschuppen zu vertrödeln, während die Mäusekinder abwechselnd mit einem sozusagen zum Museum gehörenden finnischen Jungen („Arbeitet dein Papa hier?“ „Nee. Ich helfe hier. Das ist mein Hobby.“) im Schienenschneepflug spielten, Kekse assen und die Waggons vorbeifahrender Güterzüge zählten, war besonders schön.

Hingehen! (Aber Bargeld mitnehmen! Unser Museumsbesuch begann mit einem Ausflug zum nächsten Geldautomaten. Das Lokomotivenmuseum ist einer der wenigen Plätze in Finnland, an denen man nicht mit Karte zahlen kann.)


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Abends im Park

Kurz vor Mitternacht. Die Sonne ist vor einer Stunde untergegangen, aber es ist hell. Nicht taghell, aber auch nicht dunkel. Sommernachtslicht. Der Sprosser sitzt in der blühenden Traubenkirsche und flötet so laut, dass man kaum glauben kann, dass ein so kleiner Vogel so grosse Töne produzieren kann.

Und im Park ist noch richtig was los:

Fünfzehn Leute joggen vorbei. Acht führen ihre Hunde aus. Zwei spielen Frisbeegolf. Einer spielt Basketball.

Und zwei gehen mit Leiter und Kescher spazieren.
(Die sind auf Eichhörnchenjagd.)