Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Zwischen den Jahren (2)

Plan B.

Eigentlich wollten wir ja dieses Jahr über Silvester wieder ins blaue rote Mökki fahren, weil es letztes Jahr um die Zeit in Lappland so traumhaft schön war. Leider ist das blaue rote Mökki vermutlich schon wieder abgebrannt, und als man uns im Februar mitteilte, dass wir nicht ins blaue rote Mökki fahren könnten, war für Silvester schon nichts anderes mehr zu einem halbwegs akzeptablen Preis buchbar.

Und naja. Fuhren wir eben statt nach Lappland nach Tallinn. Da ist auch das Essen besser.

Weil wir, als wir Plan B fassten, noch damit rechneten, dass Václav nicht vor nächstem Sommer bei uns eintreffen würde, beschlossen wir ausserdem, die Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bestreiten. (Die Ticketpreise der finnischen Bahn und die Benzinpreise hierzulande sind im Moment so, dass es tatsächlich sogar für fünf Personen billiger ist, mit dem Zug statt dem eigenen Auto zu fahren. Das kann bittedanke so bleiben.) Ohne Auto kann man zwar keine Grosseinkäufe machen, aber mit dem Zug zu reisen ist auf jeden Fall angenehmer. Gerade die Autobahn nach Helsinki hängt mir echt zum Hals raus.

Und das neue Fährterminal im Helsinkier Westhafen ist auch viel angenehmer zum Warten als das eigene Auto.

Im Tallinner Hafen liegt die „Isabella“, die Zwillingsschwester der „Amorella“, die lange Zeit zwischen Turku und Stockholm fuhr und jetzt schon seit einem Dreivierteljahr bis zu 1800 ukrainische Geflüchtete beherbergt.

Neulich las ich, dass das kleine Estland sehr schnell sehr viele Möglichkeiten geschaffen hat, um aus der Ukraine Geflüchtete aufzunehmen, aber wenig Möglichkeiten hat, sie dauerhaft aufzunehmen und zu integrieren, weswegen jetzt Finnland Hilfe angeboten hat, aber noch unklar ist, wieviele der Geflüchteten willens sind, nochmal in ein anderes Land umzuziehen (zumal eins, das kulturell nochmal zwei Welten von ihrem eigenen entfernt ist). Man kann es sich nicht ausdenken.

Ukraine.

Generell scheint die Solidarität mit der Ukraine umso stärker zu sein, je mehr sich ein Land historisch mit der Situation dort identifizieren kann.

Sehr schön ist das zum Beispiel an der Menge an Protestplakaten und Ähnlichem vor russischen Botschaften zu sehen: allein vorm russischen Generalkonsulat in Turku gibt es mehr davon als vor der russischen Botschaft in Berlin, und in Tallinn war die ganze Strasse vor der russischen Botschaft voller Plakate, Kerzen, Stofftiere, Flaggen und Blumen.

Sogar das estnische Regierungsgebäude (!) war blaugelb angestrahlt.

Hansehäuser und Pflastersteine.

Im Osten ist mehr Glitter.

Museumsliebe.

Passenderweise kam auch in Tallinn am Tag vor Silvester die Warmfront mit Sturm, Regen und Tauwetter, und wir verbrachten Stunden in Museen.

Zuerst im Strommuseum, wohin die Kinder seit Jahren gewollt hatten. Es befindet sich in einem ehemaligen Elektrizitätswerk, und man kann da sehr viele alte Generatoren angucken und alles mögliche (auch Dinge, die nichts unbedingt mit Elektrizität zu tun haben) ausprobieren. Sehr nett, aber ich hätte mir, wie das sonst eigentlich in estnischen Museen üblich ist, bessere Erklärungen zu den einzelnen Exponaten und Versuchen gewünscht.

Silvester begannen wir im Seefahrtsmuseum. Allein schon die Ausstellungshalle – der Hangar eines ehemaligen Wasserflugzeughafens – ist super beeindruckend.

Neben Bojen und anderen Seezeichen, historischen Booten, einer kleinen Sonderausstellung über die Herstellung von Schiffsmodellen und einer über die Tragödie von Juminda – seit wir das Baltikum bereisen, habe ich das Gefühl, Geschichte noch einmal völlig neu lernen zu müssen – sowie vielen Stationen, an denen man selbst etwas ausprobieren kann, ist dort auch ein echtes U-Boot ausgestellt.

Nun ist ein U-Boot so ziemlich das Gruseligste, das ich mir vorstellen kann, und es hat mich wirklich Überwindung gekostet, durch die enge Torpedoluke in die „Lembit“ hineinzuklettern, aber es war auch wirklich beeindruckend.

Leider war das der Tag, an dem ich befürchtete, mal wieder mit E111 ein estnisches Krankenhaus aufsuchen zu müssen.  Ich war nicht nur immer noch fürchterlich kaputt, sondern mir tat von den Zähnen über die Wangenknochen bis zur Stirn alles verdächtig weh – die Silvestersauna mit viel Dampf hat’s dann aber offensichtlich gerichtet – so dass ich es zum Schluss gerade noch geschafft habe, mich einmal durch alle Räume des historischen Eisbrechers, der draussen vor dem Museum im Hafen liegt, zu schleppen, bevor ich wirklich nicht mehr konnte.

(Man hätte sicher noch ein, zwei Stunden mehr dort zubringen können.)

Ferienwohnung mit Aussicht.

Ferienwohnung mit Aussicht (2).

Neujahrsspaziergang.

Unser Neujahrsspaziergang führte uns von der Linnahall, einem dieser grössenwahnsinnigen sozialistischen Prestigeobjekte, die jetzt vor sich hinrotten, durch den Hafen und über die in den letzten Jahren sehr hübsch gestaltete Strandpromenade, die wir bisher immer nur vom Auto aus bewundert haben, bis zum Strand auf der anderen Seite der Hafenbucht.

Perfektes Timing.

Während wir wegwaren, waren hier 6 Grad (plus!) und Regen. Als wir am Abend des 2. Januar wieder in Turku eintrafen – und Gott sei Dank noch fast eine Woche Ferien vor uns hatten! – schaukelten riesige Schneeflocken vom Himmel.


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Unverhofft weihnachtlich

Der Ähämann war Freitagabend auf eine Weihnachtsfeierparty mit seiner Arbeitsgruppe eingeladen, und da es schon fast wieder drei Jahre her ist, dass wir anderen das letzte Mal in Tampere waren, kauften wir kurzentschlossen fünf Zugtickets und buchten eine Unterkunft für eine Nacht und fuhren Freitagabend alle gemeinsam hin.

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Ratikka.

Es gibt Städte, die beschliessen im Jahr 2016, eine Tiefgarage ins Stadtzentrum zu bauen, während andere Städte im gleichen Jahr beschliessen, eine Strassenbahn zu bauen.

Und während das eine Bauprojekt noch immer nicht abgeschlossen ist und da, wo es unter Zeitdruck zusammengepfuscht wurde, schon wieder nachgebessert werden muss, ist der erste Teil des anderen, der immerhin zwei Linien mit insgesamt 28 Haltestellen umfasst, schon seit anderthalb Jahren fertig und läuft tadellos. (Wenn nicht gerade mal wieder irgendein Bagger die Oberleitungen runtergerissen hat.)

Der Plan fürs Wochenende war klar: wir würden jeden Schritt, den wir mit der Ratikka fahren könnten, mit der Ratikka fahren. Wir kauften noch vom Zug aus fünf 24-Stunden-Tickets und stiegen direkt am Bahnhof in die erste ein.

Ich mag übrigens alles an ihr: die Farbe, die Vögel auf den Sitzbezügen, die Gedichte und Kurzgeschichten rund um die Fenster (für die eigens eine Schriftart, benannt nach der Endhaltestelle, an der sich auch das Strassenbahndepot befindet, entwickelt wurde), dass jede Bahn einen Namen hat und dass es eine Strassenbahn gibt, die abwechselnd von Künstlern gestaltet wird und zur Zeit mit Katzen herumfährt, und dass sie alle seit März vorn drauf eine Friedenstaube haben.

Schöne Haltestellen hat sie auch.

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Lichtkunst.

Nach dem Abendbrot, als der Ähämann schon zu seiner Party aufgebrochen war, sprangen wir anderen in die nächste Ratikka und fuhren drei Haltestellen bis zum Weihnachtsmarkt. Der hatte schon geschlossen, aber alle Gebäude ringsrum waren sehr schön – und vor allem saisonal passend! – illuminiert, und zwar nicht nur mit stehenden Bildern, sondern die Schneekristalle bewegten sich alle.

Diese Lichtkunsttage und -wochen sind ein grosses Ding in Finnland.

In dem Stadtviertel, durch das wir sowieso den Rückweg antreten mussten, waren ausserdem vierzehn verschiedene Zeichnungen aus „Winter im Mumintal“ an verschiedene Hauswände projiziert.

Wir liefen Strassen auf und Strassen ab, fanden nicht alle, aber viele, und kamen so durchgefroren zurück zu unserer Unterkunft, dass wir sehr froh waren, dass wir die Sauna vorprogrammiert hatten und sie bei unserer Rückkehr schon so heiss war, dass wir direkt hinein konnten.

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Museumsliebe.

Kein Besuch in Tampere ohne Museumsbesuch!

Wir fingen in der Villa Milavida an, die sich einst die Fabrikantenfamilie Von Nottbeck, die im Jahr 1836 die Finlayson-Baumwollspinnerei von ihrem Gründer James Finlayson gekauft und anschliessend modernisiert und vergrössert hatte, hatte bauen lassen. Der Eintritt war vergleichsweise hoch und die Ausstellung vergleichsweise klein – das hat leider auch die kleine, aber feine Vivienne-Westwood-Sonderausstellung nicht rausgerissen. Weil die Nottbecks aber Deutsch-Balten waren, gab es in der weihnachtlich geschmückten Villa auch einen riesigen Herrnhuter Stern und kostbare gläserne Weihnachtsbaumkugeln zu bewundern. Das war nach den finnischen Weihnachtsausstellungen, die es sonst hier so gibt, fast ein bisschen wie in einem deutschen Museum zu sein, und mir wurde ganz unerwartet heimatlich weihnachtlich zumute.

Ausserdem war der Wunsch nach dem Arbeitermuseum auf dem Finlayson-Gelände geäussert worden.

Dieses (kostenlose!) Museum ist vielleicht das schönste Museum, das ich kenne. Neben einer regelmässig wechselnden Hauptausstellung gibt es verschiedene kleine, wechselnde Sonderausstellungen – diesmal unter Anderem eine über die 1990er, was ich besonders spannend fand, weil sie das Finnland zeigte, in das ich damals gekommen bin.

Radio Mafia habe ich auch am liebsten gehört.

Ausserdem kein Tampere-Besuch ohne einen Abstecher zu Helene und Marie, den beiden Schweizer Dampfmaschinen, die einst ein gigantisches Schwungrad von acht Metern Durchmesser und damit alle Maschinen der Finlayson-Baumwollspinnerei antrieben.

Der kleine Herr Maus war kurzzeitig verschwunden. Aber wir mussten nur den lieblichen Klängen von The Final Countdown auf dem Harmonium folgen, um ihn wiederzufinden.

Die Hauptausstellung befasste sich diesmal mit der Industrialiserung Finnlands und insbesondere der Stadt Tampere.

Besonders süss fand ich die kleinen Schaukästen auf Kleinkindaugenhöhe, in denen das, was oben ausführlich erklärt und mit Exponaten belegt war, in kleinen Szenen mit Mäusen nochmal nachgestellt war. (Es hat mich sehr an die wechselnd bestückten Vitrinen in unserer Kinderbibliothek erinnert.)

Erwähnte ich schon, dass das mein Lieblingsmuseum ist?!

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Weihnachtsmarkt.

Weihnachtsmarkt in Finnland ist im Allgemeinen eine eher traurige Veranstaltung. Zumindest in Turku hat der eine, der eigentlich ganz schön ist, nur am Wochenende auf, und der andere besteht aus sieben oder acht verstreuten Buden, in denen von 9 bis 16 Uhr überteuerte Handarbeiten feilgeboten werden. Ich hatte deswegen auch überhaupt keine Erwartungen an den Weihnachtsmarkt in Tampere und nicht einmal geplant, hinzugehen. Aber als wir Freitagabend mit der Strassenbahn daran vorbeifuhren, sah er gleich so nett aus, und tatsächlich: es war der deutscheste erzgebirgischste Weihnachtsmarkt, den ich jemals ausserhalb des Erzgebirges erlebt habe.

„Krankgeschrieben. Darf nicht gegessen werden zu Weihnachten.“

An der Bude, die irritierenderweise den Namen meiner Geburtsstadt trug, gab es tatsächlich deutsche Waffeln und Krapfen, und als wir dann auch noch eine Bude fanden, an der es Schokoäpfel gab und wir diese zum Nachtisch im Schneegestöber unter der riesigen Sibirischen Tanne assen, fanden wir alle für eine kurze Weile, dass es vielleicht gar nicht sooo schlimm ist, dass wir auch dieses Jahr wieder nicht ins Erzgebirge kommen in der Adventszeit.

Sogar Nussknacker, Reiterpferdchen und Holzweibel waren da.
(Vermutlich ein Geschenk vom sächsischen ans finnische Manchester.)

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Bahnfahren.

Dann stellten wir plötzlich fest, dass die Zeit bis zur Abfahrt unsere Zuges gar nicht mehr reichen würde, um noch bis zur Endstelle der Linie 3 zu fahren, was immerhin eine halbe Stunde pro Strecke gedauert hätte. (Woran man auch sehr schön sieht, was für ein Grossprojekt diese Strassenbahntrasse gewesen ist.) Also stellte der Ähämann uns nur seinen vergleichsweise kurzen Weg zur Arbeit vor, und als wir einmal mit der Linie 1 bis zur Endstelle und wieder zurück zum Bahnhof gefahren waren, waren sogar noch fünf Minuten Zeit, auf den grossen Schneehaufen am Bahnsteig herumzuklettern.

Ankunft in Turku leider auf Gleis 17, aber immerhin bei ebensoviel Schnee.


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Das Beste draus machen

Das Beste, was man im November machen kann, ist nicht, möglichst viel künstliche Beleuchtung anzumachen. Sondern sich mit der Dunkelheit zu arrangieren und sie dankbar anzunehmen: für Halloweenfeiern, Taschenlampengeburtstage und protestantisches Allerseelen.

Das Turkuer Museumsamt hat das auch erkannt und letztes Wochenende einen Burgrundgang bei Kerzenschein angeboten.

Für die Aufgaben, die man während des Rundgangs lösen sollte – unter Anderem Gewürze am Geruch erkennen, der Burgherrin bei der Auswahl wichtiger Gegenstände für eine Reise helfen und sich für die Fabelwesen auf der ältesten (halbwegs korrekten) Karte Finnlands Namen ausdenken – waren unsere Kinder vielleicht schon ein bisschen zu alt, aber hinterher sagten trotzdem alle drei: „Das war so schön! Gut, dass wir hingegangen sind!“

Fand ich auch.

Normalerweise gucken wir von der „Grace“ auf die Burg. Diesmal andersrum.


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Statt Skifahren: Unabhängigkeit feiern (mit schwerem Herzen)

Am 24. Februar feiert Estland seinen Unabhängigkeitstag. Ich fürchte, in diesem Jahr war niemand so recht in Feierlaune.

Ich glaube, die (hoffentlich nur noch wenigen) deutschen Putinversteher können aus ihrer Sicht einfach nicht nachvollziehen, wie sich das anfühlen muss für die Länder der ehemaligen Sowjetunion, dass es kein Wunder ist, dass die alle so schnell wie möglich in die EU und in die Nato wollten. Meine Mutter hat ein einziges Mal in ihrem Leben CDU gewählt: 1990, weil es ihr als die einzige Möglichkeit erschien, ihren Teil dazu beizutragen, dass sich das Rad der Geschichte, dass im Jahr zuvor mehrere Umdrehungen nach vorn gemacht hatte, keinesfalls zurückdrehen würde.

Es war Zufall, aber natürlich auch ausserordentlich passend, dass wir ausgerechnet am Unabhängigkeitstag das estnische Nationalmuseum besuchten. Es wurden Fähnchen verschenkt, und viele Leute kamen fein gekleidet zu einem später stattfindenden Festkonzert.

Im Museum gab es eine Ausstellung über die finnisch-ugrischen Völker, eine mit Alltagsgegenständen aus vielen Jahrhunderten, eine mit Lebensgeschichten, eine über estnische Küche, über Landwirtschaft, über die estnische Sprache. (Wir hatten viel Spass beim estnischen Lehnwörterraten, denn wer Finnisch und Deutsch kann, der ist nicht nur gut dran in Estland, sondern für den ist die Sprache auch unheimlich niedlich.) Vieles konnte man nicht nur angucken, sondern auch anfassen und ausprobieren.

Auf unseren Eintrittskarten wurde unsere Muttersprache codiert, und mit ihnen konnten wir jede Erklär“tafel“ auf Deutsch umschalten. Besser noch, wir konnten uns so viele Erklärungen, wie wir wollten – woher die estnischen Flaggenfarben kommen oder wieso die Wende in Estland mit gelben Klamotten anfing oder warum der estnische Präsident 1997 eine Pressekonferenz auf der Herrentoilette des Tallinner Flughafens gab – auf unseren Eintrittskarten abspeichern und können sie jetzt jederzeit über eine Webseite abrufen.

Dann trieb uns, wie immer, der Hunger aus dem Museum, und wir liefen die anderthalb Kilometer zurück in die Innenstadt.

Und nach dem Mittagessen, obwohl wir schon alle fast platzten, mussten wir nochmal die Gelegenheit zum Torteessen nutzen.

Danach erfüllten wir den Kindern, weil es der letzte Abend war, noch einen Herzenswunsch und liehen ihnen Schlittschuhe aus, mit denen sie eine Stunde auf der vor dem Rathaus angelegten Eisbahn ihre Runden drehen konnten. (Der Ähämann und ich gingen derweil in einer der zahlreichen Kneipen am Rathausplatz einen Cocktail trinken. Grosse Kinder sind toll.)

Apropos Rathaus. Das Tartuer Rathaus hat das schönste und komplizierteste Glockenspiel, das ich je gehört habe.
Es erklingt von früh um neun bis abends um neun alle drei Stunden, jedes Mal mit einem anderen Stück. (Offensichtlich wechseln die Stücke monatlich und werden auch Feiertagen angepasst.) Nachmittags um drei spielte es übrigens das Stück, dass das Fräulein Maus und der kleine Herr Maus gerade auf Harfe und Klarinette gemeinsam üben.

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Ich bitte das schaukelnde Video zu entschuldigen. Es gab kein Erdbeben. Die Welt war nur ein bisschen aus den Fugen geraten.


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Statt Skifahren: Kopfstehen

Eigentlich wollten wir nach Tartu mit dem Zug fahren, denn alles, was wir uns für dort vorgenommen hatten, wäre innerhalb der Stadt und deswegen auch ohne Auto gut zu erreichen. Aber dann hatten wir plötzlich diese ellenlange Einkaufsliste, und naja. Wir hatten vorher sogar gedacht, wir könnten kurz nach Valga fahren, um lettisches Bier zu kaufen, denn schliesslich war es mit dem Zug nur ein Katzensprung von Tartu nach Valga gewesen; tatsächlich sind es aber 85 km einfache Strecke mit dem Auto, und das liessen wir dann doch lieber bleiben.

Und so blieb Balthasar fünf Tage lang stehen, während wir kreuz und quer durch die Stadt – und auch aus der Stadt raus – spazierten. Vor der Stadt, auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflughafens, steht nämlich unter Anderem ein komisches Haus.

Wir liefen über Zimmerdecken, machten Handstand auf Tischen, Betten und Klobecken, ruhten uns neben Deckenlampen aus.

Dann drehten wir uns wieder richtigrum, spazierten ins Stadtzentrum zurück, gingen Mittagessen, holten die Schwimmsachen aus der Ferienwohnung, liefen zur Schwimmhalle, verbrachten mehrere Stunden in einer fast völlig leeren Schwimmhalle mit Schwimmen, Rutschen und Saunieren – es ging da ähnlich entspannt zu wie in der Schwimmhalle in Pärnu – suchten danach schnell einen Supermarkt auf, um Nachschub an Brot und Butter und Quarkriegeln zu kaufen und verspeisten dann in einem Café jeder einen riesigen Palatschinken mit verschiedenen süssen Beilagen als Abendbrot.


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Statt Skifahren: Experimentieren

Die Skiferien sind die einzigen Ferien, in denen ich nicht so gerne wegfahre: es könnte ja sein, es liegt Schnee, das Meer ist zugefroren, die Sonne scheint.

Diesmal hatten wir uns aber doch schon lange vor den Ferien für eine Reise entschieden. Schon seit Jahren wollten wir nach Tartu, Estlands zweitgrösster Stadt, und immer war irgendwas dazwischengekommen. Ausserdem mussten wegen der ausgefallenen Erzgebirgsreise dringend unsere Vorräte an Bier in Flaschen, bezahlbarem Verbandsmaterial und Kopfschmerztabletten, nicht-laktosefreien Milchprodukten sowie anderen Deosorten als den drei hier erhältlichen aufgestockt werden.

Der diesjährige Winter war nicht schlecht. Aber die letzten beiden Wochen vor den Skiferien waren geprägt von grauem Himmel, kaltem Wind und Schneematsch, und die Wettervorhersage für die Skiferienwoche sah auch nicht besser aus. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich deshalb darauf gefreut habe, in den Ferien lauter Dinge in geschlossenen Räumen zu tun: gemütlich zwei Stunden lang Fähre zu fahren, in jede Menge Museen zu gehen, in einer warmen und hellen Schwimmhalle zu planschen, in Cafés und Restaurants herumzusitzen und Essen mit Geschmack und Backwaren ohne Kardamom zu uns zu nehmen.

Wir fingen mit dem „Ahhaa“ an. Dahin wollten wir seit Jahren, seit wir in Tallinn mal eine eine kleine Sonderausstellung von denen gesehen hatten. Die Kinder waren ungewöhnlich schnell angezogen und abmarschbereit, denn sie erinnerten sich noch gut, dass im „Heureka“ in Helsinki sieben Stunden hinten und vorne nicht gereicht hatte.

Wir waren auch im „Ahhaa“ fast sieben Stunden. Aber wir waren fast allein da: die Esten hatten keine Ferien, und die Finnen bleiben immer noch brav im eigenen Land, obwohl es in den letzten Wochen vermutlich nirgendwo in Europa mehr Coronafälle gegeben hat als hier. Man musste nirgends anstehen und man konnte alles so oft ausprobieren wie man wollte. (Nur die Astronautentrainingszentrifuge liess der Museumsmitarbeiter die Herren Maus erst nach zehn Minuten wieder besteigen.)

Nicht zuletzt war das Essen im Museumsrestaurant um Welten besser und der Eintritt mit 35 € für eine Familienkarte nur ein Drittel so teuer wie im „Heureka“.

Allein für diesen einen Museumstag hatte sich die gesamte Reise schon gelohnt.

„Das ist ja wie auf der „Norröna“!“


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Jeden Tag ein Fensterchen (2021)

Auch in diesem Jahr gibt es im Museumsdorf nebenan jeden Tag ein neues beleuchtetes Fenster.

(Niedlich, die Inzidenz vor einem Jahr. Und dass deswegen Bibliotheken, Schwimmhallen und Museen geschlossen blieben. Und wegen eines Coronafalls die gesamte Klasse in Quarantäne geschickt wurde.)

Das ist jedenfalls das Hübscheste und Weihnachtlichste, was es hier in der Gegend gibt. Gestern Abend waren wir die ersten sechs sieben Fenster angucken, und wie im letzten Jahr werden wir da wohl in den nächsten Wochen noch öfter hingehen: es sind nämlich andere und anders geschmückte Fenster als im letzten Jahr. ♥

Als wir heimkamen, waren übrigens die Reste der im Stadtzentrum gekauften Mumin-Limonade in der Flasche gefroren.


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Geschichte zum Anfassen

Weil es letzten Sommer im Tallinner Freilichtmuseum so schön war und wir auf dem weitläufigen Gelände ungefähr nur die Hälfte aller Häuser anzugucken geschafft hatten, gingen wir auch diesmal wieder hin.

Vor allem waren wir gespannt, ob das Mehrfamilienhaus aus Sowjetzeiten, das sich letztes Jahr noch im Bau befunden hatte, jetzt besichtigt werden könnte. Konnte es. Und allein dort hätte man mehrere Stunden zubringen können.

Jeden einzelnen Raum in den vier Drei-Zimmer-Wohnungen, die verschiedene Jahrzehnte – sowohl vor als auch kurz nach der Wende – repräsentieren, kann man betreten, und jede dieser Wohnungen sieht aus, als wäre vor fünf Minuten noch jemand dagewesen. Man darf in Küchenschubladen kramen, in Schulheften blättern, in die Kleiderschränke gucken, und man kann auf kleinen Bildschirmen zugucken, wie die Familie Geburtstag feiert oder wie die Familienmitglieder über ihren Alltag erzählen.

Diese Zeit ist bis heute ein sehr wunder Punkt in der Geschichte Estlands. Schön, dass sie im Museum trotzdem nicht ausgespart wird.


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Jeden Tag ein Fensterchen (4)

Wir hatten uns zu früh gefreut: natürlich fällt der letzte Schultag nicht einfach aus, nur weil die Kinder Fernunterricht haben.

Die Herren Maus hatten ihre Zeugnisausgabe letzte Schulstunde heute um neun, das Fräulein Maus halb zehn. Der Wecker klingelte trotzdem erst halb neun, denn der Schulweg war denkbar kurz. Die Achtklässlerin huschte im Schlafanzug vor ihren Schullaptop, um der Weihnachtsansprache ihres Rektors zu lauschen. Der kleine Herr Maus kam zehn nach neun schon wieder aus seinem Zimmer und verkündete: „So. Fertig. Ferien.“ Dann überlegte er kurz und verschwand nochmal zurück in den Videochat, weil ihm der Abschied von seiner Lehrerin – die die Klasse nach den Skiferien kurzfristig als Vertretung übernommen und noch nicht richtig kennengelernt hatte, als drei Wochen später die Schulen wegen Corona geschlossen wurden, aber den engagiertesten und tollsten Fernunterricht, den sich die Klasse nur hätte wünschen können, gemacht hat – so schwer fiel und er noch ein bisschen mit ihr reden wollte. „Wir haben Nelli gefragt, was sie jetzt macht, ob sie eine andere Klasse übernimmt, und sie hat gesagt, sie möchte gerne weiterhin Vertretungen machen, aber lieber nur tageweise, dann hat sie Zeit, einen Hühnerstall zu bauen. Sie will sich nämlich Hühner anschaffen.“ Hach.

Dann waren offiziell Ferien.

Eigentlich wollten wir heute unseren Weihnachtsbaum aus dem Wald holen. Aber es nieselte nicht nur wie vorhergesagt, sondern regnete in Strömen, und so verschoben wir das Vorhaben auf morgen.

So, wie wir auch unseren eigentlich für gestern geplanten Abendspaziergang zu den nächsten erleuchteten Fenstern im Museumsdorf auf heute Abend – da hatte es dann endlich aufgehört zu regnen; nur der Weg durch den Wald war eine einzige Rutscherei auf Matsch und nassem Gras – verschoben haben.

Wohin wir dieses Jahr an Heiligabend statt zur Weihnachtsfriedensverkündung und zum Kindergottesdienst gehen werden, wissen wir auch schon.


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Jeden Tag ein Fensterchen (3)

Wir läuteten das Wochenende mit Sauna ein. Hinterher sassen wir dampfend auf der Gartenbank unterm Weihnachtsbaum und freuten uns, dass der Garten weiss bepudert war. Samstagfrüh regnete es in Strömen. Wir schrieben und malten den ganzen Tag Weihnachtspost.

Am Sonntag warteten wir nur darauf, dass es endlich dunkel wurde – mal davon abgesehn, dass es sowieso den ganzen Tag nicht richtig hell geworden war – um zum Museumsdorf zu stapfen und die nächsten drei beleuchteten Fenster zu suchen.