„Die fahren heute alle wie die Weihnachtsmänner!“, warnte mich der Ähämann am Montagabend bei der Wach- und Autoschlüsselübergabe. „Fahr bloss vorsichtig!“
Es ist ja nicht nur so, dass hier die meisten Autofahrer fahren wie vor zehn, fünfzehn Jahren – als man auf finnischen Strassen ruhig ein bisschen herumtrödeln und unaufmerksam sein konnte – und gar nicht mitzukriegen scheinen, dass die Verkehrsdichte in den letzten Jahren so ein ganz kleines bisschen zugenommen hat. Von Zeit zu Zeit entwickeln sie ausserdem lemminghaft irgendwelche Marotten. Die neueste: an der roten Ampel mit vier, fünf Metern Abstand zum Vordermann anhalten. Habe ich da irgendeine Kampagne verpasst?!
(Ich hätte da übrigens so den einen oder anderen Vorschlag für wirklich sinnvolle verkehrserzieherische Kampagnen: Wir halten ab sofort immer am Zebrastreifen an. Wir lernen das Reissverschlussprinzip. Wir biegen nicht ohne Schulterblick rechts ab. Ausserdem könnte man endlich mal Hauptstrassenschilder aufstellen lassen, dann würden an manchen Kreuzungen nicht immer alle verunsichert anhalten, während an anderen Kreuzungen alle gleichzeitig der Meinung sind, sie hätten Vorfahrt. Ich mein‘ ja nur…)
Und jetzt kommt dann noch diese Finsternis dazu. Jedes Jahr wieder frage ich mich, ob das nur die Umstellung von „Immer hell“ auf „Plötzlich wieder finster“ ist, oder ob die finnische Dunkelheit tatsächlich finsterer ist als anderswo. Egal, wie hell die Scheinwerfer sind, egal, wie gut beleuchtet die Strassen in der Stadt – es gibt so Tage, da habe ich das Gefühl, die Dunkelheit saugt jegliches Licht auf. Fussgänger kleiden sich zudem bevorzugt von Kopf bis Fuss in Schwarz. Viele behängen sich wenigstens mit – gesetzlich vorgeschriebenen! – Reflektoren, aber viele auch nicht. Radfahrer fahren oft ganz ohne Licht oder wenigstens ohne Rücklicht, oder, auch sehr schön für den sowieso schon vom Starren in die Dunkelheit angespannten Autofahrer: mit blinkendem Vorderlicht, mit weisser Stirnlampe nach hinten gedreht, mit rotem Batterielicht mal eben an die Lenkstange montiert…
Ich fuhr also vorsichtig. Und versuchte, in der Finsternis niemanden anzufahren. Dass ich die 188 überhaupt wahrgenommen habe, wundert mich jetzt selber.
[1-3, 4, 5, 6, 7, 8, 9-10, 11, 12, 13, 14, 15, 16-17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32-35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59-61, 62, 63, 64, 65, 66, 67-68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106], 107-108, 109, 110, 111, 112-113, 114, 115, 116-117, 118, 119, 120, 121, 122-123, 124-130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139-140, 141, 142, 143, 144, 145, 146-147, 148-149, 150, 151, 152, 153-155, 156, 157, 158, 159-160, 161, 162, 163-164, 165, 166-167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187]
Mittwoch, 26. November 2014 um 10:58
Nuj, und hier wundere ich mich immer, wie alle immer wieder vom ersten Schnee überrascht werden. Im Winter!!!
Donnerstag, 27. November 2014 um 09:11
Ich hab‘ das dann nochmal mit dem Ähämann „analysiert“: der meinte nämlich, alle wären besonders furchtbar gefahren, weil sie wohl Angst gehabt hätten, es könne glatt sein, obwohl es schon gar nicht mehr glatt war. Meine erste Reaktion war: Hä? Seit wann hat ein Finne Angst vorm Fahren bei Eis und Schnee? Dann fiel mir ein, dass ja neuerdings die Wettervorhersage mit Warnungen daherkommt und auch ich da am Montag „Verkehrswetterwarnung“ gelesen hatte.
(Erinnerte mich auch daran, dass Leute tatsächlich versucht haben, im Autobahntunnel zu wenden, weil das Navi es ihnen gesagt hat.)
Selbst denken scheint eine ausgestorbene Fähigkeit zu sein…
Mittwoch, 26. November 2014 um 13:22
Meinst du mit Hauptstrassenschilder Vorfahrtschilder? Also die weiß-gelben? Wenn ja – absolut dafür!!! Mit den Jahren habe ich mich zwar dran gewöhnt und auch das System entdeckt, wann man wissen kann, dass man Vorfahrt hat (und nicht rechts-vor-links), aber trotzdem.
Donnerstag, 27. November 2014 um 09:02
Ja, genau die. Man kann natürlich auch immer gucken, ob man an der anderen Strasse ein graues Dreieck entdeckt – aber einfacher wär’s schon mit einem Vorfahrtsschild…
Freitag, 28. November 2014 um 13:16
Jepp.
Obwohl – ist es nicht so, dass man (vorrausgesetzt natürlich man bleibt auf der selben Straße) nur einmal gucken muss? Und wenn man dann ein graues Dreieck sieht, immer Vorfahrt hat, bis es anders ausgeschildert ist (also man selbst ein Vorfahrt beachten oder Stopschild bekommt)? So ist das jedenfalls in Helsinki (auf den Straßen, die ich fahre). Das meinte ich mit „System“.
Ist zwar noch immer nervig, aber wenigstens spart man sich etwas Guckerei.
Mittwoch, 26. November 2014 um 13:47
Meine Nerven liegen hierzulande jedesmal brach, wenn jemand einen Beschleunigungsstreifen (der seinen Namen ja nicht ohne Grund verpasst bekommen hat) mit ca. 60km/h befährt, um sich dann anschließend mit ca. 65 km/h auf die Autobahn zu gesellen.
Das ist fies, wenn man selber besagte Autobahn befährt, aber auch, wenn man auf dem zum Entschleunigungsstreifen degradierten Zubringer direkt hinter der Schnarchnase vor einem hängt.
Sehr beliebt ist zunehmend auch das Phänomen: „Blinken, wozu?“
Aber so übe ich mich in Toleranz :)
LG,
Britta
Mittwoch, 26. November 2014 um 14:53
Das mit der dunklen Kleidung und den fehlenden Fahrradleuchten begeistert mich auch alle Jahre wieder. Dann freundlicherweise noch in falscher Richtung den Radweg lang und mein Tag ist fast perfekt.
Mittwoch, 26. November 2014 um 16:42
Es ist ja wirklich interessant, warum es gerade in Ländern mit wenig Licht im Winter üblich ist, sich möglichst dunkel zu kleiden, dagegen zum Beispiel in Afrika bei strahlemdem Sonnenschein auch die Kleidung hell und bunt ist. Verstehe jemand die Menschen :grin:
Was bedeutet denn dieses *hüstel* etwas längere Wort im Titel ? Dass finnisch eine agglutinierende Sprache ist, weiß ich schon, aber was findet sich denn so alles an Teilen zusammen um diese Wortlänge zu erreichen ?
Mittwoch, 26. November 2014 um 17:40
CLXXXVIII
;-)
Mittwoch, 26. November 2014 um 17:42
hmmmm ….. ??
Welche tiefere Bedeutung diese römischen Zahlen haben, wollte ich ja auch schon gerne wissen ……
Mittwoch, 26. November 2014 um 18:24
sata = 100
+
kahdeksankymmentä = 80
+
kahdeksan = 8
___________________________
= CLXXXVIII (beobachtet)
■
Mittwoch, 26. November 2014 um 19:00
Ahhhhhh, so ist das, ich bin schwer beeindruckt ! Und zum Beispiel „der 188ste“ ist dann wahrscheinlich noch einmal ein Stück länger :) Sehr interessante Sprache !
Mittwoch, 26. November 2014 um 19:23
“der 188ste” = sadaskahdeksaskymmeneskahdeksas
:-)
Donnerstag, 27. November 2014 um 09:16
Das geht ja noch… aber versuch mal auf finnisch zu sagen: „In den 188 Autos“! ;-)
Da muss nämlich auch jede Ziffer einzeln gebeugt werden.
(Was dann dazu führt, dass der Finne nie sagt „(In) 2014“ sondern immer „Im Jahr 2014“ oder „5 – 10“ nicht als „Fünf bis zehn“, sondern als „Fünf Strich Zehn“ ausspricht – weil so die Zahlen nicht dekliniert werden müssen…)
Donnerstag, 27. November 2014 um 11:47
Das ist lustig- sie überlisten die eigene Sprache :)
Es gibt ja wirklich die tollsten Dinge: im isländischen zum Beispiel gibt es verschiedene Deklinationen für ein Nomen je nachdem ob man es mit einem bestimmten oder einem unbestimmten Artikel verwendet. Und dabei auch noch 6 oder 7 Fälle.
Wie lange hast du denn zum Finnisch lernen gebraucht ?
Donnerstag, 27. November 2014 um 13:02
Wie lange ich zum Finnischlernen gebraucht habe? Das ist, glaub‘ ich, mit Abstand die häufigste Frage, die mir gestellt wird. :-)
(Und ich kann sie immer noch nicht richtig beantworten.)
Einerseits konnte ich mich nach einem halben Jahr schon ganz gut (und unter Zuhilfenahme von Händen und Füssen und eines Wörterbuchs) verständlich machen – andererseits habe ich erst nach sechs Jahren in Finnland und meinem wunderbaren Finnischkurs wirklich das Gefühl gehabt, jetzt komme ich mit Finnisch zurecht. (Bei anderen, die zu Hause mit ihrem Partner Finnisch sprechen oder Finnisch für die Arbeit brauchen, mag das sehr viel schneller gehen.) Von ganz und gar flüssig oder gar fehlerfrei wage ich nicht mal zu träumen…
Donnerstag, 27. November 2014 um 12:48
Sadassakahdeksassakymmenessäkahdeksassa autossa. Und? ;-)
„Der Finne“ sagt nie „kahdessatuhannessaneljässätoista“ (bzw. „kahtenatuhantenaneljänätoista“) wenn „der Finne“ von Jahre spricht. „Kahdestuhannesneljästoista“ (Ordnungszahlwort) auch nicht: tänään on torstai, marraskuun kahdeskymmenesseitsemäs päivä vuonna kaksituhattaneljätoista (vgl. Estnisch: täna on kahekümne seitsmes november kahe tuhande neljateistkümnendal aastal.)
„Der Finne“ sagt aber „kahdessatuhannessaneljässätoista tapauksessa“ oder „kahtenatuhantenaneljänätoista kappeleena“.
Meine Oma (Geb. 1902) hat altmodische Zahlwörte angewendet; „viisineljättä“ statt „kolmekymmentäviisi“ und „viidesneljättä“ statt „kolmaskymmenesviides“. Einfacher zu beugen; cf. kahdennellakymmenennelläviidennellä ~
viidennelläkolmatta.
Alavilla mailla hallanvaara. ;-)
Mittwoch, 26. November 2014 um 19:28
:)
Mittwoch, 26. November 2014 um 23:45
Hm. Finnisch in allen Ehren, aber hundertachtundachtzig sieht für mich mit deutsch als Muttersprache schon merkwürdig und kompliziert aus; für jemanden, der nicht deutsch kann, vermutlich ähnlich überfordernd wie satakahdeksankymmentäkahdeksan. Auch wenn letzteres zugegebenerweise deutlich mehr Zeichen hat. :D Ich glaube, alle ausgeschriebenen Zahlen über 20 sind zwar nicht unbedingt Zungenbrecher, aber „Augenbrecher“. :D Man muss allerdings natürlich wissen, dass das ein Zahlwort ist, sonst sieht die satakahdeksankymmentäkahdeksan sehr schräg aus.
Ich finde persönlich deutsche ausgesprochene Zahlen, die ich aufschreiben soll mittlerweile verwirrend, weil ich mich an das finnische (englische) System gewöhnt habe und somit vergesse, vor dem „und“ einen Platz freizuhalten. (Ich versuche grade nachzudenken, wie das linguistisch korrekt formuliert werden könnte). Aber gut, wenn ich an dänisch oder französisch denke, dann kommt man mit deutsch noch ganz gut weg. :)
Donnerstag, 27. November 2014 um 10:51
„Merkwürdig“? „Kompliziert“?
Cent quatre-vingt huit? Et hundrede og otteogfirs? Firs???
http://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A4nische_Sprache#Die_Zahlw.C3.B6rter
50 = halvtreds, verkürzte Form von halvtredsindstyve, bedeutet halvtredje sinde tyve (halb-drei mal 20)
60 = tres, verkürzte Form von tresindstyve, bedeutet tre sinde tyve (3 mal 20)
70 = halvfjerds, verkürzte Form von halvfjerdsindstyve, bedeutet halvfjerde sinde tyve (halb-vier mal 20)
80 = firs, verkürzte Form von firsindstyve, bedeutet fire sinde tyve (4 mal 20)
90 = halvfems, verkürzte Form von halvfemsindstyve, bedeutet halvfemte sinde tyve (halb-fünf mal 20)
Klar wie Kloßbrühe, non?
Freitag, 28. November 2014 um 13:23
Yepp. Klar. :)
Die dänischen Zahlen konnte ich mir noch nie merken. Nie. Mit meinen schwedisch-norwegisch Kenntnissen kam ich in dem halben Jahr, in dem ich in Kopenhagen gewohnt habe, ganz gut durch, bis auf diese Zahlen. Einmal sollte ich auf einer Behörde meinen Geburtsdatum sagen. Bin Jahrgang 83. Aus irgendwelchen Gründen habe ich auf gut Glück „halvtreds“ für 80 genommen. Vermutlich weil da ne 3 für die 83 drinnen ist, obwohl das gar keinen Sinn macht, weder auf deutsch noch auf dänisch. Aber manchmal funktioniert das Gehirn ja etwas merkwürdig. Habe mich also damit 30 Jahre älter gemacht. Merkwürdig, dass die Dame mich bat, auf englisch zu wiederholen. :D
Donnerstag, 27. November 2014 um 15:15
Was mich ja immer interessiert: Wirkt sich sowas auf die durchschnittlichen mathematischen Faehigkeiten im Land aus (und wenn ja in welche Richtung)?
Donnerstag, 27. November 2014 um 15:28
Du meinst das Verhalten im Strassenverkehr? Oder komplizierte Zahlen? ;-)
Laut Pisastudie jedenfalls sind die mathematischen Fähigkeiten von finnischen Schülern recht gut. Aber wie wir jetzt alle wissen, sind die finnischen Zahlen ja ganz logisch, kompliziert ist nur ihre Deklination, und das fällt ja dann unter Muttersprache. ;-)
Das Fräulein Maus allerdings macht mehr Fehler bei Matheaufgaben, als sie an einer deutschen Schule vermutlich machen würde. Am häufigsten sind Zahlendreher: statt 45 schreibt sie 54 (oder umgekehrt), weil es auf Deutsch „fünf-und-vierzig“ heisst, auf finnisch aber „vierzig-(und)-fünf“, aber auch andere Schusselfehler, die daher kommen, dass sie die Zahlen im Kopf erst hin und her übersetzt…
Freitag, 28. November 2014 um 13:27
Wie süß! :) Auch wenn sie es vermutlich als frustrierend empfindet? Das erinnert mich grade an das umgekehrte Phänomen. Mein Patenkind wächst in einer zweisprachigen (deutsch-finnisch) Familie auf, wobei finnisch aber die deutlich dominantere Sprache in der Familie ist. Sie war da noch im Kindergarten, als sie mir stolz erzählte, sie könne schon bis 20 zählen. Bis 10 ging es auch gut, aber dann kam einszehn und zweizehn (und dann dreizehn). Ich hätte sie knuddeln können.
Freitag, 28. November 2014 um 13:36
Ich weiss auch nicht, warum das gerade mit Zahlen so kompliziert ist…
Als wir letztens mit dem Fräulein Maus gemeinsam bei ihrer Lehrerin zum Elterngespräch waren und wir uns alle vier ein bisschen wunderten, warum sie schriftliche Aufgaben schnell und nahezu fehlerfrei rechnet, aber beim Kopfrechnen vergleichsweise langsam ist, fragte ihre Lehrerin dann mal nach, ob sie eigentlich die Zahlen immer erst übersetzt im Kopf. (Auf die Idee wäre ich niemalsgekommen – wechselt sie doch inzwischen ohne nachzudenken flüssig von einer Sprache in die andere.) Und tatsächlich, das Fräulein Maus nickte!
Freitag, 28. November 2014 um 15:52
Mein „Grosser“ hat neulich auch gemeint, auf den Duplosteinen seien „drei Eistueten und five Wuermer“. Hoffentlich sortiert sich das noch ein bisschen, bis er in die Schule kommt!