Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Windstärke 7

Am Ostersonntagnachmittag, als der Wind mit 15 m/s vom offenen Meer her pfiff, gingen der Ähämann, der kleine Herr Maus und ich auf die äusserste südwestliche Landzunge Utös, legten uns, um nicht umgepustet zu werden, flach auf die Felsen und bestaunten die riesigen Wellen, die sich an der felsigen Landzunge, auf der wir am Tag vorher noch herumgeklettert waren, brachen.

Seit ich nicht mehr mit einer Nussschale dort draussen unterwegs sein muss, kann ich mich uneingeschränkt über dieses Schauspiel freuen.


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Lieblingsinsel

Ich habe ein sehr sentimentales Verhältnis zu Utö, diesem winzigen, südlichsten Aussenposten Finnlands.

Das erste Mal war ich im April 2004 da, als ich zum allerersten Mal auf den ganz kleinen Schären da draussen Mäusefangen war für meine Doktorarbeit.

Utö war das komfortabelste unserer vier Basislager. Auf Utö gab es Strom. Einen winzigen Laden, der zwar jeden Tag nur ein, zwei Stunden geöffnet hatte, in dem man aber nach einer Woche Tütennudeln und Wasser aus dem Kanister so Luxusgüter wie frisches Obst, Saft und Brot erstehen konnte. Eine Fähre, die uns einmal eine Seekarte brachte, die der Bürokollege nachgeschickt hatte, ein andermal einen leeren Benzinkanister zur Tankstelle zwei Stunden weiter mitnahm und ihn uns am nächsten Tag gefüllt zurückbrachte, und die mir in Sturm und Nebel vor allem das beruhigende Gefühl gab, uns zur Not heimbringen zu können. Und einen Leuchtturm, den ich von Anfang an als Symbol für das Gefühl des Geborgenseins, das ich auf dieser Insel hatte, empfand.

Zwei meiner Bootfahrer Feldassistenten hatten ihren Wehrdienst auf Utö abgeleistet und versorgten mich mit Fakten und Anekdoten über Utö und das äussere Schärenmeer. Einer stand mit den Lotsen auf gutem Fuss – vielleicht auch deshalb, weil er sich mit ihnen auf Schwedisch über alles Mögliche unterhielt – weswegen wir die Sauna in der Lotsenstation benutzen durften. Der andere war mit der Lehrerin und ihrem Mann befreundet, weswegen wir in Finnlands kleinster Schule duschen und manchmal auch, wenn unser Hüttchen von Vogelguckern belegt war, im Klassenzimmer schlafen durften.

Als ich zum ersten Mal auf Utö war, war dort noch die finnische Armee aktiv und man konnte nur ca. ein Drittel der Insel betreten. Die jeweils wachhabenden Wehrdienstleistenden fuhren immer mit dem Fahrrad von der Kaserne zum Wachturm an unserem Hüttchen vorbei und winkten uns freundlich zu. Wenn wir mit unserem kleinen Motorboot in den Hafen einfuhren, mussten wir zwei monströse Kanonen passieren. Seit die Armee die Insel vor 15 Jahren verlassen hat, darf man fast überall hin, und die Kanonen stehen nur noch für alle Fälle, abgedeckt und die Kanonenrohre nicht mehr drohend aufs Meer gerichtet, auf ein paar der höchsten Felsen.

Den Vogelguckern, die lieber auf die Nachbarinsel Jurmo fahren, ist Utö zu zivilisiert. Den typischen Touristen bietet Utö vermutlich zu wenige Attraktionen. (Und auch zu wenig Unterkunftsmöglichkeiten.)

Aber wir fanden, es war allerhöchste Zeit – fünf Jahre, ha! – mal wieder hinzufahren.

Wir haben auf Utö das sonnigste Ostern seit Jahren erlebt. Wir sind über Felsen geklettert, haben uns den Wind um die Ohren pusten lassen, haben dem Meeresrauschen zugehört und am Ostersonntagnachmittag riesige Wellen bestaunt. Der kleine Herr Maus ist fast immer, wenn ein Lotsenboot hinausfuhr oder zurückkam, auf den Steg gerannt und wäre am liebsten mal mitgefahren. Die Kinder haben sich gegenseitig im Milchwägelchen – das Transportmittel auf der autofreien Insel für Einkäufe, Gepäck oder eben Kinder – spazierengefahren. Wir haben Ostereier zwischen Felsen und Wacholder gesucht. Wir haben zum ersten Mal in diesem Jahr auf der Terrasse gefrühstückt (und nicht gefroren dabei). Und jeden Abend sind wir noch einmal zum Leuchtturm hinaufgestiegen, um seine funkelnde Linse zu bestaunen und seine vier dicken Lichtarme über uns hinwegziehen zu lassen.

Es ist schon wirklich sehr, sehr schön da.


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Statt Kreuzfahrt

Auch 2021 wird wohl ein Jahr der beim Schopfe gepackten Gelegenheiten werden.

Sonntagabend überlegten der Ähämann und ich, ob wir nicht doch über Ostern irgendwohin fahren sollten. Nur wohin? In Finnland bleibt einem über Ostern eigentlich nur, nach Lappland zu fahren und dort die Skisaison zu beenden, oder im Süden zu bleiben, wo es mit viel Glück wenigstens ein bisschen frühlingshaft ist.

(Tartu steht seit vielen Jahren auf dem Plan. Erst konnten wir jahrelang über Ostern nicht verreisen, weil das immer mitten in des Fräulein Maus‘ Wettkampfsaison lag. Jetzt wäre schon das zweite Ostern, an dem wir könnten. Und wieder nicht können.)

Sonntagnacht schickten wir eine Anfrage nach Utö, ohne uns allzugrosse Hoffnungen zu machen. Montagfrüh bekam ich einen Anruf, jemand hätte wegen Corona seine Mökkibuchung abgesagt, ob wir interessiert wären. Montagmittag hatte ich mehrere Telefonate geführt und ein Mökki auf Utö gebucht.

Es gab nur noch ein Problem. Wir mussten auch hinkommen.

Nach Utö kommt man, wenn man kein eigenes Boot hat, mit einer Schärenfähre. Die fährt etwa alle zweieinhalb Tage. Über Ostern war der Fahrplan so geändert worden, dass sie statt Freitagabend schon Gründonnerstagabend vom Festland nach Utö fahren würde, und statt Sonntag- erst Montagmittag zurück. Das Problem war diesmal, überhaupt mitgenommen zu werden, denn wegen Corona dürfen die Fähren zur Zeit nur die Hälfte der Passagiere mitnehmen. Ich verliess am Donnerstag zum frühestmöglichen Zeitpunkt hastig meine Arbeit. Den kleinen Herrn Maus liessen wir für die letzte Schulstunde freistellen. Das Fräulein Maus absolvierte ihre letzte Schulstunde – Distanzunterricht macht’s möglich! – im Auto.

So richtig auf Utö vorfreuen konnten wir uns aber erst, als wir, anderthalb Stunden vor Abfahrt, im Hafen fünf „Eintrittskarten“ – Tickets gibt es nicht, weil die Schärenfähren – wir zahlen gern Steuern! – kostenlos sind; im Voraus Plätze reservieren durfte man auch nicht – für „Baldur“, die isländische Fähre, die nun schon seit vielen Jahren ihren Dienst statt in der Gröndlandsee in unserem Schärenmeer tut, in die Hand gedrückt bekommen hatten.

Schärenfähre fahren ist das Schönste, was man hier draussen machen kann. Die Fahrt vom Festland nach Utö dauert sechs Stunden, und unterwegs legt die Fähre an vier anderen ganzjährig bewohnten Inseln an. Die Bewohner warten auf Post und Zeitung, die kleinen Inselläden bekommen ihre Waren mit der Fähre geliefert, auf Aspö wurde abends halb zehn eine grössere Menge Baumaterial abgeladen.

Es ist keine Kreuzfahrt. Aber es ist so viel schöner als jede Kreuzfahrt.

Suchbild: Wo ist die „Grace“?

Kurz vor Mitternacht kamen wir auf Utö an. Die Strassenlaternen waren schon ausgeschaltet. Aber der Leuchtturm leuchtete uns den Weg.

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Zehn Stunden Schärenrundfahrt (April 2005)
Übers vereiste Meer nach Utö (März 2010)


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Das Meer voller Boote. In Paraisten Portti das 95er Benzin restlos ausverkauft. In Kasnäs Rekordzeittanken, weil der nächste in der Warteschlange schon drängelt. Auf Utö kaum einen Liegeplatz fürs Boot gefunden, weil der Steg lückenlos mit Segelbooten besetzt ist. Der Utöer kauppa hat täglich ((!) von 9:00 bis mindestens 16:00 Uhr geöffnet (zum Vergleich: von August bis Juni von Dienstag bis Freitag jeweils 14:00 bis 16:00 Uhr).

Juli in Finnland!

(Aber den freien Computer, den ich mir im Nettipiste ergattert habe, gebe ich nicht so schnell wieder her. Denn bitte – ICH arbeite schliesslich, während die anderen alle im Urlaub sind!)


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Natürlich wollten wir noch gar nicht vorgestern zurückkommen. Natürlich hat uns mal wieder das Wetter dazu gezwungen.

Dabei haben wir diesmal richtiges Glück gehabt. Nicht, dass alles reibungslos geklappt hätte, dass wir pausenlos schönes Wetter gehabt hätten. Aber es ist immer noch gerade rechtzeitig schön geworden.

Freitagnachmittag auf Utö z.B. war mir ganz flau im Magen. Weil wir die Fallen zuhatten und sie nachmittags nochmal kontrollieren und dabei einsammeln wollten. Um drei wollten wir los, und halb drei war auf einmal vor lauter Nebel keine 100 m weit mehr zu sehen. Und wir warteten und warteten… und wir konnten ja nicht ewig warten, irgendwann wird es ja auch dunkel, und das ist für unser Boot genausowenig geeignet wie Nebel. Aber die Mäuse in den Fallen lassen? Die wären doch am nächsten Morgen fast alle tot gewesen! Mensch, war mir schlecht. Wir haben hin und her gerechnet, wann wir spätestens losfahren müssen, wenn wir nichts weiter machen – die Mäuse nicht wiegen, neue Mäuse nicht markieren – als die Fallen auf und die Mäuse freilassen, und sind auf nicht später als um sechs gekommen. Dreiviertel sechs zog es sich wieder auf, wir nichts wie los und die Fallen aufgemacht und reingeholt. Puh!
Auch in der Nacht vorher war es schon recht neblig gewesen. Nach so einer Nebelnacht – William hat mir erklärt, dann landen auf Utö nicht nur die schwächlichen Vögel, sondern alle Zugvögel sind ein bisschen orientierungslos und werden vom Leuchtturm angelockt – fühlt sich die Insel an wie eine grosse Vogelvoliere. Überall piepst und flattert es, und man kann keinen Schritt tun ohne zehn bis zwanzig Vögel aufzuscheuchen.

Samstag sind wir bei schönstem Sonnenschein nach Vänö umgezogen. Mit Zwischenstopp in Kasnäs, weil wir tanken mussten und ausserdem den Liebsten abholen, der mich für das Wochenende besuchen gekommen ist. Kaum waren wir von Kasnäs wieder Richtung offenes Meer gestartet – bei strahlender Sonne – wollte ich meinen Augen nicht trauen: da vorn sind doch normalerweise Vänö und andere Inseln zu sehen, nicht nur offenes Meer bis zum Horizont? Eine Minute später wusste ich, warum das so komisch aussah: da befanden wir uns mitten im Nebel. In so seltsamem Nebel, wie wir ihn auch letztes Jahr schon erlebt haben, der einen keine 100 m weit geradeaus sehen lässt, aber den blauen Himmel, und in den die Sonne hineinscheint. So ein bisschen wie beim Fliegen, wenn man gerade aus den Wolken herauskommt. Wir also zurück nach Kasnäs, Kaffee getrunken, Eis gegessen, nach zwei Stunden nochmal versucht. Diesmal waren wir fast sofort im Nebel, als wir aus dem Schutz der Hauptinsel herauskamen (wo immer noch die Sonne schien, versteht sich). Mist. Wieder zurück. Und wir wollten doch noch die Fallen auf die Inseln bringen am gleichen Nachmittag! Als wir uns nach zwei Minuten nochmal umblickten, war auf einmal Vänö wieder zu sehen. Also nichts wie wenden und hin, an Vänö vorbei zu unserer Campsite-Insel Stora Buskär, Klamotten aus dem Boot schmeissen und Fallen rausbringen. Puh! Wieder Glück gehabt.
Die nächsten zwei Tage waren unglaublich warm und sonnig und fast windstill, und das Fangen hat Spass gemacht. (Ich hasse es, nasse Mäuse zu handeln, am allermeisten deshalb, weil es ihnen ja selbst nicht guttut). Der Liebste hat uns tatkräftig geholfen, so dass wir ganz schnell waren, ausserdem hat er frisches Obst mitgebracht und Saft und Limo, was’n luxuriöses Leben!

Am Dienstag wollten wir umziehen nach Trunsö, aber schon in der Nacht war es ziemlich stürmisch gewesen, und am Vormittag war nicht daran zu denken. Wir warteten also bis zur Wettervorhersage um 11:50 Uhr, aber die klang auch nicht wirklich vielversprechend, so dass wir beschlossen, dass Umziehen nach Trunsö um einen Tag zu verschieben, falls es nicht noch schlimmer kommen sollte… Mittlerweile hatte William noch ein paar Anrufe bekommen:“Du weisst aber, dass eine Kaltfront kommen soll und es wirklich kalt werden soll, vielleicht sogar schneien? Wollt ihr nicht lieber zurück nach Turku kommen?“ Nein, wollten wir nicht. Oder doch wenigstens den nächsten Seewetterbericht um 18:50 Uhr abwarten. Der sagte uns dann, dass es zumindest Mittwoch UND Donnerstag nichts werden würde mit arbeiten, und da ich ungern untätig auf einer Insel festsitze und sowieso das Wichtigste getan war, fiel die Entscheidung nicht schwer:“Zurück nach Turku!“ Ich dachte freilich an mittwochfrüh zurück nach Turku, aber William meinte, wenn wir sofort losführen, könnten wir es bis zum Einbruch der Dunkelheit noch schaffen nach Turku, und ausserdem könne es sehr wohl sein, dass der Wind bis morgen früh so stark zugenommen hat, dass wir gar nicht mehr wegkommen. Zwei Minuten Bedenkzeit. „Let’s go NOW!

Okay, Zeit läuft. Es ist 19:02 Uhr. Sonnenuntergang ist 21:01 Uhr. Nicht, dass das unser erster überstürzter Aufbruch von Stora Buskär wäre. Keine Frage, dass sowieso nach dem letzten Sommer und dieser Woche jeder Handgriff sitzt. 19:25 Uhr ist unsere Hütte aufgeräumt, ist der Liebste angerufen, dass er uns halb zehn von Hirvensalo abholen soll, sind alle Sachen in wasserdichten Müllbeuteln im Boot, sind wir verpackt in mehrere Lagen Kleidung plus Überlebensanzug. Und los! Fünf Minuten können wir volle Geschwindigkeit fahren, dann sind wir auf dem Stück offenen Meeres vor Kasnäs, und ja, der Wind hat sich doch schon zu einem ordentlichen Sturm ausgewachsen, die Wellen sind RIESIG, jede verpasst uns eine Salzwasserdusche. Kein Gedanke an schnell fahren. Hauptsache wir kommen da überhaupt noch irgendwie durch. William macht das. Er macht das prima. Nach unendlich langer Zeit sind wir endlich in der Hafeneinfahrt nach Kasnäs. Dort ist’s ruhiger, dort geht’s schneller. „Kannst du die Seekarte umblättern während ich fahre? Damit es schneller geht?“ Klar, kann ich. „703.“ Handschuhe aus, Karte aus der Hülle gezerrt, Hülle zwischen die Knie geklemmt, dass sie bloss nicht fortfliegt, mühsam gegen den Wind die Karte umgeblättert, wieder in die Hülle gefriemelt, zurückgereicht, die gefühllosen Hände wieder in die Handschuhe gestopft. „704.“ Gleiche Prozedur. Wumm. Wumm. Aha, hier sind die Wellen wieder höher. Egal. Festhalten, locker bleiben, Zähne nicht zusammenbeissen, dann tut’s auch nicht weh, und durch. Zeit für Bequemlichkeitsspirenzchen haben wir jetzt nämlich nicht. Zwischendurch noch schnell die Ladung umsortiert, weil der Wind das Boot unheimlich nach der einen Seite drückt. Endlich! Paraisten Portti! 20:50 Uhr. Die Sonne ist schon hinter den Bäumen der grösseren Inseln verschwunden. Geschwindigkeitsbegrenzung? Ach was. Ist ja eh noch keiner hier um diese Jahreszeit. Licht einschalten. „708.“ Nun muss man schon ganz schön gucken nach den Seezeichen. Die ersten Minileuchttürme fangen an zu blinkern, rot oder grün. Kalt wird’s auch langsam, trotz der vielen Sachen. Endlich! Die Fähre zwischen Parainen und Nauvo! 21:10 Uhr! Von hier geht’s auch ohne Seekarte. Aber hier sind auch die Wellen wieder höher. Dann taucht die Beleuchtung des Hafens von Naantali auf. Dann das „Zieltor“ – der Kran der Raisioer Werft, auf den wir immer lange Zeit zufahren müssen. Dann kommt uns die „Isabella“ von Viking Line entgegen, beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Wir mit unserem rot-grünen Buglämpchen und dem kleinen weissen Hecklicht kommen uns so winzig vor dagegen. Und Radar haben wir auch nicht. Und es ist schon so finster. Und jetzt müssen wir auch nochmal fast anhalten um die Bugwellen der „Isabella“ gefahrlos zu passieren. Es ist 21:20 Uhr. Und nicht mehr weit. Als wir in die Bucht nach Hirvensalo einbiegen, fängt das Mondlicht gerade an zu leuchten. 21:40 Uhr sind wir da, das einzige Boot am Steg (Wer bitte fährt auch schon im April draussen rum?!), sogar unsere Leiter müssen wir erst ins Wasser stellen, die liegt noch winterfest auf dem Steg.
Angekommen. Im letzten blauen Licht. Was haben wir da eigentlich gerade gemacht die letzten zweieinhalb Stunden? “What a trip!“ *nick* „You are hero! Really! Thank you so much!“ Dann fallen wir geschafft und eher sprachlos ins Auto.