Da ich in letzter Zeit sehr oft gefragt worden bin, was ich hier eigentlich tue, was das ist und wozu das gut ist, habe ich beschlossen, meine Arbeit mal ein bisschen genauer zu erklären.
Zunächst einmal: ich bin Biologin und habe mich auf Ökologie spezialisiert. Zu „Ökologie“ fallen den Leuten ja meist die komischsten Sachen ein. Meist das, was es nicht ist. Ich möchte hier gern eine Anekdote weitergeben, die mein Jenaer Ökologieprofessor seit Jahren in der ersten Stunde der Grundvorlesung in Ökologie zum Besten gibt: Als er gerade nach Jena gezogen war, wurde er von seiner Nachbarin gefragt, was er denn so mache in Jena, und er antwortete ihr, dass er an der Uni als Professor für Ökologie arbeiten würde. Die Nachbarin horchte auf: “Ökologie! Oh! Ich trenne ja auch immer meinen Müll!“ *pruuuust*
Nein, Ökologie ist nicht gleich Umweltschutz. Nachdem ich das ungefähr 30 Leuten vergeblich klarzumachen versucht hatte, klagte ich einem anderen Jenaer Kollegen mein Leid, der mir darauf erzählte, wie ER versucht, den Leuten zu erklären, was Ökologie ist: Ökologie hört sich nicht zufällig fast genauso an wie Ökonomie. Ökologie ist die Haushaltslehre der Natur.
Jedes Lebewesen hat in der Natur seinen Platz, an dem es sich am wohlsten fühlt. Wo es genau so warm ist, wie es es gern hätte, wo es die Sachen gibt, von denen es sich am liebsten ernährt, wo es genau so viel oder so wenig regnet, wie es es braucht. Aber es ist nicht allein dort. Es ist umgeben von vielen, vielen anderen Lebewesen. Von Lebewesen, von denen es sich ernährt, von Lebewesen, von denen es gefressen wird, von Lebewesen, die mit ihm um den gleichen Platz an der Sonne kämpfen oder die ihm genau das wegfressen, was es für sich selbst haben wollte. Und vielleicht entscheidet das Lebewesen dann, lieber dort zu leben, wo es fünf Grad kälter ist, ein bisschen zu frieren, aber dafür sein Fressen nicht teilen zu müssen. Oder sicher zu sein vorm selbst Gefressenwerden. Die Natur ist voll von solchen Entscheidungen zwischen dem kleineren und dem grösseren Übel, und das ist, was uns Ökologen besonders interessiert. Natürlich sind diese „Entscheidungen“ keine bewussten Entscheidungen, sondern haben sich im Laufe der Evolution durch Selektion entwickelt. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
So hat nun jedes Lebewesen seinen Platz in der Welt gefunden, in dem es leben kann und Nachwuchs bekommen. Aber was, wenn sich auf einmal etwas ändert? Was, wenn der Mensch für eine globale Klimaerwärmung sorgt und es dort, wo Lebewesen x bisher ein bisschen frierend, aber mit ausreichend Futter und ohne selbst gefressen zu werden, lebte, plötzlich warm genug ist für Lebewesen y, das sich am liebsten von Lebewesen x ernährt? Wird es x ausrotten? Wird x umziehen, irgendwohin, wo es wieder so kalt ist, das y nicht hinterherkommt? Auf die Art hat Ökologie sehr wohl etwas mit Umweltschutz zu tun. Aber nicht, indem wir Ökologen fleissig Müll trennen (Das tun wir sowieso! ;-) ), sondern indem wir zu verstehen versuchen, welche Auswirkungen das Eingreifen des Menschen auf den Naturhaushalt haben könnte.
Meine Mäusearbeit hier finde ich insofern besonders spannend, als sie ökologische Grundlagenforschung und Umweltschutz vereint.
Unser Umweltproblem hier ist der Mink, eine Art Nerz, der eigentlich aus Nordamerika stammt und in Finnland in Pelztierfarmen gehalten wird (Japaner tragen immer noch Pelze aus finnischen Minkfarmen, hab’ ich mir sagen lassen.) Ab und zu bricht mal ein Mink aus, oder sie werden zu Tausenden von sogenannten Naturschützern in nächtlichen Aktionen freigelassen. Viele überleben das freilich nicht. Sie sind das Leben in der freien Natur nicht gewöhnt. Sie verhungern. Sie werden überfahren. Sie werden gefressen. Am schlimmsten ist es für die, die ein weisses Fell gezüchtet bekommen haben. Die überleben nie. Aber die Minks, die überleben, fangen an, sich entlang der Ostseeküste und im Archipelago niederzulassen und sich zu vermehren. Und dabei fressen sie alles, was ihnen vor die Nase kommt: Seevogeleier, Küken, Frösche, Mäuse… Und die wissen nicht, wie ihnen geschieht. Im Archipelago hat es noch nie derartige Raubtiere gegeben. Greifvögel, ja, aber gegen die muss man sich ganz anders wehren als gegen einen Räuber auf dem Land. Und weil der Mink den Tieren im Archipelago gänzlich unbekannt ist, können sie sich gegen ihn nicht wehren. Wehren heisst natürlich nicht, dass eine Maus zum Zweikampf mit einem Mink antritt. Da hätte sie wenig Chancen. Aber sie könnte Taktiken entwickeln, dem Mink zu entgehen. Sie könnte in der Zeit, in der der Mink meistens aktiv ist, in ihrer Höhle sitzen, und erst dann rauskommen, wenn der Mink schläft. Sie könnte lernen, wo sich der Mink am liebsten aufhält und diese Gebiete meiden. Oder sie könnte versuchen, auf eine andere Insel umzuziehen, wo es vielleicht keinen Mink gibt. (Mäuse können gut schwimmen!) Vielleicht aber ist sie auch gar nicht so böse, dass es auf ihrer Insel einen Mink gibt. Solange sie nicht selbst gefressen wird, sondern recht viele von den Anderen, dann bleibt für sie selbst mehr Futter. Grössere Territorien. Gar nicht so schlecht, oder?! Futter, ach ja. Mäuse sind so ziemlich unersättlich. Das Nahrungsangebot auf den kleinen Inseln dagegen eher dürftig. Wenn fünfzig Mäuse an einem kleinen Stück Rasen nagen, dann geht’s den Pflanzen da drauf nicht sehr gut. Wenn der Mink von den fünfzig Mäusen dreissig wegfrisst, müsste es der Vegetation besser gehen, weil dann nicht mehr so viele Mäuse fressen. Klar, oder? Es kann aber auch genau umgekehrt sein: dass nämlich die Vegetation eine gewissen Störung braucht um besonders vielseitig zu sein. Wenn diese Störung wegfällt (also keine Mäuse mehr fressen), dann setzt sich vielleicht eine einzige Pflanzenart durch, die besonders konkurrenzstark ist, aber bisher von den Mäusen kurzgehalten wurde, so dass die anderen Arten auch eine Chance hatten. Und dass es nur noch eine Art gibt (oder einige wenige) ist ja auch nicht im Sinne eines ökologischen Gleichgewichts.
Was wir also insgesamt herausfinden wollen, ist, ob der Mink tatsächlich auf lange Sicht das ökologische Gleichgewicht stört oder ob er zwar vielleicht ein bisschen was verändert auf kurze Sicht, auf lange Zeit aber doch nicht wirklich was kaputtmacht.
Dazu haben wir jede Menge Inseln zur Verfügung, auf denen wir unsere Experimente machen dürfen. Auf zwei Gruppen dieser Inseln wird der Mink seit mehr als 10 Jahren regelmässig jedes Jahr abgeschossen, auf den anderen Inseln darf er sich weiterhin ausbreiten wie er will. Das ist eine tolle Möglichkeit, zwischen diesen Gruppen von Inseln zu vergleichen. Von den Seevögeln weiss man zum Beispiel, dass sie vom Mink fast ausgerottet waren, aber sich dort, wo der Mink abgeschossen wird, wieder gut erholen. Bei den Kleinsäugern weiss man nicht so recht. Also guck’ ich mir das an. ;-)
Rein praktisch sieht das so aus, dass wir die meiste Zeit mit Mäusefangen beschäftigt sind. Wir verwenden dazu sogenannte Lebendfallen, in die die Mäuse über eine Wippe reinlaufen, aber dann nicht wieder rauskommen. Herkömmliche Mausefallen wären ja auch ein bisschen doof für unsere Zwecke, oder? Jede Maus wird individuell markiert, damit wir später noch wissen, wer wer ist. Die neueste Methode, die wir gerade anwenden, ist, den Mäusen die Zehen zu tätowieren. Klingt komplizierter als es ist: die Maus bekommt einfach einen kleinen grünen Punkt (nee, das heisst nicht, dass sie recycelfähig ist, ich sagte doch schon, wir sind nicht IMMER mit Mülltrennen beschäftigt) auf eine ihrer 18 Zehen tätowiert, und hinterher weiss man, ach das ist Mausi Nr. 3 oder Mausi Nr. 15 oder… Wenn man dann wieder fängt, ist immer ein Anteil markierter und ein Anteil unmarkierter Mäuse in den Fallen. Daraus kann man z.B. ungefähr abschätzen, wie gross die Mäusepopulation auf der Insel ist. Und man weiss z.B. wie lange eine ganz bestimmte Maus überlebt. Also ungefähr. Wenn man sie nicht wieder fängt, dann kann das zwei Gründe haben. Entweder sie lebt nicht mehr, oder sie ist umgezogen und wohnt ausserhalb des Quadrats, in dem wir die Fallen aufstellen (5×5 Fallen in 10x10m-Abstand). Wenn man ganz unbedingt das Schicksal einer einzelnen Maus verfolgen will, dann kann man ihr einen ganz, ganz leichten Sender an einem Halsband umbinden und die Maus dann mit Antenne verfolgen. Allerdings mag ich das nicht so sehr.
Hingegen mag ich sehr, diese kleinen, pelzigen, warmen, wütenden und beissenden Tierchen in der Hand zu haben. Und besonders mag ich, sie hinterher freizulassen und zuzuschauen, wie sie, ein wenig verwirrt noch, aber sehr erleichtert, in Richtung ihres Baus verschwinden…
Wenn alle diese Mäusefangerei beendet ist und der Sommer um, dann kommt der Teil der Arbeit, den ich nicht sonderlich mag. Dann heisst es nämlich, wochenlang vor dem Computer zu sitzen und die Ergebnisse unserer Experimente auszuwerten. Viel, viel Statistik. Keine (sogenannte beschreibende) Statistik, die einem sagt, dass 49% der Bevölkerung männlich sind, sondern Statistik, die uns hilft, Unterschiede zwischen Versuchsgruppen aufzudecken. Wenn ich auf fünf verschiedenen Minkinseln je 2, 5, 0, 2 und 3 Mäuse fange und auf fünf verschiedenen minkfreien Inseln je 5, 0, 7, 2 und 4 Mäuse – kann ich dann wirklich sagen, dass es auf Minkinseln weniger Mäuse gibt? Der richtige statistische Test sagt mir, ob es so ist. Natürlich nicht hundertprozentig, aber zumindest mit einer hohen Wahrscheinlichkeit.
Und wenn ich dann etwas ganz Neues und Spannendes herausgefunden habe, dann muss ich das noch niederschreiben und veröffentlichen, damit andere Wissenschaftler auch davon erfahren. Man schreibt dazu sogenannte ca. 10-seitige paper, die in entsprechenden Fachzeitschriften veröffentlich werden. In wirklich guten Zeitschriften zu veröffentlichen ist ziemlich schwierig. Jedes paper wird ganz genau unter die Lupe genommen, ob der Versuch auch wirklich was ganz Neues ist, ob er korrekt geplant war, ob die richtigen statistischen Tests durchgeführt wurden, ob alles schlüssig beschrieben und begründet wurde. Ablehnungen sind sehr frustrierend, und meist muss ein paper mehrmals um- und überarbeitet werden, bevor es endgültig von einer Zeitschrift angenommen wird. Letztendlich, wenn man wissenschaftliche Karriere machen will, fragt auch keiner mehr nach irgendeiner Abschlussnote, sondern nur noch, wie viele paper man wo veröffentlicht hat.
Deutsche Doktorarbeiten werden häufig immer noch in Buchform niedergeschrieben. Dann hat man so ein hundertseitiges Buch, in das sowieso nie jemand wieder reinguckt. Ich habe sogar gehört, diese Bücher müssten auf Deutsch geschrieben sein, obwohl in der Wissenschaft alle nur noch englisch kommunizieren. In Finnland wird eine Doktorarbeit von vornherein so geplant, dass ungefähr fünf paper dabei herauskommen. Zwei davon, glaub’ ich, müssen zum Zeitpunkt der Verteidigung der Doktorarbeit schon veröffentlicht sein, die anderen dürfen als Manuskripte vorliegen. Das finde ich sehr gut, weil man dann keine Arbeit verschwendet, um erst eine deutsche (oder finnische oder was auch immer) Abhandlung zu schreiben und dann später daraus noch eine Veröffentlichung zu machen. Falls man dann dazu überhaupt noch Lust hat. Aber diese ganze Arbeit dafür, dass sie in einem Buch steht, das keiner liest?! Andererseits steht man mit dem finnischen System auch unter ziemlichem Druck, wirklich fünf gute Manuskripte zu produzieren. Im Moment erscheint mir das alles noch als sehr, sehr schwierig. Aber ich bin ja auch erst am Anfang und weiss, dass ich noch eine Menge lernen werde. Und in zwei Jahren schreckt mich das vielleicht alles gar nicht mehr.
Sagte ich schon, dass mir meine Arbeit grossen Spass macht? :-)