Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku

Wie ich Sturm aus Südwest zu schätzen lernte

9 Kommentare

Letztes Wochenende habe ich drei Maschinen Wäsche gewaschen. Hintereinander. Es wurde ein bisschen schwierig mit dem Aufhängen, denn Hannelore wäscht sehr grosse Mengen auf einmal, und halb voll schalten wir sie nicht an. Es lohnte sich aber, denn der Strom war das ganze Wochenende über billig.

Seit vier Wochen nämlich haben wir einen Stromvertrag zu Börsenpreisen.

Nachdem bei unserem bisherigen Stromvertrag die Preise von 6 cent pro Kilowattstunde auf 35 cent pro Kilowattstunde erhöht worden waren, guckten wir uns das eine Weile an und stellten fest, dass der Börsenstrompreis seit Weihnachten kontinuierlich sinkt und selbst zu den teuersten Zeiten noch deutlich unter 35 cent liegt.

Die Stromrechnung ist sowieso das einzige, das wir selbst beeinflussen können: Wasser und Fernwärme sind – ein Unding! – pauschal in der Miete enthalten. Wir verbrauchen schon immer weniger Strom als der Durchschnitt: unvergessen, wie wir vor zehn Jahren, als wir in dieser Wohnung endlich Stromzähler bekamen, ein ganzes Jahr lang statt Stromrechnungen Stromrückzahlungen bekamen. Wir haben durchweg energieeffiziente Haushaltsgeräte (unter anderem deshalb, weil wir sowohl Herd als auch Kühlschrank, die zu finnischen Wohnungen eigentlich dazugehören, selbst angeschafft haben), wir haben keinen Wäschetrockner, wir gehen nicht einmal pro Woche, sondern allerhöchstens drei-, viermal im Jahr in unsere eigene Sauna, und die elektrische Fussbodenheizung im Bad haben wir direkt nach dem Einzug aus- und seither nie wieder eingeschaltet, weil wir so einen tollen Warmwasserrücklaufheizkörper da haben, der eine Fussbodenheizung wirklich überflüssig macht.

Aber jetzt können wir unsere Stromrechnung nicht nur dadurch beeinflussen, wieviel Strom wir verbrauchen, sondern auch dadurch, wann wir den Strom verbrauchen: wir bezahlen nämlich pro Kilowattstunde genau so viel, wie sie zu dieser Zeit an der Börse kostet. (Plus Netzgebühren, Stromsteuer,etcetera blabla. Aber das käme ja auf die 35 cent Festgebühr auch noch drauf.) Unser zehn Jahre alter Stromzähler kann das übrigens einfach so, stundenweise den Verbrauch an den Energieversorger übermitteln, und wir können online auch jederzeit nachgucken, wann wir wieviel Strom verbraucht haben und was das gekostet hat.

Die Preise gelten stundenweise und stehen jeweils ab 14:15 Uhr für den gesamten Folgetag fest und sind auch sonst gar nicht so schwer vorhersagbar: sie hängen genauso von Angebot und Nachfrage ab wie andere Preise auch. Nachts ist Strom billiger als tagsüber, am Wochenende billiger als unter der Woche. Wenn es kalt ist, ist der Strom teuer. Wenn viel Wind geht, ist der Strom billig. Sollte Olkiluoto 3 jemals ans Netz gehen, kostet der Strom gar nichts mehr. Man kann also allein aus der Wettervorhersage ziemlich genaue Schlüsse über die Strompreisentwicklung in den nächsten Tagen ziehen; manchmal ist es ein bisschen zeitversetzt zum Wetter bei uns, denn richtig billig wird der Strom immer erst dann, wenn der Sturm in Pohjanmaa, wo die meisten Windkraftanlagen stehen, angekommen ist.

Unser Geschirrspüler wäscht neuerdings üblicherweise zwischen eins und vier. (Wie gut, dass wir schon vor 16 Jahren in ein High-End-Modell investiert haben, das nahezu geräuschlos wäscht!) Hannelore, die so leise vor sich hinarbeitet, das man manchmal ins Bad schleichen muss, um zu gucken, ob sie noch da ist, haben wir endlich das „Ich bin fertig!“-Rufen abgewöhnt, damit sie uns nicht eine Viertelstunde vor dem Weckerklingeln weckt. 60- oder 90-Grad-Wäschen erledigen wir bevorzugt am Wochenende, was sowieso gut passt, da wir am Wochenende Handtücher wechseln und auch die Horthandtücher mit in die Waschmaschine kommen. Wir haben den backenden Kindern auch schon mal aufgetragen, noch eine Stunde zu warten, bevor sie den Backofen einschalten. Und wenn der Strom irgendwas unter 3 cent kostet, dann laden wir Václav voll und fahren die nächsten zwei Wochen mit gespeicherter Windkraft. (Gäbe es mehr Elektroautos, wäre das Stromspeicherproblem kein Problem mehr.)

Die Strompreisapp – die auch eine genaue Statistik der aktuellen Stromproduktion anzeigt – hat mir auch noch zwei weitere Dinge erhellt.

Erstens dachte ich bisher, in Finnland wäre der Anteil an Windkraft an der Gesamtstromproduktion vernachlässigbar. Völlig falsch. An sehr vielen Tagen übersteigt der Anteil der Windkraft den von Kernkraft ganz deutlich, und fast immer produzieren Wasser und Wind zusammen mehr Strom als unsere vier laufenden Kernkraftwerke.

Zweitens wurde hier zu Beginn des Winters sehr grosse Panik gemacht, dass es jetzt, wo Finnland keinen Strom mehr aus Russland kaufen kann – wir kaufen jetzt stattdessen hauptsächlich norwegischen Strom aus Wasserkraft und schwedischen Strom aus Kernkraft – zu Stromengpässen kommen könne. Tatsächlich kann Finnland oft ganz allein seinen Strombedarf decken, und zu den allermeisten Zeiten kommen nur zwischen 5 und 10 Prozent des aktuell zur Verfügung stehenden Stroms aus dem Ausland. (Worauf man auch noch leichtens verzichten könnte, würden mal ein paar Leuchtwerbetafeln abgeschaltet, das Konzept der Strassenbeleuchtung überdacht oder in Wintern wie diesen vielleicht einfach mal auf die Kunstschneeloipe verzichtet.)

Wäre jetzt ein Winter, wie er sein soll und wie er mir am liebsten ist, sähe das natürlich alles ein bisschen anders aus. Aber dass der mir so verhasste Sturm aus Südwest uns jetzt wenigstens billigen Strom beschert, ist gar nicht so schlecht.

9 Kommentare zu “Wie ich Sturm aus Südwest zu schätzen lernte

  1. Wie cool!
    Jetzt komme ich mir auch nicht mehr ganz so schräg vor wie sonst, wenn ich Leuten erkläre, dass wir erst ab 17 Uhr warmes Wasser haben 😅 Also wir haben eigentlich schon die ganze Zeit warmes Wasser, aber die Pumpe, die dafür sorgt, dass das warme Wasser sofort am Hahn rauskommt, die läuft halt nur, wenn wir auch wirklich zu Hause sind und es brauchen: Früh mal ein Stündchen und abends so 3-4h. So können wir auch die Vorhaltetemperatur den Großteil des Tages niedriger halten (altes Fachwerk-Mietshaus mit Gasheizung…). Unsere Gasnachzahlung beläuft sich trotzdem auf ein Monatsgehalt 😫

  2. Oh, ich hätte so was ja so gerne. Seit Jahren bin ich schon neidisch auf meinen Bruder, der viel Solar auf dem Haus seiner Praxis hat und via App dann bei Sonnenschein alles entsprechend anschmeisst oder nicht. Und seit dem letzten Sommer haben meine Eltern das auch. Wir dürfen ja nichts auf Dach machen, also wäre sowas sehr praktisch …
    Aber Baden-Württemberg hat immerhin (ich glaube seit dem letzten Jahr) eine App (https://www.stromgedacht.de), dir mir mitteilt, wann ich Strom verbuchen soll und was besser nicht.
    Heute zum Beispiel am besten nicht zwischen 11 und 13 Uhr, weil da die „innerdeutschen Kapazitäten des Stromnetzes nicht ausreichen, um den überschüssigen Windstrom in den Südwesten zu transportieren“ Damit das Netzt stabil bleibt und möglichst wenig konventionell erzeugte Energie zu hohem Preis dazu gekauft werden muss, soll man dann eben möglichst wenig Strom verbrauchen. Ist natürlich im Prinzip ein peinlicher Grund, aber immerhin etwas, was man tun kann.

    (zweiter Versuch, WordPress treibt mich in den Wahnsinn und behauptet, ich hätte den Kommentar schon abgeschickt …)

    • Ich habe vorher mal schnell geguckt, ob es sowas auch in Deutschland gibt, und es gibt wohl einen Anbieter, aber da braucht man dann eben auch noch die zusätzliche geeignete Hardware, während wir einfach wechseln konnten.

      Solarzellen hätten wir auch gern, aber da fehlt wieder das eigene Haus, und auf der letzten Mieterversammlung hiess es nur: „Nein, das ist nicht geplant“. (Und die Nachbarn schüttelten sowieso schon alle nur mit dem Kopf über unsere total verrückten Vorschläge, die Strassenbeleuchtung vielleicht nachts ein bisschen zu reduzieren oder die Laternen mit Bewegungsmeldern auszustatten oder wenigstens die uralten Glühbirnen durch LEDs zu ersetzen und den Dämmerungsschalter besser einzustellen. Ist viel zu billig, der Strom hier…!!!)

  3. Clever thinking! Ich habe es auch irgendwie geschafft, trotz 2 Jahren im Home Office, eine Rückzahlung zu bekommen.

  4. Also, wenn es hier einen 35 cent pro Kilowattstunde Tarif gäbe, könnten wir als fünf-Personen-Haushalt 192 Euro im Jahr sparen, hab ich spaßeshalber mal ausgerechnet.

  5. Kleiner Kommentar zu Strommengen:

    Im Jahres Durchschnitt (2022) produziert Kernenergie in Finnland mehr als doppelt soviel Strom wie Windenergie (man kann sich auf electricitymap die durchschnittlichen Jahres-Leistungen anzeigen lassen).

    Da Windkraft in FIN mittlerweile massiv ausgebaut wird, wird Wind in 2023 vermutlich Wasserkraft überholen und die zweitgrößte Stromquelle werden. Die schwankende Windkraft kann in FIN bis zu einem gewissen Punkt gut mit Wasserkraft / Importen / Demand side Management (Strom nutzen wen billig) ausgeglichen werden. Irgendwann wird Windkraft auch Atomstrom überholen (dann braucht es bessere Lösungen für Überschussstrom / Windschwankungen).

    Und: Wind weht in FIN durchschnittlich besser als in D (Ich hab Capacity factor FIN ca 30% vs D ca. 20% onshore im Kopf).

    Aber ich möchte auf gesicherte Leitung (Kernkraft, Wasser) nicht verzichten. Die ist bei Wind leider nahe Null Watt (ich hab auch in FIN schon einige Flautephasen bei electricitymap verfolgt). Auch dann will gekocht, gewaschen werden. Sommer 2021 hab ich noch einen flexiblem Stromtarif abgelehnt (Texas 2021 war mir eine Warnung, da schossen die Preise in astronomische Höhen wg hohen Verbrauch und Ausfällen bei Wind/Fossil). Hoffendlich gibt es bessere Angebote als 35ct, wenn mein unter 5ct Vertrag im Sommer 2023 ausläuft. Ansonsten muss ich mich auch an Verbrauch nach Wetterlage gewöhnen.

    P.S. Hängen die nicht abschaltbaren Badezimmer Heizkörper wirklich am Warmwasser Umlauf (=Trinkwasser) und nicht am Heizkreislauf? Das wäre mir neu (und erklärkt neben erzwungener Schimmel Vermeidung, warum man die nicht abschalten kann (was mich im Sommer immer ärgert, da sich meine Wohnung sehr stark aufheizt).

    • Wir gehen davon aus, weil der Zulauf über die dünnen Wasserrohre erfolgt und nicht über die dickeren Heizungsrohre und weil die Badheizung auch im Sommer knallheiss ist, wo uns die Fernwärme ansonsten einfach abgedreht wird.

Hinterlasse einen Kommentar