Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku

Grosse Ereignisse usw.

5 Kommentare

Heute habe ich die vermutlich letzte Wilma-Nachricht für das Fräulein Maus geschrieben. Ab übermorgen darf muss sie sich selbst krankmelden und ihre Dinge klären.

(Wenn sie nett ist, macht sie am Dienstag ein Häkchen und gewährt uns Eltern weiterhin Einsicht in ihr Wilma, aber sie muss nicht.)

Jedenfalls habe ich sie heute für morgen vom normalen Unterricht abgemeldet, denn sie schreibt morgen ihre erste Abiturprüfung.

Moooment, wird der/die aufmerksame Blogleser*in jetzt sagen, sie ist doch erst in der 11. Klasse? Und wieso muss sie wegen einer Abiturprüfung vom Unterricht freigestellt werden?!

Das kommt so:

Hier gehen ja alle bis zur 9. Klasse gemeinsam zur Schule. Wer Abitur machen möchte, geht danach noch aufs Gymnasium, wo es von Anfang ein Kurssystem – das sich aber von dem in Deutschland stark unterscheidet – gibt.

Der wichtigste Unterschied ist vielleicht, dass man sich nicht für die ganze Abiturzeit, noch nicht einmal für ein ganzes Schuljahr, auf bestimmte Fächer festlegen muss. Es gibt in jedem Schuljahr fünf Perioden, in denen man bestimmte Fächer belegt. Eine Periode dauert ca. sechs Wochen und endet mit einer Klausurenwoche, in der pro Tag jeweils ein Test in einem in dieser Periode belegten Fach geschrieben wird. Es gibt Fächer, die man machen muss, es gibt Fächer, deren Gewichtung man selbst festlegen darf (ein grosses Ding ist hier beispielsweise die Frage, ob jemand langes oder kurzes Mathe macht, in etwa vergleichbar mit dem deutschen Grund- und Leistungskurs), und es gibt eine Gesamtzahl an Kursstunden, die man über die gesamte Abiturzeit gemacht haben muss. Wie und wann man die macht, ist egal, wobei die meisten natürlich versuchen, am Anfang möglichst viel abzuarbeiten, um zum Ende hin mehr Luft zu haben, und wenn es nicht anders geht, darf man auch zwei Kurse gleichzeitig belegen und den einen davon im Selbststudium abarbeiten – das hat das Fräulein Maus zum Beispiel mit einem Deutschkurs gemacht. Ein Hoch auf die Karriereberatungslehrerinnen, die unermüdlich bei der Zusammenstellung der Stundenpläne helfen!

Vor allem aber ist es auch egal, wann man seine Abiturprüfungen macht. Landesweit einheitliche und gleichzeitige Abiturprüfungen gibt es jeweils im Frühling und im Herbst, und somit ist es einem selbst überlassen, ob man sein Abitur nach zweieinhalb, drei, dreieinhalb oder vier Jahren am Gymnasium macht. Die meisten machen es nach drei Jahren, also im Frühling der 12. Klasse. Aber wenn man beispielsweise Leistungssportler*in ist oder aus welchem Grund auch immer nicht ganz so viel Zeit für die Schule hat wie andere, dann ist es völlig unkompliziert möglich, sich für sein Abitur einfach ein Jahr länger Zeit zu lassen. Und man muss auch nicht alle Abiturprüfungen – Finnisch plus vier weitere aus mindestens drei der vier Fachbereiche Mathe, Schwedisch, Fremdsprache oder Realfach (Chemie / Physik / Geographie /Biologie / Religion / Philosphie / Geschichte / Gesellschaftskunde / Gesundheitswissenschaft / Psychologie) – auf einmal machen: wenn man ein Fach fertigstudiert hat, kann man das auch prüfungsmässig schon mal abhaken.

Und so wird das Fräulein Maus morgen schon mal ihr Deutsch-Abitur schreiben.

Das ist gar nicht schlecht. Die Prüfungssituation an sich ist ja schon aufregend genug, da kann man ruhig mit einem Fach anfangen, wegen dem man nicht aufgeregt sein muss.

Alle finnischen Abiturprüfungen finden schriftlich statt, und zwar seit 2016 ausschliesslich digital. Es gibt dafür ein spezielles Betriebssystem, Abitti, das allen Prüflingen gleiche Bedingungen gewährt und gleichzeitig den Zugriff auf auf dem Laptop oder auf an ihn angeschlossenen externen Datenspeichern gespeicherte Daten verhindert. Abitti wird von einem USB-Stick aus gestartet, der neben dem persönlichen Laptop eines der ersten Dinge ist, die man als Schüler*in am Gymnasium ausgehändigt bekommt, denn damit werden auch schon alle Tests während der Klausurenwochen absolviert. (Somit ist zumindest wegen der technischen Seite eigentlich niemand mehr aufgeregt bei der ersten Abiturprüfung.) Für die Prüfung hat man sechs Stunden Zeit. Das ist viel, deshalb gibt es in der Schule des Fräulein Maus‘ kostenlosen Abiproviant: Kaffee, Wasser, Obst, belegte Brötchen. Man darf sich auch selbst was mitbringen, dann muss man aber alle Etiketten entfernen oder überkleben. Auch auf der Kleidung darf kein Text stehen.

Letzte Woche kam vom Rektor nochmal eine Wilma-Nachricht mit allerletzten Hinweisen: Bring dir einen Thermosbecher mit, wenn du Kaffee trinken willst! Und: Wenn du deine Prüfung in Wollsocken schreiben willst, nimm für den Fall eines Feueralarms einen Beutel mit deinen Strassenschuhen mit in die Turnhalle den Prüfungsraum!

Womit sich der Wollsocken-im-Klassenzimmmer-Kreis jetzt irgendwie (fast) geschlossen hat.


(Ich möchte hiermit nochmal recht herzlich in die Runde deutscher Redakteur*innen grüssen, die mir mit ihren Erklärungsversuchen zum Erfolg des finnischen Schulsystems bei vergangenen Pisastudien die Steilvorlage für diese Serie von Blogbeiträgen geliefert haben. Den Fakt, dass finnische Schüler*innen Socken tragen im Klassenzimmer, hat nämlich keine*r jemals ausgelassen.)

[Nachtrag: Finnisches Abifeeling aus Schüler*innensicht.)

5 Kommentare zu “Grosse Ereignisse usw.

  1. Gedrückte Daumen für das Fräulein Maus!

    Und vielen Dank für die immer wieder spannenden Einsichten in dieses Schulsystem. Wie sieht das dann eigentlich aus, wenn man eine Prüfung vergeigt? Ich gehe mal davon aus, dass es Nachschreibemöglichkeiten gibt, mich interessiert eher, ob man dann z.B. das Fach nochmal belegen kann, also seine eigene verbleibende Zeit nochmal zur besseren Vorbeireitung nutzen kann oder ob man dann ggf. halt eher nach alternativen Ausbildungsmöglichkeiten sucht und nicht noch unnütz Zeit in der Abiturklasse absitzt?

    Schöne Grüße,

    Nadine

    • Das kommt ganz drauf an, was man unter „vergeigt“ versteht.

      Wenn man durchfällt, kann man es noch dreimal versuchen. (Wobei man dann glücklicherweise kein ganzes Jahr warten muss, weil ja immer im Frühling und Herbst Abiprüfungen sind.) Ob man sich dann nochmal in den entsprechenden Kurs setzt oder selbst lernt, ist einem selbst überlassen.

      Wenn man bestanden hat, aber mit der Note nicht zufrieden ist, kann man nach bestandenem Abitur jederzeit die Prüfung nochmal machen und versuchen, seine Note zu verbessern. (Das ist hier nicht unüblich, da die meisten sowieso nicht gleich ihren Wunschstudienplatz bekommen und erstmal ein Jahr lang was anderes machen.) Dafür lernt man üblicherweise im Selbststudium. Ausserdem muss man die Prüfung dann bezahlen, weil nur 5 Prüfungen kostenlos sind. (Man kann z.B. statt in 5 Fächern auch gleich in 6 Fächern Abiprüfungen schreiben, wenn man das aus irgendeinem Grund für sinnvoll hält; aber die 6. muss man dann auch selbst bezahlen). Wobei die 34 Euro pro Prüfung aber ein durchaus machbarer Preis sind.

      • Danke für die weitere Erklärung. Und ja, ich meinte „vergeigt“ im Sinne von durchgefallen. Aber das mit der Verbesserung der Abi-Note ist ja auch cool.

        Schöne Grüße,

        Nadine

  2. Pingback: Was ich mit zum Abi genommen habe – myyfinland

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