Der Ähämann war Freitagabend auf eine Weihnachtsfeierparty mit seiner Arbeitsgruppe eingeladen, und da es schon fast wieder drei Jahre her ist, dass wir anderen das letzte Mal in Tampere waren, kauften wir kurzentschlossen fünf Zugtickets und buchten eine Unterkunft für eine Nacht und fuhren Freitagabend alle gemeinsam hin.

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Ratikka.
Es gibt Städte, die beschliessen im Jahr 2016, eine Tiefgarage ins Stadtzentrum zu bauen, während andere Städte im gleichen Jahr beschliessen, eine Strassenbahn zu bauen.
Und während das eine Bauprojekt noch immer nicht abgeschlossen ist und da, wo es unter Zeitdruck zusammengepfuscht wurde, schon wieder nachgebessert werden muss, ist der erste Teil des anderen, der immerhin zwei Linien mit insgesamt 28 Haltestellen umfasst, schon seit anderthalb Jahren fertig und läuft tadellos. (Wenn nicht gerade mal wieder irgendein Bagger die Oberleitungen runtergerissen hat.)

Der Plan fürs Wochenende war klar: wir würden jeden Schritt, den wir mit der Ratikka fahren könnten, mit der Ratikka fahren. Wir kauften noch vom Zug aus fünf 24-Stunden-Tickets und stiegen direkt am Bahnhof in die erste ein.
Ich mag übrigens alles an ihr: die Farbe, die Vögel auf den Sitzbezügen, die Gedichte und Kurzgeschichten rund um die Fenster (für die eigens eine Schriftart, benannt nach der Endhaltestelle, an der sich auch das Strassenbahndepot befindet, entwickelt wurde), dass jede Bahn einen Namen hat und dass es eine Strassenbahn gibt, die abwechselnd von Künstlern gestaltet wird und zur Zeit mit Katzen herumfährt, und dass sie alle seit März vorn drauf eine Friedenstaube haben.





Schöne Haltestellen hat sie auch.
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Lichtkunst.
Nach dem Abendbrot, als der Ähämann schon zu seiner Party aufgebrochen war, sprangen wir anderen in die nächste Ratikka und fuhren drei Haltestellen bis zum Weihnachtsmarkt. Der hatte schon geschlossen, aber alle Gebäude ringsrum waren sehr schön – und vor allem saisonal passend! – illuminiert, und zwar nicht nur mit stehenden Bildern, sondern die Schneekristalle bewegten sich alle.
Diese Lichtkunsttage und -wochen sind ein grosses Ding in Finnland.



In dem Stadtviertel, durch das wir sowieso den Rückweg antreten mussten, waren ausserdem vierzehn verschiedene Zeichnungen aus „Winter im Mumintal“ an verschiedene Hauswände projiziert.


Wir liefen Strassen auf und Strassen ab, fanden nicht alle, aber viele, und kamen so durchgefroren zurück zu unserer Unterkunft, dass wir sehr froh waren, dass wir die Sauna vorprogrammiert hatten und sie bei unserer Rückkehr schon so heiss war, dass wir direkt hinein konnten.
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Museumsliebe.
Kein Besuch in Tampere ohne Museumsbesuch!
Wir fingen in der Villa Milavida an, die sich einst die Fabrikantenfamilie Von Nottbeck, die im Jahr 1836 die Finlayson-Baumwollspinnerei von ihrem Gründer James Finlayson gekauft und anschliessend modernisiert und vergrössert hatte, hatte bauen lassen. Der Eintritt war vergleichsweise hoch und die Ausstellung vergleichsweise klein – das hat leider auch die kleine, aber feine Vivienne-Westwood-Sonderausstellung nicht rausgerissen. Weil die Nottbecks aber Deutsch-Balten waren, gab es in der weihnachtlich geschmückten Villa auch einen riesigen Herrnhuter Stern und kostbare gläserne Weihnachtsbaumkugeln zu bewundern. Das war nach den finnischen Weihnachtsausstellungen, die es sonst hier so gibt, fast ein bisschen wie in einem deutschen Museum zu sein, und mir wurde ganz unerwartet heimatlich weihnachtlich zumute.


Ausserdem war der Wunsch nach dem Arbeitermuseum auf dem Finlayson-Gelände geäussert worden.


Dieses (kostenlose!) Museum ist vielleicht das schönste Museum, das ich kenne. Neben einer regelmässig wechselnden Hauptausstellung gibt es verschiedene kleine, wechselnde Sonderausstellungen – diesmal unter Anderem eine über die 1990er, was ich besonders spannend fand, weil sie das Finnland zeigte, in das ich damals gekommen bin.

Radio Mafia habe ich auch am liebsten gehört.

Ausserdem kein Tampere-Besuch ohne einen Abstecher zu Helene und Marie, den beiden Schweizer Dampfmaschinen, die einst ein gigantisches Schwungrad von acht Metern Durchmesser und damit alle Maschinen der Finlayson-Baumwollspinnerei antrieben.




Der kleine Herr Maus war kurzzeitig verschwunden. Aber wir mussten nur den lieblichen Klängen von The Final Countdown auf dem Harmonium folgen, um ihn wiederzufinden.

Die Hauptausstellung befasste sich diesmal mit der Industrialiserung Finnlands und insbesondere der Stadt Tampere.


Besonders süss fand ich die kleinen Schaukästen auf Kleinkindaugenhöhe, in denen das, was oben ausführlich erklärt und mit Exponaten belegt war, in kleinen Szenen mit Mäusen nochmal nachgestellt war. (Es hat mich sehr an die wechselnd bestückten Vitrinen in unserer Kinderbibliothek erinnert.)

Erwähnte ich schon, dass das mein Lieblingsmuseum ist?!
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Weihnachtsmarkt.
Weihnachtsmarkt in Finnland ist im Allgemeinen eine eher traurige Veranstaltung. Zumindest in Turku hat der eine, der eigentlich ganz schön ist, nur am Wochenende auf, und der andere besteht aus sieben oder acht verstreuten Buden, in denen von 9 bis 16 Uhr überteuerte Handarbeiten feilgeboten werden. Ich hatte deswegen auch überhaupt keine Erwartungen an den Weihnachtsmarkt in Tampere und nicht einmal geplant, hinzugehen. Aber als wir Freitagabend mit der Strassenbahn daran vorbeifuhren, sah er gleich so nett aus, und tatsächlich: es war der deutscheste erzgebirgischste Weihnachtsmarkt, den ich jemals ausserhalb des Erzgebirges erlebt habe.



„Krankgeschrieben. Darf nicht gegessen werden zu Weihnachten.“
An der Bude, die irritierenderweise den Namen meiner Geburtsstadt trug, gab es tatsächlich deutsche Waffeln und Krapfen, und als wir dann auch noch eine Bude fanden, an der es Schokoäpfel gab und wir diese zum Nachtisch im Schneegestöber unter der riesigen Sibirischen Tanne assen, fanden wir alle für eine kurze Weile, dass es vielleicht gar nicht sooo schlimm ist, dass wir auch dieses Jahr wieder nicht ins Erzgebirge kommen in der Adventszeit.





Sogar Nussknacker, Reiterpferdchen und Holzweibel waren da.
(Vermutlich ein Geschenk vom sächsischen ans finnische Manchester.)
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Bahnfahren.
Dann stellten wir plötzlich fest, dass die Zeit bis zur Abfahrt unsere Zuges gar nicht mehr reichen würde, um noch bis zur Endstelle der Linie 3 zu fahren, was immerhin eine halbe Stunde pro Strecke gedauert hätte. (Woran man auch sehr schön sieht, was für ein Grossprojekt diese Strassenbahntrasse gewesen ist.) Also stellte der Ähämann uns nur seinen vergleichsweise kurzen Weg zur Arbeit vor, und als wir einmal mit der Linie 1 bis zur Endstelle und wieder zurück zum Bahnhof gefahren waren, waren sogar noch fünf Minuten Zeit, auf den grossen Schneehaufen am Bahnsteig herumzuklettern.


Ankunft in Turku leider auf Gleis 17, aber immerhin bei ebensoviel Schnee.