Gestern, als wir eigentlich auf dem Weg zum Familiengottesdienst waren, der Ähämann und das Mäusekleinkind aber noch schnell in den Supermarkt sprangen, um ein paar dringend benötigte Lebensmittel zu kaufen, fuhr ich mit dem schlafenden Mäusebaby Runde um Runde über den Markt. Es wurde schon dunkel, aber immer noch hetzten Leute mit Einkaufstüten quer über den Markt – von einem überdachten Einkaufszentrum zum nächsten, vom modernsten Warenhaus Turkus zum grössten Warenhaus Turkus. Ich umrundete mehrmals den hässlichsten Weihnachtsbaum der Welt, der eigentlich gar kein Weihnachtsbaum ist, sondern nur ein von Fichtenzweigen umhüllter und mit einer Lichterkette dekorierter Laternenmast. Während in den angrenzenden Einkaufszentren und Warenhäusern wahrscheinlich die Hölle los war, gab es auf dem Markt nur ein paar vereinzelte und kaum besuchte Stände: sechs Blumenstände, an denen vor allem Weihnachtssterne und Hyazinthen verkauft wurden, zwei Weihnachtsbaumstände, einen Fischstand. Dem Mann am Fischstand, der ganz verloren und fröstelnd in seinem Schneeanzug für Erwachsene auf Kunden wartete, die nicht kamen, hätte ich gern ein Näpfchen eingelegten Hering mit Möhren abgekauft, wenn ich sowas denn essen würde. Ich sah jede Menge schwangere Frauen und dachte daran, dass ich letztes Jahr zu Weihnachten auch so einen Bauch hatte, und wie schön das ist, beim Verlesen der Weihnachtsgeschichte den eigenen dicken Bauch streicheln zu können. Ich schaute mir alle drei Thermometer an, die man vom Markt aus sehen kann, und versuchte zu entscheiden, welches wohl am präzisesten ist. Egal. Mit grossen Leuchtzahlen verkündeten alle drei, dass so gar kein Weihnachtswetter ist, ob es nun 2,9°C oder 2,5°C oder 2,8°C waren. Ich schaute mir das Schwedische Theater, das Thalia-Haus und die orthodoxe Kirche an und versuchte mir vorzustellen, wie Turku ausgesehen hat, vor 50 Jahren, oder vor 80. Ich guckte auf den dreieckigen Betonklotz, in dem sich auch der Maistraatti befindet, und dem man vom Markt aus gar nicht ansieht, dass er dreieckig ist, und in dem jetzt das beste Steakhouse Turkus durch H&M ersetzt ist, während sich in den vorherigen Ladenräumen von H&M gleich gegenüber jetzt eine Café-, Bar- und Restaurantkette der S-Gruppe befindet. Ich musste daran denken, wie wir damals im Laufschritt quer über den Markt vom Friseur zum Maistraatti gerannt waren, weil die Friseuse für meine unfinnisch vielen Haare doch länger gebraucht hatte als geplant, und wir fast zu unserer eigenen Hochzeit zu spät gekommen wären. Und wie dann ausgerechnet auch noch an der Kreuzung vor dem dreieckigen Betonklotz, an der immer alle Fussgängerampeln gleichzeitig rot oder grün werden und über die man deshalb auch diagonal gehen kann, die Ampel rot wurde und wir auch noch warten mussten. Und wie dort einer Frau weder mein Kleid, meine Frisur, des Fast-Ähämannes dunkler Anzug noch unsere Schuhe, die eigentlich so gar nicht für einen Sprint über das Kopfsteinpflaster des Markts geeignet waren, auffielen; stattdessen guckte sie nur ungläubig auf meinen Maiglöckchenstrauss nach diesem entsetzlich kalten Frühling, in dem Ende Mai die Bäume immer noch nicht grün waren, und fragte, wo wir den denn gekauft hätten. Ich musste daran denken, dass an der gleichen Stelle anderthalb Jahre später ein riesiger Schneehaufen aufgetürmt war, auf dem Kinder begeistert herumkletterten wie auf einem richtigen Berg. An diesem seltsamen Grillimbiss an der Westseite des Marktes standen zwei Frauen mit Plastebeuteln aus zwei verschiedenen Spielzeugläden und stärkten sich mit labbrigem Fleisch in labbrigem Brot. Ein älterer Mann wankte alkoholisiert an ihnen vorbei. Eine Mutter, die mit ihrem schlafenden Kind im Kinderwagen die Runden in umgekehrter Richtung fuhr, begegnete mir zum zweiten Mal. Noch so eine, dachte ich.
Ich war froh, dass das Mäusebaby endlich mal schlief. Ich musste daran denken, wie lange wir schon in dieser Stadt leben und wie viele wichtige Dinge hier in unserem Leben passiert sind. Ich war froh, den Ähämann zu haben und die Mäusekinder. Ich freute mich auf Weihnachten. Und am glücklichsten war ich darüber, dass wir nicht heute oder morgen ein Schiff oder ein Flugzeug besteigen würden, um Weihnachten anderswo zu feiern, sondern dass wir hierbleiben würden. Zu Hause.