Letzter sehnsüchtiger Blick zurück. Als wäre der Bahnhof Santa Lucia, für den einst eine Kirche weichen musste, von der er seinen poetischen Namen hat, ein Portal zwischen einem Wunderland und der modernen Welt.
Ein bisschen spannend wurde es noch, weil ab 21 Uhr die italienischen Eisenbahner*innen streikten und nicht so ganz klar war, inwieweit unser Zug, zwar von der Österreichischen Bahn operiert, aber immerhin das italienische Schienennetz nutzend, davon betroffen sein würde. Aber das Einzige, was passierte, war, dass statt eines Schlafwagenzuges ein normaler Zug einfuhr, mit dem wir die zehn Minuten nach Mestre fahren mussten, wo wir in den Nachtzug umsteigen durften. (Angeblich war daran aber nicht der Streik, sondern ein Gleisbruch schuld.)
Eine weitere halbe Stunde später hatten wir uns und unser Gepäck in die Kabinen sortiert, dem Schaffner die Fahrkarten und die angekreuzten Frühstückswünsche ausgehändigt und liessen uns in den nach den 18 000 Schritten des Tages wohlverdienten Schlaf schaukeln.
5:48 Uhr hämmerte die Bundespolizei an die Tür, liess sich die Pässe aushändigen und leuchtete uns allen mit der Taschenlampe ins Gesicht – den grossen Herrn Maus mussten wir dafür auf ausdrückliche Anordnung wecken – um zu kontrollieren, ob wir auch berechtigt seien, nach Deutschland einzureisen. Waren wir, nur gewollt habe ich ab dem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr.
(Schengen?! Hallo?!)

Frühstück im Bett. Die ÖBB macht’s möglich.
Um sieben standen wir mit weiteren fünf Prosecco-Fläschchen, drei übriggebliebenen Frühstücksbrötchen, einem Saftpäckchen, zwei angefangenen Marmeladen- und drei noch halbvollen Honiggläschen in den Rucksäcken in München auf dem Bahnhof. (Gepäckminimierung hat, anders als letztes Jahr, diesmal überhaupt nicht funktioniert.)
Wir hatten drei Stunden Zeit, die wir aber nicht einmal für ein ausgiebiges Frühstück beim Bäcker nutzen konnten, weil wir ja schon Frühstück gehabt hatten. Wir freuten uns deshalb besonders, dass es gleich neben dem Bahnhof eine schon früh um sieben geöffnete DM-Filiale gab, in der wir schon mal anfingen, unsere Deutschland-Einkaufsliste abzuarbeiten. (Der Bahnhofs-Buchladen, an den die Kinder grosse Erwartungen gehabt hatten, war leider eine Enttäuschung.)
Fünf vor zehn standen wir mit fünfhundert anderen Menschen auf dem Bahnsteig, und ich hörte zufällig, wie ein ebenfalls auf dem Bahnsteig wartender Zugbegleiter ins Handy sprach: „Weisst du, wo der Zug ist?!“ Lustig.
Zehn Minuten später hatte sich der Zug gefunden; sehr zu Freude der Kinder, die auf der Hinfahrt ein bisschen enttäuscht gewesen waren über den „alten“ ICE, ein ICE4. Es sollte sich dann aber herausstellen, dass der ICE1 nicht nur schneller fahren kann, sondern auch besser und schöner ausgestattet ist.
Der Schaffner gab ebenfalls sein Bestes, um bei mir akute Fluchtreflexe auszulösen. Eine Durchsage mit dem schlichten Hinweis auf die Maskenpflicht an Bord reichte nicht, er musste noch eine Drohung mit der Bundespolizei, die am letzten Bahnhof schon fünf Maskenverweigerer aus dem Zug geholt hätte, hinzusetzen sowie ein pampiges „Wem das nicht passt, der kann gern am nächsten Bahnhof aussteigen“. Danach sowie nach der ebenfalls recht hitzigen Diskussion, die sich fünf Tage vorher auf Instagram entsponnen hatte, war ich allmählich soweit, zu verstehen, warum in Deutschland so viele Menschen gegen die Coronamassnahmen protestiert haben, während in Finnland, wo es zu keiner Zeit eine Maskenpflicht, sondern nur eine Maskenempfehlung gegeben hat, alle klaglos Masken getragen haben.
Meine Güte, dieser Umgangston! Diese starren, willkürlichen Regeln! Diese ständige Androhung von Konsequenzen!
Überhaupt finde ich, dass man die Fronten gar nicht erst so verhärten lassen müsste: mittlerweile kann jede*r geimpft sein und sich dank FFP2-Masken auch selbst schützen, da muss man sich doch keine Grabenkämpfe mit jemandem liefern, der partout keine Maske tragen will…
In Berlin verliessen wir jedenfalls ohne jede Wehmut den überfüllten Zug, bestiegen eine S-Bahn, in der die Durchsage sich auf ein schlichtes „Bitte tragen Sie eine Maske!“ beschränkte, fuhren zu unserem Hotel, ruhten uns kurz aus, machten einen Abendspaziergang (War das Brandenburger Tor schon immer so klein?!), ergatterten einen Termin für die Besichtigung der Reichstagskuppel am nächsten Tag, assen einen langersehnten Döner und fielen in unsere Betten.
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(1) Turku-Stockholm-Hamburg
(2) Hamburg-München-Venedig
(3) Venedig: Gassen, Kanäle und Boote aller Art
(4) Venedig: Busfahren und im Mittelmeer baden
(5) Venedig: Wolkenkratzer und Sargschränke
(6) Venedig: Don Camillo & Peppone, geflügelte Löwen und jede Menge Wäscheleinen
(7) Venedig-München-Berlin
(8) Berlin, Berlin
(9) Berlin-Stockholm-Turku