Jeden Morgen, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit am Krankenhaus vorbeifahre, wird mir ganz warm ums Herz.
Ich muss dann immer daran denken, wie wir dreimal zu zweit da reingingen und zu dritt wieder rauskamen. Wie ich dort mit dem erst ein paar Stunden alten kleinen Herrn Maus auf dem Bauch den ganzen Tag schlief und endlich meine Erkältung auskurierte. Wie das Fräulein Maus im Solarium lag. An die Schwester, die mir erklären wollte, dass draussen am Morgen wieder beissender Frost gewesen sei – und das Ende März! – die aber keine englischen Zahlen konnte und erst nach einem Zettel rannte, auf den sie dann “-15ºC” schrieb. Wie ich den schlafenden grossen Herrn Maus, zwei Tage alt, auf dem Arm zu einer Untersuchung auf die Kinderstation trug und die Schwester, die uns abholte, nachdem sich unsere Blicke im Fahrstuhl auf ihren Schuhen getroffen hatten, lachend sagte: “Die habe ich extra, weil die Kinder die so lustig finden!” Wie das Fräulein Maus aufs Bett kletterte und gar nicht wieder aufhörte mit Streicheln und Küsschengeben, als sie ihren kleinen Bruder zum ersten Mal sah. An die Sockentafel. An die riesigen Kohlköpfe im Kühlschrank auf der Neugeborenenstation. Wie ich mit dem Ähämann über die schweizer Melkmaschine elektrische Milchpumpe gelacht habe. (Und wie mich beides vorm Platzen bewahrt hat.)
Selbst an die paar Male, an denen wir wirklich mit einem sehr kranken Kind im Krankenhaus waren, denke ich dankbar zurück. Wie jedes fiebernde Kind in der Notaufnahme zuallererst nicht nur fiebersenkende Medizin, sondern auch soviel Zuckerwasser aus Trinkpäckchen Pillimehu verabreicht bekommt, wie es will. Wie ich dem kleinen Fräulein Maus beim Röntgen die Hand halten durfte. Wie der grosse Herr Maus, als er neulich da eintraf, noch vor der fiebersenkenden Medizin und dem Pillimehu auf jeden Handrücken ein Emla-Pflaster geklebt bekam. Wie sich jede Schwester und jeder Arzt mit Vorname bei ihm vorstellten und ihm erklärten, was sie jetzt machen würden. Daran, dass ich noch nie im Krankenhaus irgendwelche Formulare ausfüllen musste. Wie der grosse Herr Maus – mit 40 Grad Fieber und am Tropf – plötzlich Hunger schrie und die Notärztin daraufhin schnell auf der Kinderstation anrief, dass sie ihm was vom Mittagessen aufheben sollen bis er hinkommt. An die Schwester, die dem grossen Herrn Maus, als er dann doch nichts davon ass, noch einen Pillimehu brachte, und noch einen, dann einen Joghurt, dann ein Eis: “Ganz egal, was, Hauptsache du magst es!” An die Muminbettwäsche auf der Kinderstation und die beiden Kuscheltiere, die schon im Bett warteten. An den Spieleschrank auf dem Flur. An die Gewitternacht, die wir dort verbrachten.
Dass ich die 181, die mir gestern am Krankenhaus entgegenkam, überhaupt gesehen habe, ist fast ein Wunder. Normalerweise gucke ich nämlich, wenn ich am Krankenhaus vorbeifahre, auf die andere Seite und zähle die Fenster im Erdgeschoss ab – auch wenn ich weiss, dass ich nie mehr ganz genau sagen können werde, hinter welchen davon die Mäusekinder auf die Welt gekommen sind.
Wenn der veraltete, hässliche Betonklotz des Turkuer Uniklinikums – neben dem selbst das Karl-Marx-Städter Bezirkskrankenhaus ein hübsches Bauwerk ist – wie geplant in ein paar Jahren abgerissen werden sollte, dann werde ich sehr traurig sein. Dem Stadtbild wird er nicht fehlen. Aber mir.
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