Frühling in der Luft. Ganz deutlich. Auch wenn nach deutscher Definition hier noch zwei Monate tiefer Winter herrschen wird.
Monatsarchiv: Januar 2011
Schule?
Ich erschrecke jedes Mal, wenn ich über ein Kind von Freunden oder das eine oder andere Bloggerkind, das genauso alt ist wie das Mäusemädchen oder gar ein paar Monate jünger, höre: „Nächstes Jahr fängt für ihn / sie ja dann schon die Schule an.“ Schule? Das ist hier noch ganz weit weg.
Nicht, dass das Mäusemädchen nicht gern jetzt schon in die Schule gehen würde. Seit dem Sommer liegt sie uns damit in den Ohren, dass sie auch bald in die Schule will. Und ich kann sie ja verstehen. Ich konnte es seinerzeit auch nicht erwarten, bis ich endlich in die Schule gehen durfte. Ich weiss noch, wie ich vor Stolz zehn Zentimeter gewachsen bin, als ich als Vorschulkind zum Turntraining in die Schule gebracht wurde und auf dem Gang von einer Hortnerin gefragt wurde: „Du bist nicht zufällig in der 1a?“ Noch dazu gingen alle meine Freunde aus der Nachbarschaft schon ein Jahr vor mir – weil sie auch alle ein Jahr älter waren – in die Schule. Am Anfang stand ich früh am Fenster und schaute ihnen sehnsüchtig hinterher, wie sie mit Ranzen auf dem Rücken in kleinen Grüppchen in die Schule marschierten. Aber ich war dann, soweit ich mich erinnern kann, trotzdem im letzten Jahr vor der Schule nicht komplett unausgelastet und unglücklich, und im Nachhinein betrachtet bin ich froh, dass ich erst mit sieben in der Schule anfangen musste. Ich hatte noch ein Jahr unbeschwerte Kindheit ohne Stress und Terminplan, und manche Dinge hätte ich ein Jahr früher vielleicht nicht einfach so weggesteckt. (Diese kurzen Wochenenden, weil wir ja samstags Schule hatten, waren z.B. furchtbar. Und dass mich plötzlich viele, mit denen ich vorher gut Freund war, für einen Streber hielten – der ich wirklich nicht war, ich konnte das nur einfach alles gleich, ohne grosse Anstrengung – das tat weh. Das weiss ich noch ganz genau.)
Das Mäusemädchen wird auch erst mit fast siebeneinhalb in die Schule kommen, im August 2013. Hier gibt es keinen Stichtag – schon gar keinen, der von Bundesland zu Bundesland variiert, so ein Blödsinn! – sondern alle Kinder kommen in dem Kalenderjahr in die Schule, in dem sie sieben werden. Allerdings gibt es im Jahr vor der Schule Vorschule. Das kann man seinem schulsehnsüchtigen Kind schon als „Fast-Schule“ verkaufen – und viele Kinder lernen auch tatsächlich dort schon Lesen und Schreiben – aber die Vorschule findet für gewöhnlich im Kindergarten statt und auch eher nach Kindergartenkonzept.
Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum Kinder mit fünf, sechs Jahren in die Schule geschickt werden müssen, nur um dann dort nach den zahlreichsten, durchaus auch fragwürdigen Methoden „sanft an den Unterrichtsstoff herangeführt zu werden“ und noch nicht mal benotet zu werden, weil sie dafür ja einfach noch zu klein sind. Drill und Druck kann man bestimmt auch anders vermeiden. Ich kann vollkommen verstehen, wenn sich ein Kind, das nicht doof ist, das was lernen will, und das sich auf die Schule freut, dass sich so ein Kind verklapst fühlt. Hätte ich mich jedenfalls auch, damals als stolzer Schulanfänger.
Ich bin froh, dass das Mäusemädchen erst ein Jahr später mit der Schule anfangen wird als sie es in Deutschland müsste. Nicht zuletzt deswegen, weil wir so noch ein Jahr länger Urlaub und langes Wochenende machen können, wann wir wollen. :-)
Putztage
Gestern wurden überall in der Stadt die vereisten Spurrillen von den Strassen gekratzt. Vermutlich geht das bei starkem Frost am besten. Wir hatten gestern -15 Grad. Und weil die gelben Ungeheuer einmal dabei waren, wurden gleich noch die Schneewälle an den Strassenrändern, die noch auf ihre Abholung warten, zusammengepresst und weiter an den Rand geschoben.
Heute waren die Fusswege dran. Dezimeterdicke Eisschichten abkratzen, verbreitern, und schon mal vorsorglich streuen. Morgen soll es für eine kurze Zeit null Grad warm werden.
Die Sonne hat sich das wohlwollend angesehen und sich mit einem wunderschönen Halo umgeben.
Ausfahrt
Lebenslänglich
Kommt ein Pfarrer in die Todeszelle und fragt den Verurteilten nach seinem letzten Wunsch, worauf der sagt: „Hochwürden, ich würde gern Finnisch lernen.“
Riese
Gestern fast alle Sachen in die Kiste 50-68 zurückgepackt. Und die ersten Sachen aus der Kiste 74 rausgeholt.
Es brennt! Es brennt!!!
Gestern Abend standen wir bei zwanzig Grad minus auf einem Hügel und sahen zu, wie ein Feuer ausbrach. Wie es um sich griff, grösser und grösser wurde, wie über dem Flammenmeer die Funken flogen. Wir sahen zu, wie Turku abbrannte. Wie am Ende nur noch Glut übrigblieb. Und während nur noch Rauch von der Glut aufstieg, hörten wir von Ferne, wie fünfhundert Menschen ein Trauerlied sangen. Dann war es ganz still.
Und dann gab es ein wunderbares Feuerwerk.
Turku ist dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt. Ich weiss noch genau, wie wir vor vier Jahren mit dem kleinen, ungeduldigen Mäusemädchen auf dem Arm am Fluss standen und uns das Flammenspektakel und das Feuerwerk ansahen, mit dem die erfolgreiche Bewerbung Turkus als Kulturhauptstadt 2011 gefeiert wurde. Da stand schon fest, dass das Thema des Jahres „Tuli on irti!“ (wortwörtlich: „Das Feuer ist los!“; offiziell eher schlecht in „Feuer und Flamme“ übersetzt) sein sollte, zur Erinnerung an denTurkuer Grossbrand im Jahre 1827. Aber es würde ja noch vier Jahre dauern, bis es so weit wäre. Vier Jahre, ewig!
Und auf einmal standen wir schon wieder mit dem Mäusemädchen da. Mit dem Mäusemädchen an der Hand, und mit dem Mäuseknäbchen auf dem Arm, und mit dem Minimäuserich im Tragetuch. Nicht am Fluss diesmal, denn inmitten von 50 000 Menschen wollten wir nicht sein mit zwei Kindern, denen Feuerwerk nicht ganz geheuer ist, und einem Kind, mit dem man die Veranstaltung möglicherweise vorzeitig verlassen muss. Aber Freunde, die ganz in der Nähe wohnen, gaben uns den Tipp, gleich hinter ihrem Spielplatz gäbe es einen Hügel, von dem könne man bestimmt alles gut sehen. (Und bei ihnen im Hof fanden wir sogar noch einen Parkplatz. Und ich konnte den Minimäuserich im Warmen vom Autokörbchen ins Tragetuch umlagern. Und hinterher im Warmen stillen, während wir anderen alle heissen Tee bekamen. Sehr praktisch, Freunde am anderen Ende der Stadt zu haben!)
Hinterher haben wir uns das Ganze nochmal im Internet angesehen. Ich bin eigentlich froh, dass wir auf dem Hügel standen. Wir konnten zwar die Einzelheiten nicht sehen, aber das Wesentliche sah von dort viel Eindrucksvoller aus.
Heute:
Schein und Sein
Als wir damals des Mäusebabymädchens zukünftigen Kindergarten angucken gingen, war mein erster Gedanke: „Hier sieht’s ja aus wie in einem DDR-Kindergarten!“ Dabei habe ich eigentlich gar keine Erfahrung mit typischen DDR-Kindergärten. Meiner befand sich in einer alten Villa statt in einem Plattenbau, hatte einen riesigen Garten, in dem ich mit meiner Freundin Katrin einen Zoo voller Marienkäfer hegte, und ich war sowieso nur Mittagskind und auch nicht jeden Tag da und kann mich an Kindergartenausstattung am besten noch an die kleinen Toiletten erinnern. Die haben mich wohl am meisten beeindruckt.
Des Mäusebabymädchens Kindergarten war damals eigentlich unsere zweite Wahl. Vorher hatten wir uns den nächstgelegenen, ziemlich neuen, ziemlich schönen, angesehen. Aber der war voll. Als wir dann einen Platz im zweitnächstgelegenen bekamen, war es mir schon nach dem ersten Eingewöhnungstag egal, dass dort alles ein bisschen alt und schäbig war, die Kleinsten in der Tür so eine Absperrung hatten, wie wir sie für unsere Meerschweinchen benutzten, und unter der Decke im Flur hässliche Rohrleitungen entlangliefen. Spätestens, als ich am zweiten Eingewöhnungstag das Mäusebabymädchen für eine Stunde allein dort gelassen hatte und sie, als ich zurückkam, schlafend auf dem Arm einer ihrer Betreuerinnen wiederfand, die sich mit ihr aufs Sofa gesetzt hatte, statt sie abzulegen, damit sie nicht wieder aufwacht, wusste ich, dass es ihr dort gut gehen würde. Und das tat es auch. Dem Mäuseknäbchen später auch.
Dennoch, als wir erfuhren, der Kindergarten würde geschlossen, renoviert und anschliessend den schwedischsprachigen Kindergarten aufnehmen, während unsere Kinder samt Betreuern in ein niegelnagelneues Gebäude ein paar hundert Meter weiter ziehen würden, da freute ich mich. Alles neu, das wäre ja doch schön. Dachte ich.
Und, ist es nun schön im niegelnagelneuen Kindergarten?
Das Mäusemädchen freut sich, dass sie zum Mittagsschlaf jetzt im Doppelstockbett oben schlafen liegen und sich ausruhen darf. Das Mäuseknäbchen freut sich, dass er jetzt immer auf so eine kleine Toilette gehen darf statt aufs Töpfchen.
Mir wird immer ganz kalt ob der sterilen Atmosphäre dort. Ich vermisse die liebevoll gemalten Namensschilder und trauere um den grossen Garten mit den Vogelbeerbäumen und Kiefern und Eichhörnchen und dem kleinen Hang zum Schlittenfahren und Autosrunterrollen. Jetzt gibt es zwar tolle neue Spielgeräte, aber keinen Hügel und keine Bäume, und die Kleinen und die Grossen sind durch einen Zaun getrennt. Mir wird das Herz schwer beim Gedanken daran, dass die Geschwister nicht mehr miteinander spielen können – „Heute früh, als wir draussen waren, haben wir beide am Zaun gesessen, das Mäuseknäbchen und ich.“ – und daran, wie die drei kleinen Deutschen – das Mäusemädchen, das Mäuseknäbchen und ihr gemeinsamer bester Freund – jeden Nachmittag zusammen draussen sassen, in irgendein Spiel vertieft, und dass das nun auch nicht mehr geht. Auch alle Gruppennamen sind geändert worden. Es war so toll, nach kleinen Mumins und Myys und Filifjonken rufen zu hören. Jetzt haben die Gruppen so poetische wie nicht kindgerechte Namen wie „Tautropfen“ oder „Morgenröte“. Zum Abholen muss man jetzt jedes Mal klingeln, weil alle Türen ständig verschlossen sein müssen. Das Kuscheltier muss im Kindergarten bleiben. (Nein, es darf auch nicht jeden Tag in den Rucksack gepackt und mitgenommen werden. Denn der Rucksack wird nur freitags gepackt und mit heimgenommen. Denn da die Türen verschlossen sind, müsste der Rucksack ja jeden Tag rausgehängt werden, falls die Kinder schon draussen auf dem Spielplatz sind, wenn sie abgeholt werden.) Und dann diese Reise in den Kindergarten und zurück! Vier Tage lang haben wir sie bisher unternommen, vier verschiedene Wege haben wir ausprobiert. Es bleibt sich gleich. Es dauert zu lange. Es nervt.