Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku

Turku-Istanbul mit dem Zug: (8) Istanbul

9 Kommentare

Sonntag, 2. Juli – Donnerstag, 6. Juli 2023

Urbanes Bergwandern.

Auch in Istanbul taten wir, was wir immer tun in fremden Städten: laufen und gucken. Hügelauf, hügelab, von Fähranleger zu Bushaltestelle, von Moschee zu Moschee. Wir kauften sehr viele Flaschen Wasser und assen viele Kugeln Eis. Wir streichelten Strassenkatzen und guckten riesigen Frachtschiffen hinterher.

Morgens halb fünf rief der Muezzin schallte der Gebetsruf von der Moschee neben unserer Ferienwohnung. Es war Morgen für Morgen zauberhaft: die Stadt war um diese Zeit noch ganz still, und nachdem wir dem dreiminütigen Gebetsruf gelauscht hatten, schliefen wir wieder ein.

Wir tranken bei jeder Gelegenheit Tee. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben mit meiner Vorliebe für heissen Tee bei heissem Wetter, und auch mit der Menge an Zucker, die es für wohlschmeckenden Tee braucht, verstanden gefühlt. Den besten Tee tranken wir am Kiosk am Busbahnhof, gleich neben dem Fähranleger, wenn die Fähre erst in zwanzig Minuten fuhr, da, wo auch die Busfahrer ihren Tee trinken und wo uns jedes Mal Hocker freigemacht und Tische zusammengeschoben wurden und wir in Gespräche verwickelt wurden, von denen wir vielleicht fünf Prozent verstanden. Es war grossartig.

Überhaupt, Gespräche. All die Männer, die uns erzählten, dass sie früher mal in Deutschland gearbeitet haben. Oder in der Schweiz, schwarz, auf einer Baustelle. Oder die Familie, die wir auf der Fähre trafen und die uns erzählte, dass sie drei Tage Auto gefahren wären, Vater, Mutter, grosse Schwester hatten sich abgewechselt auf der langen Fahrt von Osnabrück nach Istanbul, wo sie einen Tag Pause eingelegt hatten, bevor sie die letzten zehn Stunden zu ihrer türkischen Familie fahren würden. Der Mann, der nur ein paar Worte Deutsch mit uns reden wollte, aber dann eine halbe Stunde mit uns an der Bushaltestelle auf unseren Bus wartete, von dem wir schon fast nicht mehr glaubten, dass er überhaupt noch kommen würde. Der Juwelier, bei dem wir ein Armband kauften, und der uns erzählte, dass er schon mal in Helsinki gewesen sei und dass es sehr anders da gewesen sei, sie wären die ganze Zeit dick angezogen rumgelaufen, obwohl die Einheimischen kurze Hosen trugen, und es sei so unheimlich ruhig gewesen; wobei es ja zur Zeit auch in Istanbul ziemlich ruhig sei, weil viele Einheimische in ihren Sommerhäusern wären, setzte er hinzu, ziemlich ruhig, wirklich, aber naja, klar, wenn wir aus Finnland wären, lachte er. Der Ähämann lernte mit Duolingo ein paar Worte und Phrasen Türkisch und hielt Smalltalk mit dem Lebensmittelhändler unten im Haus, bei dem wir jeden Morgen die erste Flasche Wasser des Tages kauften und jeden Abend eine Flasche Bier.

Istanbul ist so gross, dass wir uns automatisch abseits der grossen Touristenströme aufhielten. (Als wir einmal aus Versehen in das Viertel mit den Luxusboutiquen und Souveniershops und den Händlern mit den Fake-Gucci-Taschen und Fake-Adidas-Schuhen gerieten, mussten wir leider sofort den Rückzug antreten.) Gerne erinnere ich mich an den Abend, als wir mit der ersten Fähre, die zufällig gekommen war, bis ans Ende des Goldenen Horns gefahren waren und dort plötzlich in einem Viertel gelandet waren, in dem fast ausschliesslich türkische Familien auf Ausflug unterwegs waren: über den Markt, auf dem Kopftücher in allen erdenklichen Farben und Mustern verkauft wurden und wir öltriefende Krapfen (sehr lecker) und, wie die Kinder sagten,  „geschmolzene und auf einen Holzstab aufgewickelte Gummibärchen“ (nicht so lecker) probierten, rund um die Moschee und auf dem riesigen Friedhof am Hang mit den schmalen Pfaden zwischen den Gräbern, auf denen man nahezu senkrecht nach oben kraxeln konnte, und über den hinweg eine Seilbahn auf den Berg führte, die wir in gewohnter Weise von oben nach unten benutzten, weil wir umgekehrt eine Stunde hätten anstehen müssen.

Wir sind 53 000 Schritte gelaufen und bestimmt hundert Kilometer Bus gefahren, aber haben trotzdem nur einen winzigen Teil Istanbuls gesehen.

Der eigentliche Bahnhof von Istanbul. Der, wo früher der Orientexpress ankam.

***

Interkontinentaler ÖPNV.

Mindestens einmal am Tag fuhren wir von Asien nach Europa und zurück.

Man kann das mit der Fähre tun, mit ein paar wenigen Buslinien, die über die Bosporusbrücke fahren, oder mit dem Marmaray, das durch eine in den Bosporus gehängte Tunnelröhre fährt. Metro und Strassenbahn überqueren den Bosporus nicht. Unser übliches Fortbewegungskonzept Wir fahren mit der Metro möglichst nahe ran und laufen den Rest funktionierte deshalb in Istanbul überhaupt nicht.

Wir fuhren tatsächlich sehr viel Fähre; morgens üblicherweise mit der Autofähre, weil deren Anleger nur fünf Minuten von unserer Wohnung entfernt war. Einmal fuhren wir mit einem Stadtbus, auf den wir zu diesem Zweck gefühlt ewig gewartet hatten, über die grosse Bosporusbrücke. Das war sehr toll.

Am vorletzten Tag fuhren wir mit Bus, Marmaray, Bus und Metro anderthalb Stunden bis zu einer Metrobüshaltestelle in einem Istanbuler Vorort, an der wir mit einem Freund der türkischen Kollegin des Ähämanns verabredet waren, um unsere Zugtickets nach Sofia in Empfang zu nehmen, die man nicht online, sondern nur in Istanbul am Bahnhof kaufen kann. Nur vier Tage vorher noch für fünf Personen Plätze im Schlaf- oder Liegewagen zu bekommen erschien uns recht riskant, weswegen es super nett war, dass die Kollegin und ihr Freund sich für uns darum gekümmert haben.

Weil uns während des Wartens das Konzept Metrobüs – Schnellbusse mit eigener, staufreier Trasse, die alle zwei Minuten fahren – überzeugt hatte, fuhren wir spontan damit zurück, nochmal über die Bosporusbrücke.

Sämtliche öffentliche Nahverkehrsmittel waren übrigens gut gefüllt – ich nenne das immer Karl-Marx-Städter Stadtbus im Berufsverkehr; als Kind kannte ich in den Ikarusbussen und Tatrabahnen alle Ecken, in denen man es als kleine Person im Gedränge gut aushalten konnte und die man tunlichst beim Einsteigen direkt ansteuerte.

Die Einheimischen schienen vor allem Sammeltaxi zu fahren – Kleinbusse, die alle paar Minuten fahren und nur eine ungefähre Route haben und keine Haltestellen; man winkt dem Fahrer, dass man gern mitmöchte und ruft ihm zu, wenn man wieder aussteigen möchte – deren Konzept uns als Orts- und Sprachunkundige ein bisschen überforderte. Aber als wir von der Metrobüshaltestelle an der Schnellstrasse nicht anders wegkamen, nahmen wir dann doch eins und bekamen eine wunderbare Rundfahrt durch die kleinen Strassen von Üsküdar.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren ging trotz der geografisch bedingten etwas komplizierten Routenführung super. Auf die Zeiten im Routenplaner musste man manchmal fünf oder zehn Minuten Verspätung draufschlagen, aber die Verbindungen klappten erstaunlich gut.

Fähre, Bus und Seilbahn kosten 9 Lira, das Marmaray 30 Lira pro Person, Strassenbahn, Metro und Metrobüs irgendwas dazwischen. Für 35 cent oder einen Euro zwischen zwei Kontinenten reisen ist ja wohl grossartig! Ein bisschen nervig war nur, dass man die Nahverkehrskarte gefühlt ständig mit 50-Lira-Scheinen füttern musste, weil es nur ganz wenige Automaten gab, an denen man direkt mit Bankkarte hätte aufladen können. (Und im Sammeltaxi muss man sowieso bar bezahlen. Dafür kostet es nur 7 Lira.)

***

Moscheentourismus.

Moscheen angucken ist genauso toll wie Kirchen angucken.

Vielleicht war es sogar noch toller, weil es so etwas völlig Neues für uns war. Ich war erst das zweite Mal in meinem Leben in einem muslimisch geprägten Land, wobei wir vom ersten damals eigentlich nur – botanische Exkursion – Hinterland und Natur kennenlernten.

Wir sahen riesige Moscheen und kleine, prunkvolle und schlichte. Gleich in der ersten verliebte ich mich in die riesigen ringförmigen Leuchter mit den kleinen Lämpchen. Und in die bunten Teppiche.

Das Fräulein Maus hatte sich schnell bei den Einheimischen die hübscheste Art, ein Kopftuch zu tragen, abgeguckt, während ich in den fünf Tagen nicht über das Modell Kräuterhexe hinauskam.

Wir mochten vor allem die Stimmung in den Moscheen: es kommt immer jemand zum Beten, aber viele Menschen halten sich auch einfach nur dort auf. Familien mit Kindern sassen auf dem Boden, und die kleinsten Kinder sprangen durch die Moschee. Einer lud in einer kleinen Moschee sein Handy auf. Wir machten das genauso: die stillen, kühlen und friedlichen Moscheen waren unsere kurzen Pausenplätze von der heissen, betriebsamen und lauten Stadt; manchmal sassen wir lange auf den weichen Teppichen und bewunderten die Wandmalereien und bunten Fenster (und die Leuchter!), manchmal verschnauften wir nur ein paar Momente lang.

Am besten gefallen hat uns die Çamlıca-Moschee, obwohl sie auch so ein grössenwahnsinniges Prestigeobjekt ist. Aber sie ist halt schon leider sehr, sehr schön. Und modern. Und touristenfrei. Und hat den schönsten Blick auf den Istanbuler Sonnenuntergang.

(Nein, in der Hagia Sophia waren wir nicht. Da hätten wir nämlich mindestens eine Stunde anstehen müssen. Und hätten sehr viel anderes Schönes vermutlich nicht gesehen.)

***

Stadt der Katzen.

Die erste Katze begegnete uns nachts um zwei in Kapıkule. Sie strich maunzend über den Bahnsteig, und ein vorbeigehender Grenzpolizist beugte sich zu ihr herunter und strich ihr behutsam über den Kopf, bevor er weiterging.

Die zweite sprang dem kleinen Herrn Maus auf der Terrasse des Cafés, in dem wir, nachdem wir am Bosporus dem Marmaray entstiegen waren, nach der nächtlichen Zugfahrt frühstückten, auf den Schoss. Es war die erste von unendlich vielen Strassenkatzen, die wir in Istanbul sahen.

Unendlich viele Strassenkatzen, die von den Istanbuler*innen genauso respekt- und liebevoll behandelt wurden wie die Bahnhofskatze in Kapıkule. Überall standen Schälchen mit frischem Wasser und mit Katzenfutter. Eines Abends beobachteten wir, wie eine Strasse weiter von unserer Ferienwohnung eine Frau, die von mindestens zehn Katzen umringt war, Futter an sie austeilte. Keine Katze wurde je vertrieben oder gar getreten. Im Gegenteil: viele Passant*innen beugten sich kurz runter und streichelten die Katzen. Das Niedlichste, was ich gesehen habe, war, wie ein Angler am Bosporus einer schwarzen Katze einen kleinen Fisch reichte und sie mit ihm im Maul davonlief.

Strassenkatze ist eigentlich auch der falsche Ausdruck. Wir sahen Fähranlegerwartesaalkatzen, Bahnhofskatzen, Moscheekatzen, Friedhofskatzen, Parkkatzen und Cafékatzen. Die cleverste von ihnen hatte sich vor einer Zoohandlung eingerichtet.

***

Aha-Erlebnis.

„Guck mal“, sagte ich zum Ähämann, „der Baum da! Der hat Ahornblätter, aber es ist kein Ahorn. Ach, und guck mal, der hat ja einen Stamm wie eine Platane. Hä?“ „Na dann wird es wohl eine morgenländische Platane sein, keine abendländische wie wir sie kennen.“

Vielleicht ist das etwas, worüber nur Biolog*innen vor Freude quietschen können. Aber es fasst Istanbul ganz gut zusammen.

***
(1) Turku-Stockholm-Berlin-Prag
(2) Prag
(3) Prag-Wien
(4) Wien
(5) Wien-Bukarest
(6) Bukarest
(7) Bukarest-Istanbul
(8) Istanbul
(9) Istanbul-Sofia
(10) Sofia
(11) Sofia-Athen
(12) Athen
(13) Kineta
(14) Kineta-Patras-Bari-Rom
(15) Rom
(16) Florenz
(17) Pisa
(18) Pisa-La Spezia-München-Berlin-Stockholm-Turku

9 Kommentare zu “Turku-Istanbul mit dem Zug: (8) Istanbul

  1. Die Moscheen sehen ja umwerfend aus!!

  2. Danke für deine wundervollen Reiseberichte….wenn die Städte/Orte/ Transportmittelbetreiber davon wüssten, was für eine grandiose Werbung du für sie machst!
    Danke für’s Mitnehmen!

  3. So so großartig! Und wunderschöne Fotos 😍

  4. Wow, das klingt nach so einer tollen Reise voller neuer Eindrücke! Mir gefällt eure Art zu reisen.

  5. Sehr beeindruckendruckend!!!
    Für mich leider nichts, aber zum Lesen herrlich 🤩. Danke 💙.

  6. Pingback: 23-08-13 Schwefelvöglein – iberty.de

  7. Meine Kollegin ist mit Mann und Kindern heuer auch wieder mit dem Auto in die türkische Heimat gefahren. Von München nach Kayseri, knapp 3.000 Kilometer.

    Erholung ist das nicht…

Hinterlasse einen Kommentar