Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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2019

1. Ganz grob auf einer Skala von 1 bis 10: Wie war Dein Jahr?
Acht. Der Winter war prima, der Sommer zwar nicht heiss, aber wenigstens sonnig. Wir sind so viel verreist wie noch nie, nämlich in allen ausser den Weihnachtsferien, und zwischendrin auch noch. Und seit das Fräulein Maus nicht mehr so ein wahnsinniges Trainingspensum hat, haben wir alle wieder viel mehr Zeit füreinander und für gemeinsame Unternehmungen. Zwei Punkte Abzug für den wirklich anstrengenden Frühling, als ich den Hort quasi alleine schmeissen und nebenher meine Ausbildung samt vierwöchigem halbtägigem Praktikum abschliessen musste und ausserdem das Fräulein Maus von einer Infektion und einer Sportverletzung zur nächsten stolperte.

2. Zugenommen oder abgenommen?
Keine Ahnung. Aber alle Klamotten passen.

3. Haare länger oder kürzer?
Sie sind dann jetzt eben wieder so lang, wie meine Haare werden – und das ist nicht bis zur Kniekehle – wenn ich sie einfach wachsen lasse.

4. Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Die Optikerkette meines Vertrauens schickte mir neulich einen Gutschein für einen Sehtest, und ich sag‘ mal so: wenn es duster ist und die Schrift sehr klein, kann ich mir trotz Brille vorstellen, dass ich den demnächst doch mal in Angriff nehmen muss. (Lieber würde ich aber noch bis nächsten Herbst damit warten, damit es auch die Gläser der Sonnenbrille noch eine Saison tun.)

5. Mehr Kohle oder weniger?
Es gab eine Gehaltserhöhung von 10 € oder so.

6. Besseren Job oder schlechteren?
Den gleichen. Er war allerdings sehr viel anstrengender in diesem Jahr, weil wir Anfang des Jahres für vier Monate nur zu zweit waren und ausserdem die gesamte Verantwortung und aller Bürokram auf meinen Schultern ruhten; aber es hat mich durchaus auch zufrieden gemacht, dass ich das trotz meiner doch erst recht kurzen Erfahrung im neuen Job ganz gut hingekriegt habe.

7. Mehr ausgegeben oder weniger?
Mehr für Urlaube. Weniger für Materielles.

8. Dieses Jahr etwas gewonnen und wenn, was?
Mehr Selbstsicherheit in jeglicher Kommunikation auf Finnisch. (Jahaaa, das wird mein Leben lang steigerunsfähig sein.)

9. Mehr bewegt oder weniger?
Genug jedenfalls: jeden Tag eine halbe Stunde einfache Strecke mit dem Fahrrad auf Arbeit gefahren, skigefahren, durch Moore spaziert und drei Wochen in den Bergen gewandert. Nur schlittschuhlaufen auf irgendwelchen natürlichen Gewässern waren wir das ganze Jahr nicht.

10. Anzahl der Erkrankungen dieses Jahr?
Ich war genau einmal krank. Also so, dass ich einen Tag zu Hause bleiben musste.

11. Davon war für dich die Schlimmste?
Genau die, weil ich noch den ganzen Erzgebirgsurlaub über deshalb furchtbar müde und schlapp war.

12. Der hirnrissigste Plan?
Mal schnell (haha!) ein Zimmer komplett umzugestalten. (Und bei 30°C zu tapezieren.) Aber es ist dann sehr schön geworden.

13. Die gefährlichste Unternehmung?
Skifahren zu gehen, weil es zum Wandern zu glatt ist.

14. Die teuerste Anschaffung?
Der Löwe Balthasar.

15. Das leckerste Essen?
Wir waren ein, zwei , drei Mal in Estland dieses Jahr. Und drei Wochen lang Halušky essen.

16. Das beeindruckendste Buch?
„Die lange Reise“.

17. Der ergreifendste Film?
Ich war dieses Jahr genau einmal im Kino und habe auch sonst mehr Bücher gelesen als Filme geguckt. Schön war, direkt nach unserem Urlaub nochmal eine Reportage über den Advent im Erzgebirge zu sehen.

18. Die beste CD?
Wie im letzten Jahr: ich höre den ganzen Tag Geschrei, Gesinge, Gelache und höre eher selten Musik, weil es schön ist, wenn es einfach mal ruhig ist. Aber im Dezember hören wir unsere sechs Weihnachts-CDs hoch und runter.

19. Das schönste Konzert?
Die Konzertreihe auf der übernächsten Insel.

20. Die meiste Zeit verbracht mit?
Kindern.

21. Die schönste Zeit verbracht mit?
Dem Ähämann und den Mäusekindern auf Reisen.

22. Zum ersten Mal getan?
Urlaub in des Ähämanns Arbeitsstadt gemacht.
Mit Skiern rund um den Flughafen gefahren.
Die Kinder zum Klimastreik begleitet.
Auf einem (ganz besonderen!) Baumwipfelpfad gewesen.
Mittsommer auf der Amorella gefeiert.
Einer Tallinn-Fähre von Suomenlinna aus zugewinkt.
Auf Vallisaari gewandert.
Unser Klärwerk besichtigt.
Eine Halloweenparty bei uns zu Hause ausgerichtet.
Einen Fast-Generalstreik erlebt.

23. Nach langer Zeit wieder getan?
Im Mondschein skigefahren.
Einen „Kinder“geburtstag ausgerichtet.
Den Berg bestiegen, der nur über drei sehr lange, sehr steile Aufstiege zu erreichen ist.
Im Roháče gewesen.
Das Dampffestival besucht.
In der Schwimmhalle im Nachbarort gewesen.
Tallinn besucht.
Grosse Pyramiden angeguckt, kleine Weihnachtsmärkte besucht und Bimmelbahn gefahren.

24. Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Das Wahlergebnis und überhaupt die ganze Nazischeisse allerorten.

25. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Dass der Klimawandel nicht davon weggeht, dass man ihn kleinredet.

26. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Ein zweitägiger Geburtstagsausflug.

27. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
„Mama, ich war grade am Briefkasten und ich glaube, ich bin angenommen auf der Musikklasse, da steht nämlich hyväksytty!“ (War so wichtig, dass sie mich mitten am Nachmittag auf Arbeit anrief.)

28. Dein Wort des Jahres?
Vastuuohjaaja.

29. Dein Unwort des Jahres?
Vastuuohjaaja. (Nein, das widerspricht sich nicht. Siehe Punkt 6.)

30. Dein Lieblingsblog des Jahres?
Östlich von Istanbul. Und natürlich alle anderen auf der Blogroll.

31. Dein grösster Wunsch fürs kommende Jahr?
Ich wiederhole mich, aber: Mal wieder ohne Beklemmung Zeitung lesen zu können.

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Heiligabend 2019

Heute erst guckten wir die am Heiligabend aufgenommene Spezial-Maus an. Warum die denn so lang sei, fragten die Kinder. „Damit es die deutschen Kinder ein bisschen einfacher haben beim Warten auf die Bescherung“, antwortete ich.

Verstanden sie nicht, unsere Kinder. Denn bei uns ist Heiligabend immer ruckzuck um.

9:00 Uhr: Der Ähämann hat uns den Wecker gestellt. Hier schlafen schon seit Beginn der Weihnachtsferien alle bis mindestens um zehn. Aber heute müssen wir ein bisschen eher aufstehen. Zu Heiligabend haben wir immer viel vor. Viel Ruhiges und viel Schönes.

10:00 Uhr: Der Ähämann hat den Frühstückstisch gedeckt, ich habe Milchreis vorgekocht. Die Kinder sind nach und nach aufgestanden, ich bringe den Milchreis zu Bett, wir frühstücken.

11:15 Uhr: Wir steigen in den Bus. Er wird an jeder Haltestelle voller; wir haben alle das gleiche Ziel. Weil unsere Buslinie ja seit einem Jahr eine veränderte Route fährt, beschliessen wir, diesmal noch eine Haltestelle weiter zu fahren zu sonst. Dort werden gerade zwei Sisu-LKWs in Stellung rangiert, die Ampeln blinken gelb, und mitten auf der grossen Kreuzung tänzeln zwei Polizisten und schwenken wie immer in solchen Situationen eher unbeholfen ihre Stäbe, um den Verkehr zu regeln.

(In meiner Geburtsstadt gab es noch lange Zeit mehrere grosse Kreuzungen, auf denen der Verkehr von Hand geregelt wurde. Die Polizisten standen würdevoll in der Mitte und vollführten eine exakte Choreographie, die alle verstanden. Einmal versuchte ich, mich mit dem Fahrrad an einer T-Kreuzung einfach hinter dem Rücken des Verkehrspolizisten vorbeizuschleichen, was mir einen sofortigen Anpfiff desselben, ohne dass er seine Handzeichen auch nur eine Millisekunde dafür unterbrochen hätte, einbrachte.)

12:00 Uhr: Weihnachten fängt an.

12:30 Uhr: Unser Bus ist der erste, der sich durch die sich auflösende Menschenmenge geschoben hat. Fast alle Busfahrer tragen Wichtelmützen (einmal fuhr uns auch der Weihnachtsmann nach Hause) – unser Busfahrer fährt ein echtes kleines Weihnachtsbäumchen mit sich herum.

13:00 Uhr: Wir decken schnell den Tisch, wecken den Milchreis auf und essen. In einer Stunde müssen wir ja schon wieder los.

14:30 Uhr: Kinderkirche. Weihnachten muss ja sein wie immer.

15:15 Uhr: Leider ist gestern der Einkaufsbeutel mit dem frischen Fisch fürs Weihnachtsessen unausgepackt in der Küche stehengeblieben – wir knobeln noch aus, wer daran schuld ist – und wir merkten es erst, als heute nach dem Frühstück jemand nach Bananen fragte, die sich auch nicht im Obstkorb befanden. Wir brauchen also neuen Fisch. Nicht unbedingt sofort, weil wir an Heiligabend eigentlich schon seit Jahren nichts Besonderes mehr essen, weil keiner Zeit und Lust zum Kochen und auch niemand wirklich Hunger hat abends, und weil man, seit die Ladenöffnungszeiten hier noch weiter gelockert wurden, auch an den Weihnachtsfeiertagen einkaufen könnte, aber dann haben wir wahrscheinlich noch weniger Lust dazu als jetzt. Im Prisma sind die Regale voll, vier Kassen geöffnet und zehn Leute am Einkaufen, und wir beschliessen spontan, dass wir ab nächstem Jahr unseren gesamten Weihnachtseinkauf immer um diese Zeit machen.

15:45 Uhr: Bevor wir heimfahren, besuchen wir noch die beiden Über-Weihnachten-Pflegekatzen. Sie bekommen natürlich ein extra Weihnachtsleckerli.

16:30 Uhr: Es liegen Geschenke unterm Weihnachtsbaum!

17:30 Uhr: Alle Geschenke sind ausgepackt und bejubelt. Der Ähämann räumt zum zweiten Mal heute den Geschirrspüler ein, das Fräulein Maus schneidet Gemüse und rührt Dippi an, ich verräume Geschenkband und mache einen Pappmüllpappkarton für Legoverpackungen und Packpapier auf, mit dem wir wohl in den nächsten Tagen zum grossen Container hinterm Supermarkt fahren werden müssen, weil unser hausgemeinschaftseigener Pappcontainer schon seit Tagen überquillt und sich die Situation erfahrungsgemäss an Heiligabend drastisch verschärft.

18:30 Uhr: Weihnachtssauna. Die Herren Maus wollen eigentlich lieber an ihrem neuen Lego weiterbauen, kommen dann aber doch für zwei Saunagänge mit, weil es so schön ist, dampfend auf der Gartenbank neben dem Weihnachtsbaum zu sitzen. Nebenher essen wir, süss und salzig und gesund und ungesund durcheinander, draussen, drinnen, wie jeder will. (Ich trinke alkoholfreie Bierbrause – die mit den hübschen Kronkorken – und verstosse damit wenigstens gegen eine deutsche Saunaregel nicht.)

20:00 Uhr: Es wird ein Märchenfilm gewünscht. Zum Glück wurden und werden gerade mehrere neue ARD-Märchenfilme gesendet. Die „Regentrude“ ist schon immer mein Lieblingsmärchen gewesen, und der Film ist auch ganz prima. Wenn auch vielleicht nicht so gaaanz zu Weihnachten passend. Zum ersten Mal heute haben wir Zeit rumzubringen. Als der Film zu Ende ist, haben wir noch eine Viertelstunde Zeit, um uns anzuziehen. Gutes Timing!

22:00 Uhr: Wir waren dieses Jahr noch gar nicht Weihnachtslieder singen, und deshalb nutzen wir die allerletzte Chance. Womit wir nicht gerechnet hatten: in der Kitschkirche zweitgrössten Kirche der Stadt haben sich um diese Uhrzeit noch um die tausend Leute versammelt, um gemeinsam Weihnachtslieder zu singen, und wir finden kaum noch einen Platz. (Und leider quetschen sich dann kurz vor knapp direkt hinter uns noch zwei Männer, die zum traditionellen Weihnachtschinken offensichtlich schon reichlich Alkohol genossen haben und besonders lautstark und… äh… schön… mitsingen.) Eine Stunde lang singen wir fast das gesamte Weihnachtsliederheftchen durch, der Pfarrer ist sehr cool, und wir erfahren, dass Finnlands einziger Kantor, der sowohl Orgel spielen als auch Dampflok fahren kann, unser Singen begleitet, und er antwortet mit einem sehr echt klingenden Dampflokpfeifen von der Orgelempore.

23:30 Uhr: Die Kinder sind jetzt dermassen bettreif, dass sie direkt vom Flur ins Bad ins Bett gescheucht werden müssen. Wir wollten doch noch Bowle trinken, beschwert sich der kleine Herr Maus. Und er wolle eigentlich noch bis in die Nacht mit seinen Weihnachtsgeschenken spielen.

Hör zu, kleiner Herr Maus, sage ich, als ihm schon fast die Augen zufallen, zum Glück fängt Weihnachten ja gerade erst an.


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Advent im Erzgebirge: Lauter klaane Lichter

„Etwa sechs von zehn Bundesbürgern sind einer Umfrage zufolge bereit, für den Klimaschutz weniger oder gar keine Weihnachtsbeleuchtung zu benutzen“, hörten wir im Radio auf der Autobahn.

Mal davon abgesehen, dass es wesentlich sinnvoller wäre, wenn sechs von zehn Bürgern bereit wären, ihr Auto mal stehen zu lassen, hat man bei dieser Umfrage ganz sicher niemanden aus dem Erzgebirge befragt.

Nirgends gibt es in der Adventszeit so viele Lichter in den Fenstern wie im Erzgebirge. Es gingen auch schon Mitteilungen durch die Presse, wonach manche Erzgebirgsgemeinde sich kaum die Stromrechnung für den Weihnachtsbaum, die Pyramide und die Beleuchtung auf dem Marktplatz leisten kann. Aber darauf verzichten? Niemals.

Und wahrscheinlich brauchen die Schwibbögen und Adventssterne in jedem Fenster noch nicht mal halb so viel Strom wie die blinkenden Lichterketten und ausufernden amerikanischen Weihnachtsbeleuchtungen anderswo. Nirgends ist Weihnachten so unkitschig wie im Erzgebirge.

Auch Weihnachtsmarkt ist Weihnachtsmarkt und kein Rummel. Fahrgeschäfte gibt es nur für Kinder. Der kleine Herr Maus und das Fräulein Maus fuhren begeistert, aber schon mit ein bisschen ironischer Distanz Kinderkarussell. (Der grosse Herr Maus wollte sein Weihnachtsmarktgeld lieber sparen. Und vielleicht ist er einfach in einem Alter, in dem man sich nicht mehr und noch nicht wieder auf ein Kinderkarussell setzt.) Der kleine Herr Maus fuhr in meiner Geburtsstadt mit dem Karussell, auf dem ich schon – am liebsten im Hubschrauber – in seinem Alter meine Runden zog. Auf dem Flugzeug steht jetzt „Lufthansa“ statt „Interflug“ und auf den Motorrädern „BMW“ statt „MZ“, aber sonst ist es noch genauso toll wie früher. Ins Mondfahrzeug passte der kleine Herr Maus allerdings nicht mehr rein – eine Erfahrung, die bei unserem vorletzten Besuch schon das Fräulein Maus machen musste.

Natürlich gibt es allüberall Glühwein. Aber es fehlen die besoffenen Horden, die über die Weihnachtsmärkte ziehen, die ich schon in so vielen deutschen Grossstädten erlebt habe.

(Apropos Glühwein. Eines Abends standen wir im Supermarkt an der Kasse, vor uns eine Familie mit Kind, wir mit unseren Kindern dahinter. Wir hatten zwischen Joghurt, Milch und Hallorenkugeln eine Flasche regionalen Johannisbeerlikör auf dem Band liegen. Der Familienvater vor uns sah sie, sprach uns an, in welchem Regal der denn stünde und rannte los, um auch noch schnell eine zu holen. Eine in Deutschland völlig normale und in Finnland völlig undenkbare Szene: nicht nur, weil es Alkohol sowieso nicht im Supermarkt, sondern nur in speziellen Geschäften gibt, sondern weil niemand Alkohol kaufen – und auch nicht trinken – würde, wenn Kinder dabei sind. Und dann wundern sie sich über ihr abnormales Trinkverhalten und warum keiner gelernt hat, massvoll mit Alkohol umzugehen!)

Unser Mittagessen bestand an etlichen Tagen aus Bratwurst und Waffeln mit Schlagcreme. Und dann noch eine Tüte Krapfen dazu und für die Vitamine ein glasierter Apfel. Weihnachtsmarkt ist so toll!

Ein bisschen meine Adventsfreude getrübt hat der Umstand, dass es selbst auf den kleinen Weihnachtsmärkten sehr, sehr voll war – viel voller als bei unseren Besuchen in den Jahren zuvor. Und obwohl ich sonst immer das Gefühl hatte, dass die Leute im Gebirg‘ doch irgendwie nicht ganz so gehetzt und deutlich freundlicher sind als anderswo, sahen wir uns diesmal unerwartet oft Leuten gegenüber, die eine unglaubliche Ellenbogigkeit – allen voran die Autofahrer – und öffentlich zur Schau getragene Unzufriedenheit an den Tag legten. Ich habe manches Mal gedacht, dass es kein Wunder ist, dass die Parolen der AfD hier auf fruchtbaren Boden fallen. Oder dass vielleicht umgekehrt die AfD einfach unglaublich gute verheerende Arbeit geleistet hat in den letzten zwei, drei Jahren.

Ebenfalls sehr befremdlich fand ich, dass man allüberall für einen Toilettengang bezahlen muss, und dass es zum Händewaschen fast überall nur kaltes Wasser gibt. Ich bin wirklich zu lange weg, um dafür noch irgendwie Verständnis zu haben, geschweige denn, es normal zu finden.

Alles in allem aber war es schön, da zu sein, wo meine Weihnachtstraditionen herkommen. Mit meinen Eltern Ausflüge zu machen. Bekannte zu treffen. In Schwarzenberg auf dem Weihnachtsmarkt von einer Adventskalenderbestellerin angesprochen zu werden.

Und bevor keiner mehr Weihnachtsfotos sehen will, hier noch ein letzter Schwung Stimmungsfotos von da, wo die Adventszeit am schönsten ist. ♥


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Advent im Erzgebirge: Bimmelbahnliebe

Modelleisenbahnen angucken und mit Schmalspurbahnen fahren kann man natürlich das ganze Jahr über – aber im Advent ist es doppelt schön.

Gleich am ersten Tag entdeckten wir auf dem Weg zu einem kleinen Weihnachtsmarkt eine Werbung für eine Modellbahnausstellung. „Können wir da bitte hingehen?“, riefen drei Kinder im Chor, das Fräulein Maus allen voran. Es gab da Dampfloks, die wirklich dampften, eine winzigkleine Anlage in einem Koffer, und eine riesige Anlage, die mich direkt in meine Kindheit zurückversetzte, weil da ein Zug Plattenbauelemente geladen hatte und ein anderer Ikarus-Busse. Und dann gab es noch die eine Anlage, die wunderschön und detailreich zurechtgemacht war – leider samt jeder Menge Wehrmachtssoldaten, -panzer und -fahrzeugen – die uns alle ein bisschen verstört zurückliess: sowas darf man in Deutschland im Jahr 2019 einfach so öffentlich aufbauen?!

Dann doch lieber echte Dampfloks. Wir hatten das diesmal gar nicht geplant: die Pressnitztalbahn fährt nur am Wochenende, und wir waren wirklich überrascht, als wir lasen, dass die Fichtelbergbahn im Advent täglich sechsmal in jede Richtung fährt. Trotzdem entschlossen wir uns ein bisschen spät, und weil wir alle keine Lust hatten, drei Stunden in Oberwiesenthal abhängen zu müssen, fuhren wir nur – immerhin trotzdem 40 Minuten pro Richtung – von Cranzahl nach Niederschlag, stiegen dort in den wartenden Gegenzug und fuhren direkt wieder zurück.

Sehr lachen musste ich, als uns der Fahrkartenverkäufer sagte: „Der Zug fährt von Gleis 3, da kommen Sie durch die Unterführung hin.“ Wer hätte gedacht, dass so ein Bimmelbahnbahnhof weltstädtischer ist als unser Turkuer Hauptbahnhof, wo man bekanntlich einfach von Bahnsteig zu Bahnsteig über die Gleise latscht!

Dafür fährt die Bahn, zur Warnung die ganze Zeit bimmelnd, manchem Neudorfer Bürger fast über die Terrasse, und ich erinnere mich an eine Bahnfahrt vor 30 Jahren, als auf freier Strecke angehalten werden musste, weil eine kleine Herde Schafe auf den Gleisen stand, die der Heizer verscheuchen musste, bevor weitergefahren werden konnte. Damals übrigens, als wir die Bahn zumeist nutzten, um beim Wandern nicht die gleiche Strecke hin und zurück laufen zu müssen, fand ich es sehr faszinierend, dass manche Leute nicht nur zum Vergnügen mit der kleinen Dampfbahn fuhren, sondern täglich zur Arbeit.

Die einzig wahre Art übrigens, mit so einem Dampfzug zu fahren, ist auf der offenen Plattform des ersten Wagens, direkt hinter der Lok. So habe ich es von meinem eisenbahnbegeisterten Vater gelernt – obwohl mir als Kind die fauchende, heisse Lok manchmal ein bisschen unheimlich war – und so mache ich es bis heute. Auf der Hinfahrt ging es leider nicht, weil hinter der Lok der Gepäckwagen hing, aber auf der Rückfahrt stand ich mit dem kleinen Herrn Maus, der mir in vielem von unseren Kindern am ähnlichsten ist, auf seinen Wunsch die ganzen 40 Minuten draussen, trotz Schneetreiben und unseren immer nasser werdenden Handschuhen.


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Im Weihnachtsbaumwald

Seit heute morgen 10 Uhr – wegen Zeugnisausgabe grundsätzlich samstags mit Eltern – haben wir Ferien. Ich habe meine Flunssa vom 1. Advent über den ganzen Erzgebirgsurlaub verschleppt, es nieselt und wird den ganzen Tag nicht richtig hell, und ich fühle mich gerade so, als ob ich bis zum 7. Januar einfach durchschlafen möchte.

(Der kleine Herr Maus baute sich auch direkt nach der Zeugnisausgabe ein Deckenlager im Wohnzimmer, nahm seinen Riesenriesig in den Arm und schloss die Augen. Leider kam dann das Fräulein Maus von ihrer Zeugnisausgabe heim, woraufhin der kleine Herr Maus wieder hochschnipste und ein paar Stunden später von uns zu einem Mittagsschlaf gezwungen werden musste.)

Während alle Welt in die Einkaufszentren strömte, fuhren wir in den Wald. Wir sind spät dran dieses Jahr mit einem Weihnachtsbaum, aber im Weihnachtsbaumwald muss man sich nicht mit einem übriggebliebenen, schon seit Wochen ohne Wasser herumstehenden Kümmerling begnügen. Wir fanden eine ganz perfekte mittelgrosse Fichte, die wir morgen schmücken werden, und die ganz sicher auch in diesem Jahr wieder bis zum 13. Januar bei uns bleiben darf.

Im Wald war’s schön. Trotz Nieselregen und Finsternis war ich dort für eine Stunde kein bisschen müde.


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Advent im Erzgebirge: De Peremett

„Un wenn de Peremett sich dreht, is unner schennste Zeit!“, heisst es im bekanntesten erzgebirgischen Weihnachtslied, und das ist wohl wahr!

Als Kind hat mich von allen Weihnachtsdingen die Pyramide am meisten beeindruckt: wie sich der Spanbaum in der Mitte um sich selbst drehte, wie die Engel immer schneller dahineilten, je kürzer die Kerzen brannten, und welch sonderbare, vierfache Schatten die Pyramidenflügel an die Decke warfen!

Als Grundschulkind bekam ich meine eigene Pyramide, weil mein Vater zufällig eine bei einer Betriebsweihnachtsfeier geschenkt bekommen hatte und wir ja dann zwei hatten. Auf ihr rennen Rehe um eine Raufe, und sie hat mich und uns seither in jede neue Wohnung begleitet. (Praktischerweise braucht sie nur drei Kerzen, das spart eine Packung Pyramidenkerzen, die wir hier nicht kriegen, pro Saison!)

Am Dienstag verpackte ich unsere Pyramide vorsichtig in ihren Karton, verstaute den in der Fahrradtasche und fuhr sie für einen Nachmittag in den Hort, um den Kindern ein bisschen was über meinen Urlaub zu erzählen und gleichzeitig beim wöchtenlichen Wissenschaftsdienstag ein bisschen was mit Thermodynamik zu machen.

Weil im Erzgebirge zur Weihnachtszeit aber alles noch ein bisschen wundersamer ist als anderswo, gibt es dort nicht nur Pyramiden für drin, sondern auch grosse für draussen. (Die funktionieren freilich mit Strom, und ich liebe das leise Brummen, mit dem sie sich auf den stillen Plätzen kleiner Ortschaften drehen.)

Die älteste dieser Pyramiden dreht sich seit 1934 in Schwarzenberg. Und obwohl nach der Wende noch etliche dazugekommen sind, gab es schon in meiner Kindheit so viele, dass wir oft an den Adventswochenenden, abends, wenn es dunkel geworden war, auf „Pyramidentour“ gingen und von einer zur anderen fuhren. (Das, was wir jetzt auch mit unseren Kindern machen, wenn wir im Advent im Erzgebirge sind.)

Manche haben die Form eines Weihnachtsbaums, manche den eines Förderturms oder eines Huthauses. Sie haben weisse Flügel oder rote oder blaue oder welche mit Sternen drauf oder welche aus Metall. Alle haben sie mehrere Stockwerke, auf denen geschnitzte oder gedrechselte Figuren gemächlich im Kreis laufen: Kurrendesänger, Engel, manchmal die heilige Familie, Bergleute natürlich und alle Berufe vom Holzweibel bis zum Schuster, die es im Erzgebirge gab und gibt – auf manch einer Pyramide ist auch ein Bergmann mit Presslufthammer oder ein Waldarbeiter mit Motorsäge zu sehen. Und auf einer meiner Lieblingspyramiden gibt es ganz viele Spanbäume! Diese Ortspyramiden sind klein oder gross und sie sind alle – mit Ausnahme der grössenwahnsinnigen neuen Pyramide in Johanngeorgenstadt – eine schöner als die andere!

(Überhaupt gar nichts mit einer erzgebirgischen Pyramide zu tun haben die unsäglichen Fresspyramiden aus Pappe, die neuerdings auf allen grossen deutschen Weihnachtsmärkten stehen!)

Zu Hohneujahr werden sie übrigens alle wieder abgebaut, die Figuren vorsichtig verpackt und eingelagert, um dann zu Beginn der nächsten Adventszeit wieder aufgebaut und vielerorts mit einer kleinen Zeremonie feierlich wieder „angeschoben“ zu werden.


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Advent im Erzgebirge: Alles kommt vom Bergwerk her

Nirgends ist es im Advent schöner als im Erzgebirge.

Ich bin aufgewachsen mit Lichterengeln und -bergmännern, mit Schwibbögen in den Fenstern und Pyramiden auf den Marktplätzen. Beim Wort Weihnachtsdeko rollen sich mir die Fussnägel hoch. Die Adventszeit ist die einzige Zeit im Jahr, in der ich manchmal ein bisschen Heimweh habe.

Ich bin sozusagen von einer Gegend, in der Licht im Winter besonders wichtig ist, in eine andere gezogen. Denn die Bergmänner im Erzgebirge – und der Bergbau hat da eine seeehr lange Tradition: im 12. Jahrhundert wurde das erste Silber gefunden, und noch zu DDR-Zeiten wurde in den Berg gefahren, um WismutUran und Zinn zu fördern – sahen den ganzen Winter über kein Tageslicht, weil sie in den Stollen einfuhren, bevor es hell wurde, und wieder heraufkamen, als es schon wieder dunkel war. Die Frauen stellten ihren unter Tage arbeitenden Männern und Söhnen kerzentragende Schutzengel in die Fenster, die ihnen heimleuchten sollten, und auch die Schwibbögen und Weihnachtspyramiden gehen auf den Bergbau zurück. Zudem machte der Silberbergbau zwar die ganze Gegend reich – was sehr schön an sehr prächtigen Kirchen in ganz kleinen Orten zu sehen ist – aber die Bergleute und ihre Familien waren trotzdem arm und verdienten sich mit Klöppeln, Schnitzen und Spielzeugmachen ein Zubrot, weswegen auch der Nussknacker, das Räuchermännchen und die Reifentiere aus dem Erzgebirge stammen.

Mein allerliebstes erzgebirgisches Weihnachtsding aber sind die Weihnachtsberge. Grosse Landschaftsmodelle mit geschnitzten Figuren, die sich darin bewegen, mit Beleuchtung, manchmal mit echtem Wasser, das über einen kleinen Wasserfall in einen Teich fliesst, auf dem Ruderer ihre Kreise ziehen. Es gibt uralte Weihnachtsberge und erst ein paar Jahrezehnte alte. Ein richtiger Weihnachtsberg zeigt eine biblische Landschaft, aber viel schöner sind die, die ein verschneites Dorf im Erzgebirge darstellen, mit Skilift und Schlittenfahrern, und es gibt auch einen, auf dem man den Bau der Talsperre Sosa sehen kann. Am allerschönsten aber sind die, die einem einen Blick unter Tage gewähren: oben dreht sich ein Pferdegöpel, da fahren Bergmänner in einen Stollen ein, es wird gehämmert und geklopft, einer dreht eine Winde, einer schiebt einen Hunt, zwei machen Pause und essen eine Fettbemme und bemerken gar nicht, dass der Berggeist neben ihnen aus einer kleinen Tür kommt und wieder darin verschwindet.

Ich weiss nicht, warum wir bis zu diesem Jahr noch nie da waren, aber in Schneeberg gibt es das Museum für bergmännische Volkskunst, das neben ein bisschen Stadt- und Bergbaugeschichte, alten Pyramiden und vielen beeindruckenden Schnitzereien vor allem jede Menge Weihnachtsberge zeigt. Stunden hätte ich da zubringen können und gucken! Der kleine Herr Maus durfte eine Bergmannstracht anlegen, originalgetreu samt Arschleder und Knieschützern und gelben Hosen, die nur die Schneeberger Bergleute tragen, weil einmal zu irgendeinem Jubiläum des sächsischen Königshauses eine Bergparade stattfinden sollte, aber nicht genügend Stoff für die Paradehosen aufzutreiben war, weswegen die Soldaten des in Schneeberg stationierten Regiments ihre – zufällig gelben – Hosen zur Verfügung stellen mussten. Warum unser Lichterbergmann zu Hause eigentlich gar keine Knieschützer anhat, war die erste Frage der Kinder nach unserer Rückkehr.

Wie es im Inneren eines Weihnachtsbergs aussieht, damit sich auch alles bewegt.

Raum für einen Weihnachtsberg ist in der kleinsten Hütte Nuss

Weihnachtsberge und andere schöne Dinge angucken, abseits von Seiffen und Co. – eine Liste unserer Lieblingsmuseen:
Museum für bergmännische Volkskunst, Schneeberg
Museum sächsisch-böhmisches Erzgebirge, Marienberg
Turmmuseum in Geyer
Mauersberger Museum


Ein Kommentar

Advent, Advent

Pünktlich Freitagmittag vorm ersten Advent ging der schon vier Tage andauernde Regen von einer Minute zur anderen in Schnee über. Kurz darauf waren die ersten Dächer und Wiesen weiss. Abends begrüsste uns ein Schneemann vorm Haus, und die Kinder konnten das ganze Wochenende schlittenfahren.

Das Adventswochenende begann Freitagabend mit einem Weihnachtskonzert der Musikklassen 7 bis 12 in der Kitschkirche zweitschönsten Kirche der Stadt. Die Schule hat ein eigenes Orchester! Und einen riesigen Chor – oder wahlweise verschiedene kleinere – weil alle Schüler der Musikklassen im Chor singen! Ein bisschen getrübt wurde die Freude, weil die Herren Maus es nicht erwarten konnten, zur am gleichen Abend stattfindenden Kinderradionacht zu kommen und das ganze Konzert über mehr oder weniger durchmotzten.

Als wir dann alle drei Kinder samt Schlafsäcken und Krempel zur Radionacht abgeliefert hatten, nutzten der Ähämann und ich die Chance und gingen aus. Das neue georgische Restaurant hat nicht nur sehr leckeres Essen, sondern dankenswerterweise auch nicht schon halb zehn – weil sich danach sowieso alle nur noch besaufen wollen – Küchenschluss wie sonst sämtliche finnische Lokalitäten. Ganz romantisch teilten wir uns sowohl Vor-, Haupt- als auch Nachspeise, denn nach unserem ersten Besuch dort hatten wir noch eine Woche lang von den mit nach Hause genommenen Resten leben können.

Am Sonnabend machten wir die Wohnung adventsfein, der Ähämann stieg in den Baum (und spendierte ihm eine sechste Lichterkette), und dann fuhren wir mit dem Bus in die Stadt, um dem Anzünden Anschalten der Lichter des Weihnachtsbaums vor dem Dom beizuwohnen. Die Zeremonie war dieses Jahr ein bisschen lieblos und albern, aber dafür schneite es die ganze Zeit wie verrückt!

Am Sonntag streckte mich die blöde Flunssa nieder, die das Fräulein Maus schon eine Weile gequält hatte, aber die Kinder waren einfach den ganzen Tag mit dem Schlitten unterwegs, und abends fuhren wir – Was muss, das muss! – „Hosianna!“ singen in eins unserer liebsten Kirchlein.

Schon schön, die Adventszeit hier bei uns.

(Ich hab‘ auch nur vielleicht ein- oder zweimal ganz, ganz hinten im Hinterkopf gedacht, wie doof das eigentlich ist, genau jetzt wegzufahren. Aber der Advent ist ja noch lang.)