Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku

Turku-Istanbul mit dem Zug: (7) Bukarest-Istanbul

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Samstag, 1. Juli 2023

Der Nachtzug nach Istanbul fuhr schon kurz vor elf. Vormittags, wohlgemerkt. Wir gingen direkt vom Frühstück zum Bahnhof.

Wenn man nach Istanbul fahren möchte, muss man auf der Anzeigetafel den Zug nach Ruse suchen. Denn auch der Wortbestandteil Zug ist irreführend.

Wir sind es ja schon seit vielen Jahren gewöhnt, dass zum Beispiel der Nachtzug von Turku nach Rovaniemi in Tampere komplett auseinandergenommen wird und die Schlafwagen an den Zug aus Helsinki angehängt werden.

Aber als unser Zug nach Istanbul auf den Bahnsteig geschoben wurde, stellten wir fest, dass es sich um ein Züglein mit gerade mal drei einzelnen Kurswagen handelte: einer nach Sofia, einer nach Varna, einer nach Istanbul. Rumänische Lok, ein bulgarischer Waggon, ein rumänischer Waggon, ein türkischer Liegewagen mit eigenem Schaffner.

Überraschenderweise handelte es sich bei dem türkischen Waggon um einen 1.-Klasse-Liegewagen, der pro Abteil nur vier (statt der üblichen sechs) Sitze bzw. Betten hat. Das fühlte sich nach den vorherigen Nachtzugfahrten sehr komfortabel und luxuriös an. Leider ging vorerst die Klimaanlage nicht, und im Waggon herrschten gefühlte 40 Grad. Immerhin konnte man die Fenster wenigstens ankippen, das half ganz gut.

Der Schaffner kam die Fahrkarten kontrollieren und reichte eine Liste herum, auf die wir unsere Namen und Passnummern schreiben sollten. Dann tuckselten wir erstmal drei Stunden lang gemächlich durch riesige Mais-, Weizen- und Sonnenblumenfelder bis zur bulgarischen Grenze.

In Giurgiu, Grenzbahnhof auf rumänischer Seite, sammelte der rumänische Grenzschutz alle Pässe ein. Nachdem die zwei Grenzbeamten mit zwei Stapeln Pässen in ihr Büro im Bahnhofsgebäude verschwunden waren, bedeutete uns unser türkischer Schaffner, wir könnten jetzt auf dem Bahnsteig eine rauchen gehen. Ein bisschen ungläubig noch, aber dankbar für die willkommene Gelegenheit zum Beinevertreten, kletterten wir aus dem Zug. Der Schaffner verschwand und kam zwei Minuten später mit einer Handvoll Äpfelchen, die er vom Baum vor dem Bahnhofsgebäude gepflückt hatte, für die Kinder zurück. Als eine Viertelstunde später der Grenzschutz mit den Pässen zurückkam, passte er auf, dass auch alle wirklich wieder eingestiegen waren, bevor der Zug weiterfuhr.

Dann fuhren wir über die auch dort nicht blaue, aber beeindruckend breite Donau nach Bulgarien.

Im bulgarischen Grenzort Ruse wiederholte sich das Spiel mit den Pässen, mit dem Unterschied, dass der Bahnhof grösser ist und wir uns zwar auf den Bahnsteig stellen durften, aber nur neben unseren Waggon.

Der Zug bekam drei weitere Waggons und eine neue Lok, und als es weiterging, funktionierten endlich auch die Klimaanlage und die Steckdose in unserem Abteil.

Drei Stunden später – inzwischen war es 18 Uhr, fühlte sich aber erst nach frühem Nachmittag an – durften wir in Gorna Orjachowiza ein weiteres Mal aussteigen, um ausgedehnten Rangierarbeiten zuzusehen: die vier Waggons nach Sofia fuhren mit unserer Lok davon, der Waggon nach Varna blieb erstmal stehen, an unseren wurden zwei bulgarische Waggons angekoppelt, und dann wurden wir – alle schnell wieder einsteigen! –  von einer Rangierlok zur auf dem nächsten Gleis wartenden Lok gezogen und geschoben.

Nicht nur, dass wir dem Rangierer dabei durch die offene Waggonendtür über die Schulter gucken durften – die Tür war auch dann, als wir längst weitergefahren waren und der Ähämann vorsichtshalber mal prüfte, nicht abgeschlossen. Als der Ähämann dem Schaffner Bescheid sagte, kam der gleich beflissen mit dem Schlüssel herbeigeeilt, fragte aber den Ähämann, ob er nicht erst noch ein paar Fotos zur offenen Tür raus machen wolle. Bei voller – wenn auch nicht sehr schneller – Fahrt, wohlgemerkt.

(Das war der Punkt, an dem ich mich fragte, ob ich jemals zurück nach Finnland wollen würde.)

Dann ging es zum zweiten Mal auf dieser Reise durch die Karpaten, eingleisig, auf polternden Schienen, langsam durch viele Kurven hoch und schnell durch viele Tunnel wieder runter. Unser Zug war jetzt ein Bummelzug, der an jedem Dorfbahnhof hielt; allerdings war für unseren türkischen Liegewagen oft gar kein Platz am Bahnsteig – manchmal hielt er im Wald, der direkt hinterm Bahnhof wieder begann, einmal mitten auf einem Bahnübergang.

Wir nutzten die Chance und stellten uns im bulgarischen Bummelzugwaggon nicht nur viele, viele Kilometer ans offene Fenster, sondern nutzten auch die europäische Toilette, denn im türkischen Liegewagen gab es (vermeintlich) nur ein Hockklo – bis wir herausfanden, dass es nur am einen Ende ein Hockklo ist, am anderen aber ein Sitzklo. Und wo wir gerade von Sanitäranlagen sprechen: der türkische Waggon war der erste Eisenbahnwaggon, den ich je erlebt habe, bei dem das Händewaschwasser nicht nur als kümmerliches Rinnsal aus dem Hahn getröpfelt kam.

Ausserdem wurde uns klar, warum wir unsere Tickets zwar online kaufen, sie aber in Bukarest nochmal als richtige Fahrkarte ausdrucken lassen mussten: mit jedem neuen Zug, an den unser Kurswagen angehängt wurde, machte ein*e neue*r Schaffner*in einen handschriftlichen Vermerk auf die Rückseite unserer Fahrkarten, mit Zugnummer und Datum und allem Drum und Dran. Wir fühlten uns mittlerweile in unserem Waggon wie in einem fahrenden Zuhause.

Gegen acht brachte uns der Schaffner Kopfkissen und Bettwäsche. Betten beziehen war diesmal denkbar einfach, weil es zum Zudecken nur noch ein Laken gab. (Erst auf der Rückfahrt von La Spezia nach München, im Schlafwagen der ÖBB, sollten wir zum ersten Mal wieder unter Bettdecken schlafen. Das fühlte sich genauso komisch an, wie nach vielen Sommerwochen in Sandalen zum ersten Mal wieder Socken anzuziehen.) Dafür gingen zwischendrin die Kissen aus. In Dimitrowgrad, wo wir an den Zug von Sofia nach Istanbul gehängt werden würden, gäbe es neue, sagte der Schaffner, aber bot dem Ähämann für die Zwischenzeit sein eigenes an. So dringend war es nicht.

Der kleine Herr Maus, das Fräulein Maus und ich hatten hinter Ruse, auf einem landschaftlich eher langweiligen Stück, schon mal ein Nickerchen gemacht und die Betten hinterher wieder hochgeklappt, aber kurz vor Dimitrowgrad, als es dann auch schon dunkel war, klappten wir die Betten für die Nacht aus. Der Ähämann hätte eigentlich ein Bett im Nachbarabteil gehabt, aber das fanden wir alle doof, und angesichts der uns bevorstehenden sowieso eher unruhigen Nacht beschlossen wir, alle in einem Abteil zu schlafen und den kleinen Herrn Maus von Bett zu Bett rumzureichen. Schlafanzug anziehen lohnte sich  auch nicht, da wir wussten, dass wir in ein paar Stunden an der türkischen Grenze mit Sack und Pack beim Zoll anzutreten hätten.

Sonntag, 2. Juli 2023

Um eins weckte uns der Schaffner, um uns mitzuteilen, dass der bulgarische Grenzschutz jetzt gleich die Pässe einsammeln kommt. Als wir die zurückhatten, fuhren wir eine halbe Stunde in Schrittgeschwindigkeit durch stacheldrahtumzäuntes und flutlichtbeleuchtetes Grenzgelände – man kann sich nur schämen, wie wir reichen Europäer uns abschotten – in den türkischen Grenzort Kapıkule, wo alle  aussteigen mussten: erst die Pässe vorzeigen und einen Einreisestempel hineindrücken lassen, dann das Gepäck durchleuchten lassen. (Gepäckkontrollen sind eine Standardprozedur auf türkischen Bahnhöfen, bevor man in den Zug darf; das hatte nichts mit der Grenze zu tun.)

Der Zug bekam währenddessen eine schicke türkische Siemenslok. (Vermutlich wird es bald keine anderen Loks mehr geben. *seufz*)

Dann durften wir wieder in unsere – sehr weichen, sehr bequemen: ein bisschen wie auf unseren Schwedenfähren – Betten sinken und noch ein paar Stunden weiterschlafen. Als es hell wurde, raste der Zug durch weite Landschaft, und fast jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster guckte, war eine Ortschaft mit einer Moschee in der Mitte zu sehen. Und dann tauchten auch schon die ersten Istanbuler Vororte vor dem Fenster auf.

Kurz vor sieben bedeutete uns der Schaffner, dass er jetzt gern das Bettzeug einsammeln würde.

Kurz nach sieben – mit einer halben Stunde Verspätung – standen wir am Bahnhof Halkalı auf dem Bahnsteig, wo unser Zug endete Kurswagen nach 20 Stunden Fahrt seine Endstation erreicht hatte.

Die letzten 30 Kilometer legten wir mit dem Marmaray, der Istanbuler S-Bahn, zurück.

Erst in Asien, auf der anderen Seite des Bosporus, den das Marmaray in einem Tunnel durchquert, stiegen wir wieder aus.

Und es lag ganz sicher nicht nur an unserer Müdigkeit, dass es sich sehr unwirklich anfühlte, im Morgensonnenschein am Ufer des Bosporus zu stehen.

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(1) Turku-Stockholm-Berlin-Prag
(2) Prag
(3) Prag-Wien
(4) Wien
(5) Wien-Bukarest
(6) Bukarest
(7) Bukarest-Istanbul
(8) Istanbul
(9) Istanbul-Sofia
(10) Sofia
(11) Sofia-Athen
(12) Athen
(13) Kineta
(14) Kineta-Patras-Bari-Rom
(15) Rom
(16) Florenz
(17) Pisa
(18) Pisa-La Spezia-München-Berlin-Stockholm-Turku

11 Kommentare zu “Turku-Istanbul mit dem Zug: (7) Bukarest-Istanbul

  1. Was ich euch beneide! Also so eine Zugtour steht definitiv auf meiner Liste!

    • Mit einer Zugtour ist es nicht getan – es macht definitiv süchtig, wenn man einmal damit anfängt.

      • Ich gurke im Moment jede Woche kreuz und quer durch Norddeutschland mit Regionalzügen. Da muss man schon Fan sein!
        Aber ich bin im Mai auch schon mit dem Snälltoget von Berlin nach Malmö und davor von Berlin nach Venedig und retour. Übrigens angeregt durch eure Venedigreise! Und es war großartig!

    • Selbst die anstrengend anmutenden Grenzkontrollen können unterhaltsam sein, wenn man sich darauf einlässt. In Kapıkule zum Beispiel war es wirklich mitten in der Nacht, mit schon einer Grenzkontrolle hinter uns, wo der bulgarische Grenzbeamte mir aber einen aufmunternden Daumen hoch gezeigt hatte mit den Worten „Passport OK!“, als ich ihn nochmal anschaute, nachdem wir unsere Pässe wiederhatten. Dann iss ja gut… Am türkischen Passkontrollschalter sollten wir dann jede*r in eine etwas altmodisch aussehende, längliche Überwachungskamera gucken für das Grenzfoto, und als ich das heiterste Passfotogesicht aufgesetzt hatte, was ich um diese Uhrzeit und an diesem Ort fertig gebracht habe, war der Grenzbeamte tatsächlich sichtlich erheitert und hat mich und den großen Sohn neben mir mit einem Lächeln wieder weg geschickt.

  2. Danke, dass ihr uns an diesem Abenteuer teilhaben lasst. Es klingt wirklich nach einem grandiosen Urlaub.

  3. Pingback: 23-08-05 Voyager en voiture couchette – iberty.de

  4. Das liest sich seit eurem Start in Turku großartig. Ich freu mich auf mehr!

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