Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Lesen lernen 2.0

Als Deutsche*r darf man Bücher ja auf keinen Fall in den Müll ins Altpapier schmeissen. Wer das tut, dem drohen mindestens die sieben biblischen Plagen, wenn nicht gleich die Hölle. Könnte man meinen.

(Hierzulande stellt sich die Frage zumeist gar nicht, weil Bücher kein Statussymbol sind. Viele finnische Wohnzimmer sind völlig bücherfrei. Das heisst aber nicht, dass diese Leute keine Bücher lesen: wir haben Bibliotheken, die so gut sind und so rege genutzt werden, dass wir sicher auch Weltmeister im Bücherausleihen wären, wenn das mal jemand ausrechnen würde.)

Und so kommt es, dass sich bei uns auf Arbeit andauernd Bücher zweifelhaftester Qualität ansammeln.

Der Gedanke an sich ist ja ganz nett: wer seine deutschsprachigen Bücher nicht mehr braucht, bringt sie da hin, und wer gerne etwas Deutschsprachiges lesen möchte, leiht sie sich da aus oder kauft sie für einen symbolischen Preis von einem Euro. Nur: in der Stadtbibliothek gibt es viel mehr deutsche Bücher – allesamt neuer und besser als der Mist, den die Bibliothek auch als Spende aus gutem Grund nicht annimmt und der dannn lieber ins Bücherregal der Deutschen Gemeinde als ins Altpapier gebracht wird.

(Vor zwei Jahren haben wir radikal aussortiert und ungefähr eine Tonne Bücher ins Altpapier gebracht. Den Rest habe ich ordentlich ins Bücherregal einsortiert, so dass es mir jetzt sofort auffällt, wenn wieder jemand zehn zerfledderte Jugendbücher aus den 1970ern oder ein angenagtes Pappbilderbuch oder die Kafka-Gesamtausgabe in acht Bänden aus dem Jahr 1953 heimlich da abgelegt hat, so dass so eine Grossaktion hoffentlich nie wieder nötig sein wird.)

Neulich klingelte es, es wurde aber kein Hortkind abgeholt, sondern der besten Chefin, die an die Tür geeilt war, ein sehr altes Buch hereingereicht. Ich rollte mit den Augen und streckte die Hand aus, um es kurz zu inspizieren, bevor es ins Altpapier kommen würde. Es war dann aber „Max und Moritz“ in Frakturschrift, und deswegen durfte es sogar mit mir nach Hause kommen: ich möchte nämlich, dass die Kinder das lesen können.

Und so lesen wir jetzt abends vorm Schlafengehen reihum jeder einen Reim „Max und Moritz“. (Das Buch mag ja nicht mehr zeitgemäss sein, und die Kinder finden besonders die Geschichten, in denen Tiere zu Tode kommen, zu Recht fragwürdig, aber die Reime sind halt leider schon sehr, sehr lustig.)

Die Kinder sind erstaunt, dass es gar nicht so schwer ist, diese Schrift zu lesen, wie es vorher aussah. (Ich habe mir das als Kind selbst beigebracht, um „Die Familie Pfäffling“ lesen zu können: in einer Ausgabe, die einst meinem Uropa gehört hatte.) Und ich finde es sehr herzerwärmend, als Mutter von Teenagern nochmal diese Vorlesefehler zu hören, die nur Leseanfänger*innen machen.

(Die Vorschläge, Schreibschrift – die ja hier in der Schule nicht mehr gelehrt wird – oder Tippen-mit-zehn-Fingern zu lernen, sind bei den Kindern bisher leider auf weniger Gegenliebe gestossen.)


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Lieblingskinderbuch 2022

Der kleine Herr Maus liest gern – nicht so manisch alles was ihm unter die Finger kommt wie der grosse Herr Maus, aber gern abends im Bett vorm Einschlafen; was vielleicht daher rührt, dass er und ich früher so oft Leseclub im Elternbett gemacht haben – und beauftragt mich gern mit der Beschaffung neuen Lesestoffs.

Nun ist das in unserer wunderbaren Bibliothek überhaupt kein Problem. (Wir werden es nie und nimmer schaffen, uns durch das deutschsprachige Angebot unserer Bibliothek durchzulesen; auch weil ständig neue Bücher angeschafft werden.) Aber in gleichem Masse, wie mich der hohe Anteil an Krimis in der Erwachsenenabteilung nervt, nerven mich die ganzen Harry-Potter-Abklatsche in der Kinderabteilung.

Und so habe ich mich neulich sehr gefreut, als mir eine der Neuanschaffungen ins Auge stach.

Das Buch beginnt damit, dass der Vater der drei Kinder der Familie Wolf – die elfjährige Liesl, der siebenjährige Otto und die anderthalbjährige Mia – im Oktober 1944 doch noch einberufen wird, obwohl er ein kaputtes Bein hat, seit er als kleines Kind unter ein Pferd geraten ist; und auch Herr Wagner, dem an einer Hand drei Finger fehlen, Herr Schmidt mit dem Glasauge und der erst sechzehnjährige Jakob müssen aus dem ostpreussischen Dorf an die Front. Zwei Monate später werden alle vier als vermisst gemeldet, einen weiteren Monat später marschiert die Rote Armee in Ostpreussen ein und die Familie Wolf – Grosseltern, Mutter, Kinder – versucht, über das Stille Haff nach Westen zu fliehen. Nach einem Bombenangriff auf den Flüchtlingstreck finden sich die drei Geschwister allein im Schneesturm wieder und müssen sich ab da allein durchschlagen.

Fast ein Jahr lang sind die Geschwister auf sich gestellt: sie leben in einem verlassenen Bauernhof (wo sie sich um die verlassenen Kühe kümmern und vier Kälbchengeburten miterleben), später bei russischen Soldaten (bis ihr Kommandant die kleine Mia seiner Frau nach Russland mitbringen will), den Sommer über in einer Holzhütte im Wald (zusammen mit anderen Kindern, die ohne ihre Eltern in Ostpreussen zurückgeblieben sind), und als der Herbst mit den ersten Frostnächten anbricht, versuchen sie, sich nach Litauen durchzuschlagen, weil sie gehört haben, dass es dort mehr zu essen gibt. Am Ende stehen sie vor der schweren Entscheidung, für ein Zuhause ihre Namen und ihre Sprache und damit die Hoffnung, dass ihre Mutter sie je wiederfinden könnte, aufzugeben, weil dem litauischen Ehepaar, das ihnen Ersatzeltern sein möchte, im besten Fall die Deportation nach Sibirien droht, wenn herauskommt, dass es deutsche Kinder sind, die bei ihnen untergekommen sind.

Das ist harter Stoff für ein Kinderbuch. Aber dass die Geschichte aus Liesls Sicht erzählt wird, macht sie für Kinder gut aushaltbar: Liesl beobachtet ziemlich unvoreingenommen, was um sie herum vorgeht. Nichts ist schwarz-weiss. Immer ist Hoffnung. Und oft erzählt sie so, dass der Geschichte trotz ihrer Tragik die Schwere genommen wird:

„Wir sind schon an mehreren Häusern vorbeigekommen, aber überall gab es knurrende Hunde und misstrauisch dreinblickende Bauern und handgemalte Schilder an den Toren, auf denen vielleicht „Betteln verboten“ steht oder „Wir hassen dreckige Deutsche“. Andererseits kann es auch sein, dass etwas anderes darauf steht: „Brot zu verkaufen“ oder „Hier Gratis-Schokolade“. Wir wissen es nicht, weil wir Litauisch nicht lesen können.“

Und weil es ein Kinderbuch ist, gibt es ein Happy End; aber kein kitschiges, bei dem alles gut wird, sondern eins, bei dem alles bestmöglich gut wird, das aber gleichzeitig auch ein bisschen traurig ist.

Es ist ein Buch, das man seinen Kindern ruhig zutrauen kann.

Der kleine Herr Maus und ich haben noch Wochen, nachdem wir es beide gelesen hatten, viel über das Buch geredet. Und als neulich der grosse Herr Maus mäkelte, sagte der kleine Herr Maus zu ihm: „Damals, nach dem Krieg, weisst du, da haben die Kinder rohe Schnecken gegessen, weil sie nichts anderes hatten!“ So soll ein Buch sein.

Katrina Nannestad (Text), Martina Heiduczek „(Illustration) „Wir sind Wölfe“. cbj, 2022. Gebundene Ausgabe, 352 Seiten.


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Apropos lieb Heimatland…

Der Rowohlt-Verlag hat mir nach zwei Wochen auf meine Anfrage, ob sie denn ebenfalls vorhaben, den Erlös aus dem Verkauf des Maja-Buchs zu spenden, geantwortet:

„Die Verlagsgruppe von Holtzbrinck, zu der auch der Rowohlt Verlag gehört, hat bereits im März zur Unterstützung der Ukraine größere Beträge u. a. an das UN-Flüchtlingshilfwerk, das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe sowie die Malteser International gespendet. Aus diesem Grunde wurde entschieden, sich hier nicht noch zusätzlich zu engagieren.“

Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das ärgert, dass da jetzt mit einem ukrainischen Kinderbuch Profit gemacht werden soll – das Buch ist 2017 in der Ukraine erschienen, das hätte man längst übersetzen lassen und auf Deutsch veröffentlichen können; aber wen hat bis vor drei Monaten irgendwas aus irgendeinem ehemaligen Ostblockstaat interessiert…?! – und nichts davon abgegeben werden soll.

(Ich hätte es, genau wie die finnische Ausgabe, gekauft. Aber so nicht. Wozu haben wir eine Bibliothek?!)


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Vorlesen für Frieden und Toleranz

Gestern – die Lehrer*innen streiken zur Zeit eine ganze Woche, aber sowas bringt uns nach zweimonatiger Schulschliessung ja nicht mehr aus der Ruhe – hatte ich Zeit, den kleinen Herrn Maus mit dem Fahrrad in die Musikschule zu begleiten. Wir fuhren einen Umweg und holten noch ein bestelltes Buch ab.

Obwohl ich ja eigentlich fast nie Bücher kaufe.

Die ukrainische Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin Larysa Denysenko hat 2017 ein herzerwärmendes Kinderbuch geschrieben: Maja aus Kiew erzählt von den 17 Kindern ihrer Klasse. Maja selbst hat zwei Mütter. Tymko lebt abwechselnd bei seinem Vater und seiner Mutter. Krystyna lebt bei ihrer Grossmutter, weil ihre Eltern im Ausland arbeiten. Sofia und Solomia sind Retortenzwillinge. Aksana ist in Kiew geboren, aber Weissrussin. Petro ist Roma und hat eine riesige Familie. Sofiika ist 2014 mit ihrer Mutter aus Luhansk geflohen und hat ihren Vater im Krieg verloren. Levko wurde adoptiert. Ein wunderbar unaufgeregtes und wichtiges Buch über Vielfältigkeit, Toleranz und Freundschaft.

Ich hätte mir manchmal die Kapitel ein bisschen länger und ausführlicher gewünscht, dafür aber sind sie wunderbar von der ebenfalls ukrainischen Künstlerin Marija Foja illustriert.

Aus aktuellem Anlass ist das Buch letzten Monat auf Finnisch erschienen – der Verlag spendet den gesamten Erlös über UNICEF für ukrainische Kinder. Und deswegen war klar, dass ich das Buch entgegen meiner sonstigen Prinzipien kaufen wollte.

Im Herbst wird es auch eine deutsche Ausgabe geben. „Alle meine Freunde“ erscheint am 13. September. Ich weiss jetzt schon, was die Hortkinder vorgelesen bekommen werden im nächsten Schuljahr!

(Und hoffe inständig, obwohl davon bisher keine Rede ist, dass der deutsche Verlag dem Vorbild der Verlage in Finnland, Schweden, Polen und Grossbritannien folgen und den Erlös ebenfalls spenden wird!) *

* Update 19.5.:
Wird er nicht. Auf meine diesbezügliche Nachfrage bekam ich zur Antwort: „Die Verlagsgruppe von Holtzbrinck, zu der auch der Rowohlt Verlag gehört, hat bereits im März zur Unterstützung der Ukraine größere Beträge u. a. an das UN-Flüchtlingshilfwerk, das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe sowie die Malteser International gespendet. Aus diesem Grunde wurde entschieden, sich hier nicht noch zusätzlich zu engagieren.“ Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das ärgert, dass da jetzt mit einem ukrainischen Kinderbuch Profit gemacht werden – das Buch ist 2017 in der Ukraine erschienen, das hätte man ja auch schon längst übersetzen lassen und veröffentlichen können; aber wen hat bis vor drei Monaten irgendwas aus irgendeinem ehemaligen Ostblockstaat interessiert…?! – und nichts davon abgegeben werden soll.


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Zweisprachig vorlesen

Seit ich im Hort arbeite, lesen wir jeden Tag zweisprachig vor. Immer abwechselnd jeweils einen Abschnitt – oder manchmal auch nur ein, zwei Sätze – erst auf Deutsch, dann auf Finnisch.

Es ist aber gar nicht so einfach, passenden Lesestoff zu finden.

Nicht alle Kinderbücher gibt es natürlich in beiden Sprachen. Und selbst wenn, kann die Übersetzung noch völlig schlecht und ungeeignet sein. „Petterson und Findus“ ist auf Finnisch nicht halb so lustig wie auf Deutsch. „Latte Igel“ ist so frei übersetzt, dass ganze Abschnitte in einer anderen Reihenfolge oder ganz weggelassen sind. Von der „Kleinen Hexe“, die wir in einer ganz neuen, überarbeiteten Auflage besitzen, war in der Bibliothek auf Finnisch nur eine uralte Version aufzutreiben, in der in einem Kapitel wilde Neger und blutrünstige Chinesen vorkamen, was die Kollegin dann ohne Vorwarnung auf der Stelle irgendwie umimprovisieren musste. Und in der finnischen Version von „Mini muss in die Schule“ hat Mini am ersten Schultag statt einer Zuckertüte ein Proviantpaket dabei. Ein Proviantpaket! Wo sogar unsere finnischen Deutschklässler*innen eine Zuckertüte bekommen!

Nebenher muss es sich natürlich auch noch um für Erst- und Zweitklässler*innen geeigneten Lesestoff handeln. Und entweder muss ich das Buch auf Deutsch zu Hause haben und die Bibliothek das gleiche Buch auf Finnisch, oder die Bibliothek das Buch in beiden Sprachen. Alle zwei Jahre könnten wir die Bücher natürlich auch wieder von vorn lesen, aber ich will beim Vorlesen schliesslich auch ein bisschen Spass haben…!

Deswegen habe ich mich so gefreut, als ich zufällig über den Blog von Heidi Viherjuuri, einer in Köln lebenden finnischen Autorin, gestolpert bin – diese spiegelverkehrte Sicht auf die Dinge finde ich nämlich immer sehr spannend – und dann dort gesehen habe, dass sie nicht nur genau solche Kinderbücher schreibt, von denen wir mehr gebrauchen könnten für unsere Hortkinder, sondern dass es die sogar auch auf Deutsch gibt.

Und grossartig, wie unsere Bibliothek ist, brauchte es nur einen Online-Buchanschaffungsvorschlag, und schwupps, waren die ersten zwei Hilja-Bücher auf Deutsch – und das Weihnachtsbuch, das auf Deutsch gerade erst erschienen ist, kommt auch noch – für die Turkuer Bibliothek bestellt und für mich reserviert.

Vorgestern haben wir angefangen vorzulesen.

Und schon auf der zweiten Seite musste ich sehr lachen.

Tanja Küddelsmann hat das Buch übrigens so wunderbar fast wortwörtlich übersetzt, ohne dass die Sprache darunter leidet, wie man es sich für unsere Zwecke nur wünschen kann. Und das Allerbeste ist: es gibt einen Saunawichtel in der deutschen Fassung, keinen Saunaelf. Jetzt kann ich mich uneingeschränkt auf „Hilja und der Weihnachtszauber“ vorfreuen!


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Pack(draht)esel

Wenn 5 kg Bücher aus der Bibliothek und ein sehnlichst erwartetes Paket aus der Packstation im Stadtzentrum nach Hause gefahren werden müssen und man aufs Auto verzichten möchte, dann sieht das – zusätzlich zu den beiden Packtaschen an meinem Rad – eben so aus:

(Eigentlich wollten wir noch einen Ausflug zum gläsernen Sarg neuen Schrägaufzug machen, aber leider fand am Flussufer mal wieder einer dieser unsäglichen Grossmärkte statt, den wir grossräumig umfahren hätten müssen. Haben wir uns lieber in der Bibliothek mehr Zeit gelassen.)


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Urlaubsvorbereitungen

Oder: Wie ich einmal in die Bibliothek ging, um ein Vorlesebuch für den Urlaub auszuleihen und mir dann einfiel, dass ich den Kindern ja auch noch ein Buch für die lange Autofahrt mitbringen könnte.

Musste ich dann 2 kg Bücher auf dem Rücken, mit dem Fahrrad, nach Hause buckeln. Und muss heute nochmal hingehen. Ich brauch‘ ja auch noch was zu lesen.

((Noch drei Schultage bis Sommerferien!!!))


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Oodi

Oder: eine Ode an die finnischen Bibliotheken.

Die Bibliotheken sind vielleicht das Beste, was Finnland mit seinen Steuergeldern finanziert.

Bibliotheken sind hier vor allem nicht nur zum Bücherausleihen da. Man kann in Bibliotheken auch Tageszeitungen lesen, in Ruhe arbeiten oder lernen, Spiele spielen, was essen, Freunde treffen, seine Kleinkinder spielen lassen, Computer benutzen. „Volkes Wohnzimmer“, heisst es manchmal.

Falls das Fräulein Maus ab nächstem Schuljahr auf ihre Wunschoberschule gehen kann, wird unsere wunderbare Stadtbibliothek wohl auch für sie sowas wie ein zweites Zuhause werden, in dem sie an den Tagen, an denen es sich nicht lohnen wird, zwischen Schule und Training oder Schule und Harfenstunde nochmal nach Hause zu fahren, ihre Hausaufgaben erledigen, Vesper essen, Zeit rumbringen wird. Wie gut, dass es so einen Platz gibt!

Helsinki hat seit Dezember auch so eine ganz besonders tolle Zentralbibliothek. Und weil am Sonnabend das Wetter nicht so unglaublich toll war wie am Sonntag, sondern ein recht kalter Wind ging und uns den Schnee in Augen, Nase, Mund und Nacken wirbelte, war das perfekt, um sie uns ausgiebig anzugucken.

Riesig ist sie. Und sehr, sehr beeindruckend.

Auf der Wendeltreppe, die hinaufführt ins zweite und dritte Stockwerk, steht eine sehr berührende Widmung, für wen diese Bibliothek gedacht ist: hunderte Worte – für Männer, für Flüchtlinge, für Verwirrte, für Träumer, für Populisten, für Obdachlose, für Bauern, für Naturfreunde, für Hippis… – die eigentlich nur eins sagen: für alle.

Überall sassen Leute – allein, zu mehreren, auf Schaukelstühlen oder Sesseln oder Sofas oder überbreiten Stufen und lasen, starrten in ihre Telefone oder hatten ihre Laptops auf dem Schoss. Ein Vater spielte mit seiner Tochter ein Brettspiel. Einer, der so aussah, als ob es sonst keinen Platz für ihn gäbe, hielt in eine Sofaecke gedrückt ein Nickerchen. Abiturienten arbeiteten zu zweit in kleinen, ruhigen Kabüffchen ihren Lernstoff durch. Manche sassen konzentriert mit ihren Laptops mit anderen an langen Tischen, andere an den Computern der Bibliothek.

Alles mögliche kann man tun und machen in der Bibliothek: Es gibt einen Drucker, mit dem man bis zu A0-Postergrösse auf die verschiedensten Materialien drucken kann, und eine Batterie 3D-Drucker samt benötigtem Rohaterial. Es gibt einen riesigen Handarbeits- und Basteltisch mit Nähmaschinen, Laminiergerät, Ansteckerstanzmaschine und eigentlich überhaupt allem, was des Bastlers Herz begehrt, und ganz sicher haben wir auch gar nicht alles gesehen.

Ganz oben, unter der schwebenden Decke, die jetzt sehr an eine gemütliche Schneehöhle erinnerte, im Sommer aber sicher eher an eine Schönwetterwattewolke, haben die Bücher ihr Zuhause, 100 000 Stück in langen, weissen Regalen – die allerdings ziemlich gerupft aussahen, weil gerade so viele Leute die neue Bibliothek angucken kommen, Bücher ausleihen und dann in den Stadtteilbibliotheken zurückgeben.

Was übrigens fehlt in finnischen Bibliotheken: Schliessfächer für Jacken und Taschen. Die darf man einfach mit reinnehmen. Und essen darf man auch in finnischen Bibliotheken: in unserer z.B. an speziell dafür ausgewiesenen Tischen, und in Helsinki gibt es jetzt sogar ein Café mitten zwischen den Bücherregalen. Und dass die neue Bibliothek den tollsten Sanitärbereich hat, den ich jemals irgendwo gesehen habe, wundert dann jetzt wohl auch niemanden mehr.

Wenn ein Land als Vorzeigeobjekt eine Bibliothek baut, dann ist das schon ziemlich… hach.


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Löschmeister Wasserhose live

„Und dann“, erzählt der kleine Herr Maus vom Feuerfehlalarm im Kindergarten, „haben wir alle unsere Stiefel angezogen und im Windfang gewartet, und dann ist die Feuerwehr gekommen, und die haben sich alles angeguckt, aber es hat nirgends gebrannt, und dann ist der eine Feuerwehrmann noch zu uns gekommen und hat uns alles gezeigt, seinen Helm und seine Atemmaske und seinen Luftrucksack, und dann hatte der noch so ein Thermometer, das durften wir auch angucken, und, weisst du was, der hatte ganz nasse Haare!“ „Der hat wohl geschwitzt unter dem Helm?“, frage ich. „Nee, der war vorher wo, wo er ins Wasser musste!“

Der Arme! Kaffee hatte er vermutlich auch noch nicht getrunken.


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Bücher besitzen lesen

Es gibt ja diverse Studien (zum Beispiel zum Lernerfolg von Kindern), bei denen das Ergebnis an der Anzahl der Bücher im Haushalt festgemacht wird.

Das regt mich auf. Jedes Mal.

Sind wir nicht längst drüberweg über die Zeit, in der man sich meterweise Bücher mit hübsch repräsentativen Einbänden in die Wohnung stellte, um vorzutäuschen, wie gebildet man sei?! Aber Bücherregale machen immer noch was her. Mütter zählen sich gegenseitig vor, wieviele Kinderbücher ihre Kinder besitzen. Im Buchladen in einen Kaufrausch zu verfallen ist kein Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung, sondern von… ja, was eigentlich? Irgendwas Erstrebenswertem jedenfalls.

Bei uns brauchte man gar nicht erst anfangen mit dem Bücherzählen. Also gut, unseren Kindern würde es nicht so ergehen wie meinem Klassenkameraden R., der bis zur siebenten Klasse jedes Jahr wieder, wenn jeder von uns ein Buch vorstellen musste, den „Geist Gnatz“ dabeihatte, weil das das einzige Buch war, das er besass. Aber gemessen an der Anzahl der Bücher, die wir besitzen, sind wir unteres Mittelfeld, höchstens.

Und zwar mit Absicht. Erstens nämlich haben wir gar nicht so viel Platz für Bücher. Natürlich gibt es in jedem Kinderzimmer ein Bücherregal und im Wohnzimmer ein paar Schrankfächer voller Bücher, aber für meterweise Bücher hätten wir einfach keinen Platz. Und zweitens – das viele Geld…! Sicher kann man sein Geld für weniger sinnvolle Dinge ausgeben als für Bücher – aber man würde sich ja auch sonst etwas, das man nur ein Mal benutzt, eher nicht kaufen. Und wie viele Bücher liest man tatsächlich mehr als einmal?

Wir haben – von Geschenken abgesehen – eigentlich nur Bücher im Haus, die wir vorher schon mindestens zwei Mal aus der Bibliothek ausgeliehen hatten und bei denen wir uns sicher sind, dass wir sie von Zeit zu Zeit immer wieder lesen werden. Spart Platz, Geld, Papier und ausserdem Enttäuschungen, wenn das Buch dann doch nicht den Erwartungen entspricht, die man beim Kauf hatte.

Wir haben hier natürlich gut reden.

Als ich diese Woche zwischen Den-grossen-Herrn-Maus-zum-Deutschunterricht-bringen und Den-kleinen-Herrn-Maus-aus-dem-Kindergarten-holen schnell in die Bibliothek springen wollte, um den Herren Maus Lesenachschub zu holen, und mir, als ich mein Fahrrad im Innenhof im Nieselregen abschloss, die Fenster unserer wunderbaren Kinderbibliothek so anheimelnd entgegenleuchteten, da hatte ich kurz den sehnsüchtigen Wunsch, da einzuziehen. Mich in aller Ruhe durch ein Buch nach dem anderen zu lesen und nie wieder in das Mistwetter hinauszumüssen.

Früher habe ich auch lieber Zeit in Buchhandlungen verbracht als in Bibliotheken. Das lag vor allem daran, dass in den Bibliotheken die Bücher alle irgendwie alt und abgestossen waren, es in den Buchhandlungen aber Bücher gab, die nicht nur unbenutzt, sondern auch wirklich neu waren.

Jetzt bin ich jedes Mal erstaunt, dass es jedes Mal, wenn ich in die Bibliothek komme, neue Bücher auszuleihen gibt. Neu im Sinne von „Habe ich vorher noch nie dort gesehen“ als auch im Sinne von „Neuerscheinung“. Und ich kann die einfach alle, soviele ich tragen kann, mitnehmen…! Die Freude an den Büchern wird nicht dadurch geschmälert, dass ich mich für eins oder zwei entscheiden muss, weil mehr mein Budget nicht hergibt…!

(Und wir müssen nicht einmal finnische Bücher lesen, dank des riesigen – und ebenfalls kontinuierlich erneuerten – Angebots an deutschen Büchern.)

Vielleicht könnte man ja endlich mal anfangen, Ergebnisse von Studien nicht an der Anzahl der Bücher im Regal, sondern an der Anzahl der Bücher, die tatsächlich gelesenen werden, festzumachen…