Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Geschichte zum Anfassen

Weil es letzten Sommer im Tallinner Freilichtmuseum so schön war und wir auf dem weitläufigen Gelände ungefähr nur die Hälfte aller Häuser anzugucken geschafft hatten, gingen wir auch diesmal wieder hin.

Vor allem waren wir gespannt, ob das Mehrfamilienhaus aus Sowjetzeiten, das sich letztes Jahr noch im Bau befunden hatte, jetzt besichtigt werden könnte. Konnte es. Und allein dort hätte man mehrere Stunden zubringen können.

Jeden einzelnen Raum in den vier Drei-Zimmer-Wohnungen, die verschiedene Jahrzehnte – sowohl vor als auch kurz nach der Wende – repräsentieren, kann man betreten, und jede dieser Wohnungen sieht aus, als wäre vor fünf Minuten noch jemand dagewesen. Man darf in Küchenschubladen kramen, in Schulheften blättern, in die Kleiderschränke gucken, und man kann auf kleinen Bildschirmen zugucken, wie die Familie Geburtstag feiert oder wie die Familienmitglieder über ihren Alltag erzählen.

Diese Zeit ist bis heute ein sehr wunder Punkt in der Geschichte Estlands. Schön, dass sie im Museum trotzdem nicht ausgespart wird.


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Auslandsreise, verantwortungslose

Seit Monaten, wenn man den Verlautbarungen der entsprechenden Behörden und der finnischen Presse Glauben schenkt, kommen sämtliche neuen Coronafälle in Finnland aus dem Ausland, und wer jetzt ins Ausland reist, verhält sich höchst verantwortungslos.

Nun ist es so, dass ich mich durchaus privilegiert fühle, die Pandemie in Finnland aussitzen zu können. Es gibt hier keine Panikmache, keinen Impfneid, einen Coronatesttermin zu bekommen ist denkbar einfach und mit den Impfungen geht es auch voran, und zwar ohne dass man seine Ellenbogen einsetzen muss. Die Schulen waren fast durchgängig geöffnet, und wenn nicht, kam der Distanzunterricht so nahe an Präsenzunterricht heran, wie man es sich nur wünschen kann. Wir hatten nie Ausgangssperren, durften uns zu jeder Zeit im ganzen Land – bis auf die drei Wochen, in denen Uusimaa abgeriegelt war – frei bewegen und haben wunderbare Ausflugs- und Reiseziele in der finnischen Natur.

Aber Finnland ist eben doch überall Finnland. Schon seit den ausgefallenen Herbstferien hatten wir Estlandweh, und nach fast einem Jahr war die Sehnsucht nach Tapetenwechsel fast übermächtig geworden.

Wir packten die erstbeste Gelegenheit beim Schopf und bestiegen letzten Dienstag gemeinsam mit den zur Konfirmation angereisten (und zum Glück schon voll geimpften) Grosseltern ein Schiff nach Tallinn.

Unser Verständnis für Reiserestriktionen ist mittlerweile aufgebraucht. Seit anderthalb Jahren trägt unsere Familie Maske – auch da, wo wir nicht müssten. Seit anderthalb Jahren haben wir kein Museum, keine Schwimmhalle, kein Restaurant von innen gesehen – auch dann nicht, als wir es gedurft hätten. Seit anderthalb Jahren können wir die Gelegenheiten, an denen wir oder die Kinder Freunde getroffen haben, an zehn Fingern abzählen – obwohl es hier nie strenge Restriktionen gab, wie viele Haushalte und wie viele Personen sich treffen dürfen. Seit Juni dürften wir wieder Karaoke singen in Bars und auf Konzerte mit hunderten von anderen Leuten gehen – aber ins estnische Moor wandern gehen dürfen wir nicht?!

(Bezeichnenderweise drängelten sich auf der Fähre die Finn*innen, die eine Quarantänefreie Kreuzfahrt ohne Landgang machten, im Tax-Free-Shop und am Buffet, während wir die zwei Stunden Überfahrt in beide Richtungen auf dem Sonnendeck absassen. Und wenn es dann auf einem dieser Schiffe, wie letztes Wochenende auf der „Baltic Princess“, die zwischen Turku und Stockholm pendelt, unter den Kreuzfahrern zu einem Covid-19-Ausbruch kommt, dann wird das auch noch den Auslandsreisenden angelastet. Ich erwähnte schon, dass mein Verständnis für Reiserestriktionen aufgebraucht ist?!)

Tallinn war tatsächlich noch leerer als im letzten Jahr. Es fehlten nicht nur die Touristen, sondern auch die Tallinner selbst, denn sie hatten zwei aufeinanderfolgende Feiertage: den Siegestag am 23. und Mittsommer am 24. Juni. Es fiel nicht schwer, den Anweisungen der finnischen Gesundheitsbehörde – „Im Ausland besondere Vorsicht walten lassen!“ – Folge zu leisten. Wir spazierten durch menschenleere Gassen, die wir uns nur mit Tauben und Möwen teilen mussten, und assen auf Terrassen. Zudem sinkt die estnische 14-Tages-Inzidenz, die sich irgendwann im Winter bei schwindelerregenden 1500 befunden hatte, seit Wochen rapide und ist kaum noch höher als die finnische.

Ich badete in heisser Luft und freute mich am ersten echten Sommergewitter seit Jahren, das zur Mittagszeit den Himmel verdunkelte, die Gassen in Bäche verwandelte, über Gullydeckeln gewaltige Strudel erzeugte und nach einer Stunde der Sonne den Platz wieder räumte. Der Ähämann und ich überliessen einen Abend die Kinder den Grosseltern und gingen im Spätabendsonnenschein aus. Und weil es in Tallinn so leer war, reifte gleich der nächste Reiseplan.

Der dreitägige Ausflug endete offiziell erst gestern mit dem Freitesten aus der Quarantäne.
Wir sind erwartungsgemäss alle negativ – aber wenn wir uns angesteckt hätten, dann garantiert nicht bei unserer verantwortungslosen Auslandsreise, sondern beim Konfirmationsgottesdienst, wo wir dicht an dicht mit rund einhundert grossteils nicht-masketragenden Angehörigen der anderen Konfirmand*innen in der kleinen Kirche sitzen mussten. Ich wünschte, die Leute würden ihren Verstand benutzen, statt Sündenböcke zu suchen.


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Fast erwachsen

Wir haben jetzt eine konfirmierte junge Dame im Haus.

Die Frage, ob sie sich konfirmieren lassen möchte, kam eigentlich erst letzten Herbst auf, als die ersten Klassenkamerad*innen anfingen, über ihre Konfirmation und den Betrag der zu erwartetenden Geldgeschenke zu reden.

Während ich zwei Jahre lang einmal in der Woche zum Konfirmandenunterricht gehen musste – wir hatten einen jungen, coolen Pfarrer und waren eine nette Gruppe, in der ich meine für lange Zeit erste richtige beste Freundin fand, so dass das Ganze dennoch mehr Spass als Pflicht war – besteht in Finnland die Vorbereitung auf die Konfirmation ausser ein paar sporadischen Treffen im halben Jahr vorher, von denen in diesem Jahr #aufgrundderaktuellensituation ausserdem noch die Hälfte ausfiel, hauptsächlich in einem einwöchigen Konfirmandenlager. Tatsächlich lässt sich ein Grossteil der finnischen Jugendlichen konfirmieren, auch aus Mangel an nicht-kirchlichen Alternativen.

Konfirmandenlager werden fast den ganzen Sommer über von allen Kirchgemeinden und zum Beispiel auch von den Pfadfindern angeboten, und es ist, da man nicht in der eigenen Gemeinde konfirmiert werden muss, völlig egal, welches man sich auswählt. Die Konfirmation findet direkt im Anschluss an das Konfirmandenlager statt, so dass die Jugendlichen, die gemeinsam im Lager waren, auch zusammen konfirmiert werden. Das Fräulein Maus freute sich sehr, dass sie mit ihrer besten Freundin zusammen ins Konfirmandenlager fahren konnte – man bekommt bei der Online-Anmeldung einen Freundecode, mit dem sich dann der beste Freund oder die beste Freundin anmelden kann und dann garantiert in das gleiche Konfirmandenlager kommt – und hatte dann auch letzte Woche sehr viel Spass dort.

Sehr schön finde ich, dass finnische Konfirmationen nicht um Palmsonntag herum, sondern hauptsächlich im Sommer stattfinden, weil so ein Fest viel schöner ist, wenn alles grünt und blüht und man sich nicht über der Festkleidung noch in drei Schichten Klamotten hüllen muss. Apropos Festkleidung: ich finde es auch schön, dass in Finnland die Konfirmand*innen Albe tragen während des Gottesdienstes, weil damit alle Diskussionen um die angemessene Rocklänge und der Konkurrenzkampf um das schönste Kleid von vornherein hinfällig sind.

Leider konnten beide Patenfamilien aus nachvollziehbaren familiären Gründen bei der Konfirmation nicht dabeisein. Das Fräulein Maus war sehr traurig – denn wie kann man denn als Konfirmandin ohne seine Pat*innen, die die Hände segnend über einen halten, zum Konfirmationsgottesdienst gehen?! – aber fand dann selbst die beste Lösung: dann müsste eben die Patin ihres Bruders einspringen. Wozu schliesslich haben wir diese wunderbare Godfamily? ♥

Es war dann doch alles sehr schön, sehr feierlich und das Wetter so gut, dass wir später die Feier aus dem Garten noch ans Wasser verlegten.


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Radtour mit Wasserbus

Weil es neulich so schön war, machten wir das Ganze gestern nochmal als Tagesausflug.

Fahrräder auf den Wasserbus und eine halbe Stunde lang flussabwärts und am Hafen vorbei auf die nächste Insel schippern, den Luxusradweg mit dem Edelasphalt und dem aufgemalten Mittelstreifen bis zur hintersten Spitze der Insel entlangfliegen und auch ein Stückchen Wanderweg fahren, Schafen, Rehen, Hasen und Gänseküken begegnen, in einer Holzvilla mittagessen und in einer anderen kaffeetrinken, Homeoffice am Strand, Schwimmen mit Schiffen, ein paar Geocaches suchen und kurz vor Abfahrt des letzten Wasserbusses Richtung Stadt noch vom schönsten Platz aus der ersten Schwedenfähre zuwinken.

Bester Moment des Tages: die Fähre vorbeiziehen zu sehen und festzustellen, dass das monatelange Gefühl der Bedrückung und des Eingesperrtseins bei ihrem Anblick dem von Erleichterung und Freiheit gewichen ist, weil wir ab sofort wieder mitfahren dürfen – weil auch eine Impfdosis oder jünger als 16 zu sein nun doch reicht, um zumindest ohne Test an Bord gehen und ohne Test zurück nach Finnland einreisen zu dürfen. (Im Ausland besondere Vorsicht walten lassen, freiwillige Quarantäne nach Rückkehr, kostenloser Test mindestens 72 Stunden nach Wiedereinreise, blabla… hab‘ ich kein Problem mit. Hauptsache, wir müssen keine „Quarantänefreie Kreuzfahrt“ machen, sondern dürfen die Fähre als Mittel zum Zweck benutzen!)


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neljäsataayksi

Traditionen pflegen.

Mindestens einmal in den Sommerferien müssen der Verkehrspark mit dem kostenlosen Tretautoverleih und der tolle Spielplatz im Nachbarort aufgesucht werden. Immer noch. Das einzige, was sich nach zehn Jahren geändert hat, ist, dass die 10 km lange Anreise nicht mehr mit dem Auto oder dem Bus, sondern mit dem Fahrrad absolviert wurde.

In einer halben Stunde waren wir da, und vielleicht muss ich in diesem Jahr in der Musiklagerwoche nicht ganz so viel mit dem Auto hin und her fahren.

Für den Rückweg suchten wir uns eine andere Strecke, denn es musste noch ein Paket aus dem Automaten im grossen Supermarkt geholt werden sowie im Baumarkt eine Rolle Bindfaden in der richtigen Dicke und Zusammensetzung zum Befestigen der Tomatenstützen erworben werden. (Den passenden Faden gab es nur auf einer 500-Meter-Rolle. Wir werden nie wieder Bindfaden kaufen müssen.)

Nachdem ich in den letzten zwei Wochen alle glatten Hunderter, die es auf finnischen Kennzeichen geben kann, sowie lückenlos alle Ziffern von 402 bis 410 gesehen hatte und mich schon anfing zu fragen, ob es die 401 vielleicht einfach nicht gibt, kam sie uns dann doch noch an der Ampel gleich hinterm Baumarkt entgegengefahren.

[1-3, 4, 5, 6, 7, 8, 9-10, 11, 12, 13, 14, 15, 16-17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32-35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59-61, 62, 63, 64, 65, 66, 67-68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107-108, 109, 110, 111, 112-113, 114, 115, 116-117, 118, 119, 120, 121, 122-123, 124-130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139-140, 141, 142, 143, 144, 145, 146-147, 148-149, 150, 151, 152, 153-155, 156, 157, 158, 159-160, 161, 162, 163-164, 165, 166-167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197-198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205-206, 207-208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215-216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224-225, 226, 227, 228, 229-230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245,246, 247, 248, 249-250, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268-269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278-279, 280-281, 282, 283, 284-285, 286, 287, 288, 289-290, 291, 292, 293-294, 295, 296, 297-298, 299, 300, 301, 302-303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310-311, 312, 313, 314-315, 316, 317-318, 319, 320, 321-322, 323, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331-332, 333, 334, 335, 336-337, 338, 339, 340, 341, 342, 343-344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 353-355, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 366-367, 368, 369, 370, 371, 372, 373, 374-375, 376, 377-378, 379, 380-381, 382, 383, 384, 385, 386-387, 388-389, 390, 391-393, 394, 395, 396-397, 398-399, 400]


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Echt finnische Sommerferien

In unserer ersten Sommerferienwoche waren wir jeden Tag an einem anderen Strand.

Am See gibt es eine ganz und gar neue Sauna, am Sprungturmstrand gibt es einen neuen Sprungsturm, die Sauna neben der Sandgrube hat einen neuen Ofen bekommen und die Sauna ganz draussen wird gerade noch renoviert.

Die ganze Woche war es heiss und sonnig. Gebraucht hätten wir keine Sauna, aber mit Sauna ist es immer schöner als ohne Sauna.

Heute machte der Sommer eine Pause. Es war nicht kalt, aber regnete den ganzen Tag über mal mehr, mal weniger. Wenn kurz die Sonne rauskam, gab es öffentliche Sauna. Es roch nach feuchten Birkenblättern und wurde mit jeder Stunde grüner.

Wir fuhren in unsere Mittwochs- und Samstagssauna, denn Sauna bei Regen ist mindestens genauso schön wie Sauna bei Sonne.

Nach jedem Saunagang schwammen wir gemeinsam mit den drei Streithähnenschwänen vom letzten Jahr. Sie scheinen sich übrigens mit ihrer unglücklichen Dreierbeziehung abgefunden zu haben.


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Schwarzweiss statt Bunt

Fast hätte Turku so einen schönen Fussgängerüberweg bekommen, wie wir ihn letztes Jahr im isländischen Akureyri gesehen haben.

Dass so etwas in Deutschland nicht gehen würde, war mir letztes Jahr schon klar. Dass sowas in Finnland auch nicht geht, ist eine grosse Enttäuschung.

(Vielleicht wäre es der erste und einzige Fussgängerüberweg im Land geworden, der tatsächlich ernst genommen worden wäre. So viele vertane Gelegenheiten im Namen des Gesetzes!)


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Endlich!

Nach fast zehn Monaten waren wir am Montag wieder in einer öffentlichen Sauna mit natürlichem Gewässer.

In der Sauna am See, die, als wir das letzte Mal dort waren, den letzten Tag geöffnet war. Die neue Sauna ist schon seit Mitte Mai fertig, war aber wegen der Coronabeschränkungen noch bis Sonntag geschlossen.

(Sie war sogar so neu, dass der gerade angeheizte Saunaofen – es ist auch in der neuen Sauna wieder ein Holzofen! – noch qualmte und stank. Erst nach einer Stunde gab sich das, und dann roch das Fichtenholz der neuen Saunabänke ganz wunderbar.)

Der Ähämann hatte sein mobiles Homeoffice dabei und arbeitete mit Blick auf den See, die Kinder und ich wechselten unzählige Male zwischen Sauna und See hin und her. Nicht, dass die Sauna nötig gewesen wäre – es war so heiss, dass es am späten Nachmittag in der Ferne sogar ein bisschen blitzte und donnerte, und das Seewasser war geradezu lauwarm – aber ach, war das wunderbar…! Und wie sehr uns die Eisbadesauna gefehlt hatte den ganzen Winter über…!

Wir blieben bis abends um neun, als die Sonne den See und den Wald golden färbte. Das ist sowieso die schönste Tageszeit.

Passend zum Thema: Finnische Saunakultur steht seit Dezember 2020 auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESO.


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Gewusst wie

Woran freut sich ein Kind, das an der Ostsee aufgewachsen ist – aber an der Seite der Ostsee, wo sie aussieht wie ein grosser See, wo sie keinen Horizont hat und sich sommers nie zu grossen Wellen auftürmt?

Daran, dass es seine Familie davon überzeugen kann, abends so lange am Lieblingsstrand zu bleiben, bis die drei Schwedenfähren vorbeiziehen, um dann in die jeweils 12 Minuten später anrollenden Bugwellen zu hüpfen.

(Mama und Papa zucken nachsichtig mit den Schultern, wenn die Kinder „Wellen! Wellen!!!“ juchzen.)


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Tschüss, Coronaschuljahr!

Am Sonnabend, während die Kinder bei ihren Zeugnisausgaben waren, kochte ich das letzte Maskensüppchen des Schuljahres. Sie brauchten für die anderthalb Stunden jede*r nur noch eine, und so hatte ich am Freitagabend alle Viere grade sein lassen.

Ich weiss nicht, was ich gedacht hatte, als wir alle mit Schuljahresbeginn anfingen – freiwillig, denn eine Maskenempfehlung, geschweige denn eine Maskenpflicht, gab es da noch nicht – Masken in der Schule und auf Arbeit zu tragen. Dass ich von da an jeden Abend Maskensuppe kochen und jeden Morgen Filtereinlagen in die getrockneten Masken friemeln würde, an jedem einzelnen Schultag, ein ganzes Schuljahr lang, das habe ich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise nicht einmal geahnt.

Die Kinder hatten über das Schuljahr verteilt mehrere Wochen Distanzunterricht – weil ihre Klasse in Quarantäne war oder einfach nur prophylaktisch – und waren doch die meiste Zeit in der Schule. Manchmal fühlte es sich an wie Russisches Roulette. Als endlich eine Maskenempfehlung für Schüler*innen kam – erst nur für 7. bis 9. Klasse, dann auch für Sechstklässler*innen, ab Ende Januar endlich auch für die 4. und 5. Klasse – atmeten wir alle ein bisschen auf. Für drei Wochen mussten sogar die kleinsten Schulkinder und somit auch unsere Hortkinder Maske tragen – danach war es zum Glück leidlich warm, so dass wir alle Fenster aufreissen konnten. Dass die Schulen hier fast durchgängig auf waren und es trotzdem zu keinen nennenswerten Ausbrüchen unter Schulkindern gekommen ist, haben wir, denke ich, vielleicht dem effizienten Lüftungssystem, mit dem jedes finnische Gebäude ausgestattet ist, zu verdanken.

Wir gewöhnten uns daran, die Kinder beim kleinsten Halskratzen zu Hause zu lassen, waren unzählige Male im Krankenhausparkhaus, trugen „Wartet auf das Coronatestergebnis“ als Abwesenheitsgrund ins Wilma ein und verschickten erleichterte „Negativ!“-SMSe an den Klarinettenlehrer, die Harfenlehrerin und die beste Chefin.

Apropos Musikschule. Eine der besten Errungenschaften dieses Schuljahres war für mich, dass wir für ein hustendes, schniefendes oder zu Quarantäne verpflichtetes Kind jederzeit, zur Not zwei Minuten vor Beginn der Stunde, eine Klavier-, Klarinetten- oder Harfenstunde per Skype vereinbaren konnten.

Das Schuljahr glitt vorbei als eine Aneinanderreihung gleichförmiger Schultage, gespickt mit Hygienemassnahmen. Als die Herbstferien anfingen, hatte ich das Gefühl, es sei gerade mal September. Die Weihnachtsferien fühlten sich eher wie Herbstferien an. Im März sagte der grosse Herr Maus: “Jetzt ist es schon ein ganzes Jahr her, dass wir zum ersten Mal Distanzunterricht hatten!“, und es fühlte sich an wie höchstens ein halbes. Keiner der geplanten Ausflüge ins Museum, ins Konzert, in die Oper nach Helsinki fand statt, die Wissenschaftskreuzfahrt wurde dreimal verschoben und dann endgültig abgesagt, es gab keine Weihnachtskonzerte, keine Frühlingsfeste und keine Zeugnisausgabe mit Eltern und gemeinsamem Suvivirsi-Singen. Vor allem der große Herr Maus, der ohne Eltern und die sonst üblichen Feierlichkeiten in die Oberschule verabschiedet wurde, tat mir leid.

Die Kinder waren zweieinhalb Wochen vor den Ferien komplett durch mit ihrem Schulstoff, gaben ihre Lehrbücher zurück und mussten dann, weil der Kalender so komisch verschoben ist dieses Jahr, sogar noch eine Woche länger als sonst in die Schule, bis in den Juni hinein. Die Vorfreude auf die Sommerferien war gross und hielt sich gleichzeitig in Grenzen. Kein Aufbruch zum Hafen gleich am Abend nach der Zeugnisausgabe. Überhaupt keine Reisepläne. Höchstens die unbestimmte und innige Hoffnung, vielleicht im Juli wenigstens nach Estland fahren zu können. Während letztes Jahr das der beim Schopfe gepackten Gelegenheiten war, wird es diese in diesem Jahr für noch nicht Vollgeimpfte nicht geben. Warum auch, es gibt ja schon genug vollgeimpfte Rentner Menschen. Der Preis für die unempathischste Aussage geht übrigens an den Chef der finnischen Gesundheitsbehörde: „Plant euren Sommerurlaub so, dass er erst nach der zweiten Impfung stattfindet!“, empfahl er letzte Woche. Zur Erinnerung: unsere Zweitimpfung bekommen der Ähämann und ich eine Woche nach Ende der Sommerferien. Und für die Kinder, so sie denn überhaupt geimpft werden, ist noch lange kein Impfstoff vorhanden, noch nicht einmal für eine Erstimpfung vor Beginn des nächsten Schuljahres.

Es war ein seltsames Schuljahr.
Aber immerhin sind wir gesund geblieben.