Die finnische ehemalige Mitdoktorandin, die seit vier Jahren in Berlin lebt und sich – wie das in der Wissenschaft leider so üblich ist – von einer befristeten Postdocstelle zur nächsten hangelt, berichtete gestern, sie würde sich gerne auf eine von der Freien Universität ausgeschriebene Stelle bewerben. Sie erfülle auch alle Kriterien – bis auf jenes, noch nicht länger als zwölf Monate in Deutschland zu leben. Und nein, sie brauche das auch gar nicht erst zu versuchen, sie wisse aus früherer Erfahrung, dass man da sehr streng sei mit diesen Zeiträumen.
Musste ich auch wieder an den albanischen Freund denken, der nach sieben Jahren als Wissenschaftler in Deutschland, als das Forschungsprojekt auslief und seine Finanzierung kippte, als Nicht-EU-Bürger weder Anspruch auf Arbeitslosengeld noch überhaupt ein Bleiberecht hatte und samt seiner Familie – auch zwei in Deutschland geborenen und eingeschulten Kindern – Deutschland schnellstmöglich zu verlassen hatte.
Klar. Deutschland kann die finnische Wissenschaftlerin und den albanischen Dozenten gut gebrauchen. Und natürlich auch die bulgarische Klofrau an der Autobahnraststätte, die über die Weihnachtsfeiertage arbeitet und seufzend vom Schwarzen Meer erzählt.
Solange sie arbeiten und Steuern zahlen. Aber bevor man ihnen eventuell Arbeitslosengeld, Elterngeld oder gar Rente zahlen muss, sollen sie Deutschland bitte wieder verlassen haben.
Oder wie soll man das verstehen?!
Dienstag, 27. Januar 2015 um 12:02
Der albanische Wissenschaftler hat aber doch sieben Jahre lang ganz normal Steuern und Sozialabgaben bezahlt. Und dann darf er nicht bleiben? Und wieso gilt die Berufsfreiheit nicht für die finnische Wissenschaftlerin? Sehr seltsam, das alles. Und, wenn es so stimmt, unbegreiflich.
Dienstag, 27. Januar 2015 um 13:19
Ja, so hatten wir das damals auch gedacht – wer sieben Jahre lang Steuern gezahlt hat, hat ja wohl Anspruch auf Arbeitslosengeld (und auf ein Bleiberecht sowieso) – aber sogar die deutschen Kollegen, die extra nochmal konkret auf diversen Ämtern nachgefragt und sich für ihn eingesetzt hatten, wurden beschieden: Nein. Keine Chance.
Ich finde das nicht nur seltsam, ich finde das… *ichregmichnichtaufichregmichnichtaufichregmichnichtauf*
Dienstag, 27. Januar 2015 um 15:41
Ging hier einem ukrainischen Kollegen genausa. Dabei hatte er sich, als er sein Land verließ, noch die Länder raussuchen können und Deutschland gewählt, weil das am Nahesten an seiner Heimat lag (alte Mutter, die er doch in und wieder besuchen wollte). Inzwischen war seine Mutter versorben. Siene Frau, ebenfalls Wissenschaftlerin, hat gekündigt und die beiden sind in die USA gegangen. Zu verstehen gibt es da ÜBERHAUPT nichts!
Dienstag, 27. Januar 2015 um 15:50
Unbegreiflich.
Dienstag, 27. Januar 2015 um 15:42
Ach Mensch, kannst mal korrigieren? Das ist ja peinlich (wahrscheinlich zu viele Legida gelesen heute)
Dienstag, 27. Januar 2015 um 17:30
Also über die Personalpolitik der Uni könnte ich mich auch stundenlang auslassen (natürlich in Zusammenhang mit der deutschen Arbeits- und Sozialpolitik!): anstatt froh zu sein, wenn sich in- und ausländische Wissenschaftler entschließen, eine Hochschulkarriere anzustreben, werden sie systematisch durch Maßnahmen, wie Du sie beschreibst oder durch Kettenverträge am laufenden Band (z.T. jährlich zu erneuern), die keine Planungssicherheit erlauben, in die Industrie oder ins Ausland vertrieben. Und da rede ich noch nicht von Möglichkeiten der Kinderbetreuung usw usf.; momentan werden bei uns wissenschaftliche Mitarbeiterstellen für 6 Monate gesperrt und für das „Fußvolk“ sogar für ein Jahr. *einatmenausatmeneinatmenausatmen*
Dienstag, 27. Januar 2015 um 20:30
Soweit ich informiert bin ist das in anderen Ländern ganz genauso.
Darüber hinaus hätte er seinen Status auch 7 Jahre lang klären können-dafür gibt es dementsprechende Beratungsstellen und Möglichkeiten .
Mittwoch, 28. Januar 2015 um 01:30
Ist halt immer die Frage, ob die Möglichkeiten ausreichen. Und was ist in anderen Ländern genauso? Die Mistverträge an der Uni? Bestimmt nicht, in Großbritannien gibt es beispielsweise Dauerstellen auch für Nichtprofessoren.
Mittwoch, 28. Januar 2015 um 09:18
Danke fürs Antworten!
(Ich wäre einer so freundlichen Antwort nicht fähig gewesen.)
Mittwoch, 28. Januar 2015 um 22:20
War dieser Kommentar auf meine Aussage bezogen Karen?
Mittwoch, 28. Januar 2015 um 22:16
Wenn Projekte auslaufen dass die Leute das Land verlassen müssen.das ist nicht nur in Deutschland so.
Dienstag, 27. Januar 2015 um 20:53
.
Mittwoch, 28. Januar 2015 um 22:15
das ist eine bodenlose unverschämtheit – ganz besonders, da es parallel läuft mit den schönen reden unserer frau m. ge-brauchen kann man diese menschen, benutzen. und dann wegwerfen, sozusagen.
(habt ihr denn einen gesicherten status in f?)
allesliebe!
Donnerstag, 29. Januar 2015 um 09:17
Naja, was heisst schon „gesichert“ … aber wir werden jedenfalls nicht gezwungen sein, das Land zu verlassen. (Schon deswegen nicht, weil wir mittlerweile die finnische Staatsbürgerschaft beantragen könnten.)
In meinem Fall ist das alles ein bisschen ungünstig, weil ich seit Jahren nur Stipendien bekomme statt eines sozialversicherungspflichtigen Gehalts – und dann eben sämtliche Sozialleistungen eher dünn ausfallen.
ABER – und das ist einer der Gründe, warum ich eigentlich nie wieder zurück nach Deutschland will – wenn ich hier arbeitslos werde, dann bekomme ich diesen Minimalbetrag anstandslos gezahlt. Ohne, dass ich dafür sämtliche Konten offenlegen , das Geld in meinem Portemonnaie auf den Tisch zählen, mich pro forma auf zehn Stellen (von denen ja doch keine einzige passende ausgeschrieben ist) pro Monat bewerben und die Sozialamtsleute meine Wohnung besichtigen lassen muss, damit sie prüfen können, ob ich mit dem Mann, der unter der gleichen Adresse gemeldet ist und mit dem ich NICHT verheiratet bin, nur eine WG oder doch einen gemeinsamen Haushalt führe (und man vielleicht doch ihn verpflichten kann, statt des Staats für meinen Unterhalt aufzukommen!).
Ich habe das genau so erlebt, als ich nach dem Studium für ein paar Monate das, was damals noch „Sozialhilfe“ hiess, beantragen musste – und nach allem, was ich deutschen Zeitungen so entnehmen kann, ist das Ganze, seit es „Hartz IV“ heisst, eher noch entwürdigender geworden.
Hier in Finnland kann man auch besser leben, wenn man ein gutes Einkommen hat, als wenn man eher bedürftig ist. Aber man wird nicht wie der letzte Dreck behandelt, wenn man (finanzielle) Hilfe braucht.
Donnerstag, 29. Januar 2015 um 09:42
Darf ich mal fragen wie das mit Rente in Finnland ist? Wird da wenigstens irgendwo eingezahlt und wie ist das wenn Ihr doch zurück müsstet? Hier ist das ja mittlerweile so, dass ich als Selbsständige eine Arbeitslosenversicherung habe und im Notfall (keiner in Aussicht :-)) auch immer wieder eine Krankenversicherung bekommen würde. Gab es ja vor 10 Jahren auch nicht. Ich kenne Leute die sind mit ihren Firmen den Bach runter gegangen und haben keinen Anspruch auf nichts gehabt …. da es ja keine Versicherung gab.
Donnerstag, 29. Januar 2015 um 10:16
Für den Ähämann und die zwei Jahre, in denen ich auch ein richtiges Gehalt hatte, ist das genauso wie in Deutschland. Seit ein paar Jahren werden aber endlich auch Stipendien für die Rente angerechnet. (Man muss sich dazu bei einer extra Versicherung anmelden, und mir flattert dann alle drei Monate eine Rechnung über 1500 € ins Haus, aber immerhin…)
Unsere Rente dürfen wir uns dann später aus allen Ländern, in denen wir gearbeitet haben, zusammensammeln…
Donnerstag, 29. Januar 2015 um 14:16
Alle 3 Monate 1500 €? Das ist ja mal ordentlich.
Donnerstag, 29. Januar 2015 um 14:20
Das ist insofern ok, als ich „netto“ genausoviel raus kriege wie der Ähämann mit seinem Gehalt, wo alle Sozialversicherungen gleich automatisch abgezogen werden…
Donnerstag, 29. Januar 2015 um 07:10
Da geht´s den Nichtdeutschen wie den Deutsch (nur die haben zumindest Anspruch auf Sozialleistungen). Kenne viele die nach ihren 6 Jahren defacto „Berufsverbot“ haben und richtig gut ausgebildet die Heimat verlassen um in ihren Beruf arbeiten zu können. Beschämend, wenn man überlegt wieviele Gelder der Staat in die Ausbildung steckt.
Kenne leider auch einige NichtDeutsche die ohne Bezahlung ihre Doktorarbeit hier schreiben, leider auch ohne Anspruch auf irgendwas, DAS ist richtig mies.
Das System hinkt, aber solange sich die Spitze auf die Schulter klopft, ist zumindest oben alles in Ordnung.
Donnerstag, 5. Februar 2015 um 20:27
Danke Karen.
Ja, es ist ungerecht und fies. Besonders, dass Nicht-EU-Bürger sofort ihr Aufenthaltsrecht drangeben, wenn der Vertrag zu Ende ist. Und nein, das ist nicht in allen Ländern so, werte Kerstin.
Auch die Art und Weise der deutschen Debatte mit „guten und schlechten“ Ausländern ist widerwärtig. Soso, dann entscheidet heutzutage meine Religion ob ich mich integrieren kann….. ein Schelm wer Böses dabei denkt
Inzwischen sollte sich das mit dem Bleiberecht für einige (hoffentlich nicht nur wenige) verbessert haben aufgrund der EU-Richtlinie für „longterm residents“ (das deutsche Wort ist so ein Ungetüm)
Hier das Gesetz: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32003L0109:DE:NOT
Und hier die Info:
http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_movement_of_persons_asylum_immigration/l23034_de.htm
Aber für den Albaner und seine Familie ist das zu spät.
Die EU arbeitet auch an Regeln für Wissenschaflter…. aber die Mitgliedsstaaten behalten sich immer noch vor, wem sie das zukommen lassen.