Als Deutsche*r darf man Bücher ja auf keinen Fall in den Müll ins Altpapier schmeissen. Wer das tut, dem drohen mindestens die sieben biblischen Plagen, wenn nicht gleich die Hölle. Könnte man meinen.
(Hierzulande stellt sich die Frage zumeist gar nicht, weil Bücher kein Statussymbol sind. Viele finnische Wohnzimmer sind völlig bücherfrei. Das heisst aber nicht, dass diese Leute keine Bücher lesen: wir haben Bibliotheken, die so gut sind und so rege genutzt werden, dass wir sicher auch Weltmeister im Bücherausleihen wären, wenn das mal jemand ausrechnen würde.)
Und so kommt es, dass sich bei uns auf Arbeit andauernd Bücher zweifelhaftester Qualität ansammeln.
Der Gedanke an sich ist ja ganz nett: wer seine deutschsprachigen Bücher nicht mehr braucht, bringt sie da hin, und wer gerne etwas Deutschsprachiges lesen möchte, leiht sie sich da aus oder kauft sie für einen symbolischen Preis von einem Euro. Nur: in der Stadtbibliothek gibt es viel mehr deutsche Bücher – allesamt neuer und besser als der Mist, den die Bibliothek auch als Spende aus gutem Grund nicht annimmt und der dannn lieber ins Bücherregal der Deutschen Gemeinde als ins Altpapier gebracht wird.
(Vor zwei Jahren haben wir radikal aussortiert und ungefähr eine Tonne Bücher ins Altpapier gebracht. Den Rest habe ich ordentlich ins Bücherregal einsortiert, so dass es mir jetzt sofort auffällt, wenn wieder jemand zehn zerfledderte Jugendbücher aus den 1970ern oder ein angenagtes Pappbilderbuch oder die Kafka-Gesamtausgabe in acht Bänden aus dem Jahr 1953 heimlich da abgelegt hat, so dass so eine Grossaktion hoffentlich nie wieder nötig sein wird.)
Neulich klingelte es, es wurde aber kein Hortkind abgeholt, sondern der besten Chefin, die an die Tür geeilt war, ein sehr altes Buch hereingereicht. Ich rollte mit den Augen und streckte die Hand aus, um es kurz zu inspizieren, bevor es ins Altpapier kommen würde. Es war dann aber „Max und Moritz“ in Frakturschrift, und deswegen durfte es sogar mit mir nach Hause kommen: ich möchte nämlich, dass die Kinder das lesen können.
Und so lesen wir jetzt abends vorm Schlafengehen reihum jeder einen Reim „Max und Moritz“. (Das Buch mag ja nicht mehr zeitgemäss sein, und die Kinder finden besonders die Geschichten, in denen Tiere zu Tode kommen, zu Recht fragwürdig, aber die Reime sind halt leider schon sehr, sehr lustig.)
Die Kinder sind erstaunt, dass es gar nicht so schwer ist, diese Schrift zu lesen, wie es vorher aussah. (Ich habe mir das als Kind selbst beigebracht, um „Die Familie Pfäffling“ lesen zu können: in einer Ausgabe, die einst meinem Uropa gehört hatte.) Und ich finde es sehr herzerwärmend, als Mutter von Teenagern nochmal diese Vorlesefehler zu hören, die nur Leseanfänger*innen machen.
(Die Vorschläge, Schreibschrift – die ja hier in der Schule nicht mehr gelehrt wird – oder Tippen-mit-zehn-Fingern zu lernen, sind bei den Kindern bisher leider auf weniger Gegenliebe gestossen.)
Donnerstag, 2. Februar 2023 um 14:15
Doch, ich bin absolute Bücherliebhaberin, werfe jetzt aber auch mal Bücher weg. Ich bin gerade beim Ausmisten des Bücherzimmers (auch Gästezimmer ;-) ) . Was ich bei Momox, Ebay oder nicht im öffentlichen Bücherschrank loswerde, kommt zum Recyclinghof. Dort gibt es auch ein paar Bücherfischer*innen. Frakturschrift lernen ist gar nicht so unwichtig. Mein Mann muss als Geologe auch oft in uralten Plänen suchen, z.T. mit handschriftlichen Bemerkungen.
Übrigens: ich fand es damals als Jugendliche auch toootal blöd Schreibmaschine zu lernen. Heute bin ich so froh darüber, wenn ich sehe, wie andere über ihren PC-Tastatur hängen. Das sollten sich deine Kids mal überlegen.
Liebe Grüße
Andrea
Freitag, 3. Februar 2023 um 08:37
Ich verstehe vor allem nicht, warum sie das nicht in der Schule lernen, wo hier ja doch von Anfang an digital gearbeitet wird und ab der 4. Klasse alle ein eigenes iPad und ab der 7. Klasse einen eigenen Laptop bekommen.
Donnerstag, 2. Februar 2023 um 15:57
Ach wie schön. Hier lesen wir auch Fraktur. Ich und Ehemann problemlos, die Kindern mehr oder weniger ‚lustig‘. Ich hatte als Kind ein Buch, das ich zeitdessen suche. Es war ein Abenteuer, erst mit Antikva gedruckt, dann, gerade als es spannend wurde, wechselten der Shcrift ins Fraktur um. Der erste Teil habe ich wie immer Ruck-zuck gelesen, der Rest aber dauerte den ganzen Abend. Und dann nächste Kapitel war’s genau so. Von dann ab ging’s immer einfacher, und ich hatte das Frakturlesen gelernt.
Eine Idee, probier mal den Kindern Deutsche Schrift als Geheimsprache beizubringen ;)
(Und wie immer bitte ich um Verzeihung für meine große Menge Fehler. Ich lese und verstehe Deutsch ohne jegliche Probleme, das Schreiben aber … geht zwar ohne Probleme, aber nicht ohne Fehler!!)
Freitag, 3. Februar 2023 um 08:41
Und wie immer: dein Deutsch ist super! Wirklich!
Donnerstag, 2. Februar 2023 um 20:50
Gibt es einen vernünftigen Grund, warum Schreibschrift nicht mehr gelehrt wird? Ich finde eine schöne Schrift wichtig, auch für die Motorik der Hände, außerdem ist sie ein Ausdruck der Persönlichkeit. Ich hatte vor kurzem ein Erlebnis als ich im Tabakshop ein Päckchen meiner Freundin abholen wollte: die junge Frau guckte stirnrunzelnd auf den handschriftlichen Adressaufkleber und fragte ihre Kollegin: Kannst du das lesen, das ist Schreibschrift? Wenn diese Kulturtechnik verloren ginge, fände ich das sehr schade.
Und vielen Dank für deinen interessanten Blog, die Fotos der finnischen Landschaft machen mich jedes Mal ganz sehnsüchtig.
Viele Grüße
Freitag, 3. Februar 2023 um 08:40
Es gibt sicher irgendeinen Grund, aber vernünftig ist der vermutlich nicht. Es ist nämlich genau so, wie du beobachtet ist: die Kinder können nicht mal die Briefe ihrer Grosseltern lesen. Und wenn man schon wegen zunehmender Digitalisierung der Meinung ist, Schreibschrift ist nicht mehr wichtig, dann müsste man wenigstens das Zehn-Finger-System lehren.
Freitag, 3. Februar 2023 um 10:09
Ja, entweder oder … am Liebsten beides!
Samstag, 4. Februar 2023 um 10:11
Oh ja, Bücher darf man nicht wegwerfen…oder womöglich damit basteln. Wir haben uns auch widersetzt. In den öffentlichen Bücherschrank kamen nur solche, die noch lesenswert sind. Komische olle Schinken und veraltete Fachbücher durften in die blaue Tonne (Papier). Und ich kann total verstehen, dass die Bibliotheken nicht den alten Kram annehmen.
Sonntag, 5. Februar 2023 um 18:52
Wir müssen in der Bibliothek verschliessbare Abfallmulden bestellen, wenn wir grosses Ausmisten planen, denn der Aufschrei der Vorübergehenden ist jedes Mal riesig. Bücher wegwerfen! Sakrileg! (Komischerweise wollen sie die Bücher aber auch nicht übernehmen. Und meistens sind es Menschen, die ich noch nie in der Bibliothek drinnen gesehen habe…)
Wenn wir die Mulden gewissermassen „heimlich“ befüllen und jedes Mal sofort wieder verschliessen, damit keiner reingucken kann, vermeiden wir diese Diskussionen.
Dienstag, 7. Februar 2023 um 10:04
Danke für dieses plakative Beispiel! :D
(Insbesondere gefiel mir: „Komischerweise wollen sie die Bücher aber auch nicht übernehmen.“ Bei uns heisst es immer, wenn uns Bücher vorbeigebracht werden: „Das Buch ist mir eine ganz wichtige Erinnerung.“ Hm.)
Sonntag, 5. Februar 2023 um 19:51
Diese schöne alte Schrift….
Ich habe noch ein altes Gesangbuch in Besitz, Bücher, die ich von den Eltern „geerbt“ habe, wahre Schätze.
Familie Pfäffling:
Ganz, ganz dumpf erinnere ich mich an eine Geschichte, die ich in meiner Jugend gelesen haben muss: „Wie die Familie Pfäffling Weihnachten feiert“. Es ist aber vor allem die Linsensuppe, die es an Heiligabend gab, die mir im Gedächtnis geblieben ist… oder irre ich mich damit?
Es ist schon seltsam, dass die Schüler nicht im „10-Finger-blind“ unterrichtet werden. Ich lernte es noch in der Schule und bin dafür ausgesprochen dankbar.
Schreibschrift ist eine wunderbare Übung zur Feinmotorik. Und außerdem bestens für feine Geburtstagswünsche auf hübschen Karten geeignet… oder für den Taschenkalender, sofern man auch den noch in Gebrauch hat und nicht alles nur im Telefon oder Notebook notiert…
Donnerstag, 9. Februar 2023 um 10:05
Bücher wegwerfen… Schande über unser aller Haupt. Hier gibt es einen offenen Bücherschrank sowie diverse Gartenmauern oder Stromkästen wo wir Dinge ablegen, die ein anderer bestimmt gebrauchen kann. Fraktur wird heute leider nicht mehr gelehrt genau wie Sütterlin. Dabei finde ich es wichtig auch diese Dinge mal gesehen zu haben.
Liebe Grüsse Susi