Wir schlafen in Reiseerinnerungen.
Und das kam so:
Nachdem wir im Sommer die Erprobung des Landweges “nach Europa” erfolgreich absolviert hatten, war klar, dass wir so auch im Advent ins Erzgebirge fahren würden.
Als wir im Sommer von der brandneuen Schwedenfähre gerollt waren, hatte der leicht fiebernde Ähämann gefragt, ob ich erstmal ein Stückchen fahren könne. Ich fuhr ein Stückchen. Es rollte sich so dahin über die sommerhelle, leere schwedische Autobahn. Ich fuhr auch nach der ersten Pause weiter und nach der zweiten. Ich fuhr über die beiden grossen Brücken, durch Dänemark und ein Stück durch Norddeutschland. Ich fuhr fast 1100 km. Nur die letzten 20 km fuhr der Ähämann, weil ich die Karte lesen musste.
Im Dezember wechselten wir uns alle paar hundert Kilometer ab. Wir kamen im Stockdunklen in Stockholm an und quälten uns den ganzen Tag durch diffuses, dunkelgraues Winterlich. Cola half nicht, Kaffee half nicht, reden half nicht, essen half nicht, Musik half nicht – nach jeweils zweihundert Kilometern fielen uns fast die Augen zu.
Wir hakten Landmarken ab. Norrköping, wo das Fräulein Maus immer „Hier wohnt Ella Frida!“ ruft. Linköping, wo die Flugzeuge am Strassenrand aufgestellt sind. Der Vätternsee. Jönköping, wo wir immer in einem riesigen Supermarkt auf Toilette gehen und Bananen und Saft kaufen.
An ausgedehnte Pausen war auch diesmal nicht zu denken. Das Wetter zu kalt, zu nass, zu stürmisch. (Wir lasen Warnschilder, dass “windempfindlichen” Autos wegen des starken Sturms von der Benutzung der Öresundbrücke abgeraten wird.) Andererseits hatten wir alle Zeit der Welt 16 Stunden Zeit, um die läppischen 650 km von Stockholm nach Trelleborg hinter uns zu bringen. Denn anders als im Sommer fuhren wir im Dezember nicht von Stockholm bis Norddeutschland durch, sondern nahmen die Nachtfähre von Trelleborg nach Rostock, so wie der Damals-noch-nicht-Ähämann und ich mit dem J-FI, damals, als wir drei Monate lang nach Finnland umzogen zwei Mal innerhalb von drei Monaten zwischen Jena, Turku und Bielefeld hin und her fuhren.
Wir hatten viel Zeit totzuschlagen. Sehr viel Zeit.
Und deswegen durften die Kinder nach 600 Kilometern endlich auf einen Spielplatz. Einen ohne Regen, ohne Kälte, ohne Finsternis, ohne Sturm: wir schickten sie ins Småland im Malmöer IKEA. Sehr zu Fräulein Maus’ Freude liegt in Schweden die Altersgrenze fürs Småland bei 10 Jahren – und nicht wie bei uns bei 7 – so dass sie alle drei gemeinsam gehen konnten. Sie fanden es auch sehr lustig, dass sie jeder eine Weste mit Nummer überziehen mussten statt wie hier einen Namensaufkleber aufs Shirt zu bekommen. Und wir Eltern fanden besonders lustig, dass man fürs Anmelden und Abholen eine Nummer ziehen und dabei auch gleich die Anzahl der Kinder angeben muss. Dass sie sich mit niemandem verständigen könnten, schreckte die Mäusekinder kein bisschen. Schliesslich sind sie erfahrene Smålandgänger! Schliesslich gingen sie ja gemeinsam!
Und so kam es, dass der Ähämann und ich plötzlich eine Stunde frei hatten. Wir guckten ein bisschen hier und ein bisschen da, und die gepunktete Bettwäsche, die wir schon seit Monaten angehimmelt hatten, die… nahmen wir einfach mit.
Dann holten wir die Kinder aus dem Småland ab, assen ein Zwei-Gänge-Menü im IKEA-Restaurant, das besser war als alles, was man an schwedischen Raststätten kriegen kann, und waren uns einig, dass wir auf der Rückfahrt genau wieder so eine Pause machen würden, in irgendeinem anderen IKEA, an dem wir zu passender Zeit vorbeikämen.
Nun hätten wir die gepunktete Bettwäsche natürlich auch zu Hause in Turku kaufen können. (Oder in China.)
Aber dann wäre es halt irgendwelches Bettzeug. Die Bettwäsche aus Malmö aber, die erinnert mich jeden Morgen, wenn ich sie glattstreiche, jeden Abend, wenn ich sie über einem Kind zurechtrücke, jedes Mal, wenn ich sie in die Waschmaschine stopfe, jedes Mal, wenn ich sie zum Trocknen auf die Leine hänge, daran, wie wir uns einmal fast in einem verlassenen Elchpark eingesperrt hätten, daran, wie wir dem grossen Herrn Maus grünen Nagellack kauften, daran, wie ich einmal Bananenpizza ass, daran, wie die Kinder in Trelleborg am Hafen einfach zwei Stunden friedlich in ihren Autositzen schliefen, bis wir 23 Uhr endlich auf die Fähre durften, daran, wie wir einmal Schwerverbrecher waren, daran, wie der grosse Herr Maus einmal neben dem Heizer und dem Lokführer auf einer Dampflok mitfahren durfte, an Weihnachtsmärkte, Heimatmuseen und Pyramiden, an den Tag, an dem wir der liebsten Freundin und dem Räupchen das adventliche Erzgebirge zeigten. An einen ganz wunderbaren Urlaub. Und vor allem daran, wie grossartig Reisen mit unseren Kindern ist.
Dienstag, 28. April 2015 um 08:53
Es gibt manche solche Dinge, die uns an schöne Erlebnisse (oder auch an widrige Momente) erinnern.
Aber in dieser Bettwäsche ist ja auch jeder gegenwärtige Moment ein schönes Erlebnis!
Montag, 21. September 2015 um 14:17
So schön geschrieben! Danke dass du uns teilhaben lässt!