Suomalainen Päiväkirja

Live aus Turku


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Eismeer statt Mittelmeer

Das Fräulein Maus ist diese Woche auf Klassenfahrt in Lappland.

Auch wenn die Kinder hier vergleichsweise leicht durch die letzten zwei Jahre gekommen sind, haben sie doch alle auf etliches verzichten müssen. Der grosse Herr Maus auf eine feierliche Verabschiedung aus der Grundschule. Der kleine Herr Maus auf eine Reise nach München zu „1, 2 oder 3“. Am schlimmsten hat es vielleicht das Fräulein Maus getroffen, die ja auf eine Musikklasse in einer wirklich engagierten Schule geht: Der Ausflug in die Oper nach Helsinki im letzten Jahr – wegen Corona gestrichen. Der Schüleraustausch in der 8. Klasse mit der Partnerschule in Celle – wegen Corona gestrichen. Die Chorreise nach Italien in der 9. Klasse – wegen Corona gestrichen.

Damit die Chorreise nicht ganz ausfallen musste, fuhr man statt nach Süden nach Norden. So weit weg, wie man von Turku im Inland nur fahren kann, und das sind immerhin über 1000 km. Luftlinie.

Italien wäre sicher ein tolleres Reiseziel gewesen. Und für Lappland hätte es sicher bessere Zeitpunkte gegeben: während es in Turku diese Woche endlich warm ein bisschen wärmer und grün geworden ist, sind in Lappland 3°C und die Seen noch zugefroren, im Wald liegen letzte Schneereste, die Tunturis haben noch weisse Decken umgehängt und auf dem Teno treiben gewaltige Eisschollen. Aber Abenteuer ist Abenteuer.

Sie fuhren mit dem Nachtzug. Sie schliefen bei Gastfamilien in Oulu und in dem Hotel in Inari. Sie sangen auf einem grossen Konzert in Oulu, in Schulen in Ivalo und Inari, und vielleicht am allerschönsten nur für sich neben einer gewaltigen, rauschenden Stromschnelle. (Die Chorleiterin schickt regelmässig Videos.) Gestern sangen sie live bei Yle Sámi (ab ca. 1:38:05), dem samischsprachigen öffentlich-rechtlichen Radio Finnlands, das sein Studio in Inari hat.

Und für ein paar Stunden kamen sie doch noch ins Ausland: sie fuhren nach Norwegen und gingen am Eismeer Muscheln sammeln.


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Bei der Schneekönigin

Als wir in Lappland ankamen, schien die Sonne kroch die Sonne genau zwei Stunden am Tag am Horizont entlang: von 11:15 Uhr bis 13:15 Uhr.

Wir wussten, worauf wir uns eingelassen hatten. Im Januar 2000 waren der Ähämann und ich extra nach Inari gefahren, um zu erleben, wie das ist, wenn die Sonne den ganzen Tag nicht aufgeht. Ich weiss gar nicht mehr so recht, was wir erwartet hatten. Stockdunkle Nacht, vermutlich. Stattdessen erlebten wir, dass es unerwartet hell wird, wenn die Sonne zwar nicht aufgeht, aber knapp unterm Horizont entlangkriecht. Dass es unerwartet lange vor Sonnenauf- und lange nach Sonnenuntergang noch hell ist. Keine graue Dämmerung, sondern leuchtendes Zwielicht, das die weisse Schneelandschaft in ein rosa Zuckerwatteland unter einem babyblauen Himmel verwandelt.

Ich hatte schon ganz vergessen, wie schön dieses blaurosa Licht ist…!

Zum ersten Mal, nach all den Jahren, in denen wir mit Babys und Kleinkindern im blauen roten Mökki Winterurlaub gemacht hatten, konnten wir diesmal das wunderbare Loipennetz in der Umgebung wirklich nutzen, weil die Kinder endlich mehr als drei Kilometer schaffen. Wir glitten bei -15°C acht oder vierzehn oder achtzehn Kilometer auf perfekt gespurten Loipen durch dieses Zuckerwatteland, fernab der motorschlittenfahrenden oder schneeschuhschlurfenden Touristenhorden. (Ja, die gibt es leider auch schon wieder.) Ich konnte mich nicht entscheiden, ob das Licht zur Mittagszeit oder kurz nach Sonnenuntergang am schönsten war, und selbst die Loipenbeleuchtung, für die wir am Ende der Skitouren immer recht dankbar waren, hatte ihren ganz eigenen Zauber.

Neben den Loipen standen die Fichten in ihren Eispanzern – an einer Fichte können bis zu drei Tonnen Schnee kleben, las ich gerade – wie Stalagmiten. Oder wie verwunschene Fabelwesen: schlanke Prinzessinnen, Königinnen mit Krone auf dem Kopf, Zauberer im langen Umhang. Zu ihren Füssen spielten grossköpfige Fabeltierchen im Schnee, stand ein Weiblein mit verschränkten Armen und Hut auf dem Kopf, schlief ein Kind auf weichen Kissen.

Schon als wir vor ein paar Jahren die „Schneekönigin“ vom ZDF sahen, die ja zum Teil im finnischen Lappland gedreht ist, habe ich mich gefragt, warum in aller Welt sie das im März machen mussten, im gleissenden Sonnenlicht. Klar, vermutlich will niemand bei -20°C einen Film drehen, aber nichts hätte besser das Reich der Schneekönigin darstellen können als dieser Märchenwald in diesem blaurosa Zwielicht im Januar.

11:58 Uhr. Mittagssonne.

Nach drei Tagen wusste ich, dass ich diesen Märchenwald und dieses Licht den Rest des Winters schmerzlich vermissen würde. Den Rest diesen Winters und alle kommenden. Und so kam es, dass wir noch im blauen roten Mökki unseren nächsten Urlaub im blauen roten Mökki buchten.


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Der erholsamste Urlaub des Jahres

Das Wetter war nicht auf unserer Seite. Es wurde tatsächlich der wärmste Lapplandurlaub, den wir je erlebt haben. Keine Eislichter. Zwei Tage Nieselregen. Pappschnee, der Skifahren nahezu unmöglich machte.

Dafür schneite es dann, als es endlich wieder ein paar Grad kälter wurde, Rekordmengen. Wir mussten uns regelrecht von der Haustür aus ausgraben. Die Kinder schaufelten sich Schneehöhlen. Der Ähämann und ich machten – weil wir diesmal die Papaoma zum Kinderhüten dabeihatten – eine lang ersehnte Skitour, allerdings unter erschwerten Bedingungen: eine halbe Stunde, nachdem die Pistenraupe durch war, sah es wieder so aus, als ob sie nie dagewesen wäre, und nach der Hälfte der Tour wurde der Schnee wieder pappig.

Trotzdem hatten wir eine Woche sehr viel schöneren Winter, als wir in Turku gehabt hätten. Und zur Not kann man auch einfach eine Woche im Mökki abhängen: lesen, rodeln , Holz reinholen, Schularbeiten vorm Kamin machen, Schnee schippen, jeden Abend in die Sauna gehen, nichtstun.

Nur für den Faschingsdienstag – der hier „Rodeldienstag“ heisst und traditionell mit Schlittenfahren gefeiert wird, hatten sich die Kinder ein Programm gewünscht, und so fuhren wir in die nächste Kleinstadt, wo auf dem Parkplatz eines Sportgeschäftes ein riesiger Schneehügel zum Schlittenfahren aufgeschüttet war und der Einzelhandelsverband Würstchen und heissen Saft ausgab. Und für den Abreisetag hatten sie auch einen Wunsch: „Bittebitte, können wir wieder ins Arktikum gehen?!“

Erholsam wie kein anderer Urlaub. Nur von den Touristenzentren, die immer überlaufener werden, muss man sich fernhalten. Aber das klappt im Blauen Roten Mökki ganz gut.


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Rot statt Blau

Irgendwann unterhielt ich mich mal mit der liebsten Freundin darüber, warum sie jedes Mal an einen anderen Ort in den Urlaub fahren, und wir so oft wieder an den gleichen. „Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kind auch nie zweimal an den gleichen Ort gefahren bin, aber du deine Sommer- und Winterferien immer an den gleichen Orten verbracht hast“, sagte sie. Vielleicht stimmt das. Ich mag es jedenfalls sehr, an vertraute und liebgewonnene Orte zurückzukehren. Und so fahren wir auch seit elf Jahren in das gleiche Mökki nach Lappland.

Die Sehnsucht der Kinder kam über Jahre in genau drei Fragen zum Ausdruck: „Wann fahren wir mal wieder mit dem Schlafzug?“, „Wann fahren wir mal wieder nach Lappland?“ und „Wann fahren wir mal wieder ins Blaue Mökki?“

Im Blauen Mökkki waren wir schon, bevor wir Kinder hatten. Im Blauen Mökki hat das Fräulein Maus mit dem Löffel essen gelernt. Im Blauen Mökki ist der grosse Herr Maus zum ersten Mal gekrabbelt. Im Blauen Mökki habe ich den kleinen Herrn Maus vorm Kamin gestillt.

Im Blauen Mökki gab es ein Gitterbett, ein Hochstühlchen und eine Waschmaschine für die Stoffwindeln. Das Blaue Mökki war tatsächlich so etwas wie ein zweites Zuhause. Wenn auch nur für zwei Wochen im Jahr. Irgendwann, sagten wir jedes Mal, müssen wir auch mal im Sommer ins Blaue Mökki fahren. Oder ob uns da die Mücken auffressen würden?

Nun sind wir, seit wir ein Schulkind haben, nicht mehr nach Lappland gefahren. Weil in den Skiferien Zugtickets und Mökkimiete locker dreimal so hoch sind. Wenn man denn überhaupt noch einen Platz fürs Auto im Zug ergattern kann. Aber als die Sehnsucht der Kinder immer drängender und die Turkuer Winter immer grässlicher wurden, begannen wir doch wieder über einen Urlaub im Blauen Mökki nachzudenken. Vor den Skiferien. Schliesslich ist das in Finnland, wo es eine Bildungspflicht gibt, aber keine Schulpflicht, ja kein Ding mit einer Freistellung.

Nur das Blaue Mökki war nicht mehr auffindbar. Nicht bei dem Anbieter, über den wir es sonst immer gebucht hatten, und auch nicht anderswo. „Vielleicht ist es abgebrannt“, witzelte der Ähämann. Ich müsste mal den Esko anrufen und fragen, dachte ich monatelang. Als ich es endlich tun wollte und vorher nochmal nach dem Blauen Mökki suchte, fand ich unter dem gleichen Namen (nein, es heisst offiziell nicht Blaues Mökki) ein… huch… ganz anderes Mökki. Grösser. Ganz neu. Und nicht mehr blau, sondern rot. Mit sehr vielen Fragezeichen im Kopf rief ich bei Esko an, der mir erklärte, das Blaue Mökki sei vorletztes Frühjahr abgebrannt, aber es gäbe seit Herbst ein neues an der gleichen Stelle, und wir sollten ruhig kommen.

Das war sehr seltsam. So ein neues Haus am alten Platz. Obwohl wir alle dem Blauen Mökki nachtrauern, war es im… nun ja… brandneuen Roten Mökki schon sehr schön. So komfortabel. Und alles noch ganz neu. Und vor dem Mökki standen die gleichen dickbeschneiten Bäume und der gleiche hutzelige Holzschuppen und durch den Wald stapften immer noch Rentiere, Bartflechten von den Bäumen zupfend und bis zum Bauch im Schnee versinkend.

Letztendlich stimmt ja der Spruch auf dem Lampenschirm.


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Trübe Aussichten

Vermutlich wird das der wärmste und graueste Lapplandurlaub werden, den wir je erlebt haben.

(Immerhin muss ich mich, weil bei diesen Temperaturen meine Skier sowieso nicht rutschen, sondern dezimeterdick Schnee anpappen, auch nicht ärgern, dass ich mit der Schulter jetzt sowieso eher nicht skifahren kann.)

Oder vielleicht haben sich die Meteorologen auch geirrt.
Bittebitte.


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Am Strassenrand

In Lappland steht alle 10 km ein Schild am Strassenrand, das die Entfernung zur jeweils nächsten Kleinststadt herunterzählt. Nur, damit man weiss, dass da noch irgendwas kommt.

Auch in Lappland stehen kurz vor Ortsbeginn die üblichen riesigen Schilder, die für die Supermärkte der einen oder der anderen Kette Werbung machen: „S-Market: nur noch 2 km“, oder „K-Market: Kaffee und Pulla nur 1,50€“. In Lappland, da steht aber auch schon mal ein Werbeschild für den übernächsten Supermarkt am Strassenrand: „Nur 145 km / 90 min von hier!“

In Lappland heisst die Hauptstrasse einer Kleinststadt auch schon mal „Eismeerstrasse“.

Und nur in Lappland sieht man sowas:


”Der nördlichste Lidl der Welt”


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Sinn und Unsinn

Oder: Wie wir einmal fast von einer Pistenraupe abgeschleppt worden wären, die Aktion aber am Abschlepphaken scheiterte.

Irgendwas ist ja immer. Diesmal war die zuständige Schneefräse kaputt, und das Strässchen vor dem Mökki seit zwei Tagen nicht geräumt worden. Macht ja nichts, so fünfzehn Zentimeter Neuschnee, da kommen wir schon irgendwie weg, dachten wir am Abreisetag. Nicht bedenkend, dass Neuschnee seeeehr glatt ist, das Strässchen seeeehr steil nach oben führt und der Schneewall am Strassenrand seeeehr nah, zumindest näher als erwartet, war.

Da stand er dann, der Herr Picasso, und kam nicht vor und nicht zurück. Esko, nicht zum ersten Mal Retter in der Not, eilte auf unseren Notruf hin gleich mit der Pistenraupe, mit der er eben den Familienskihang in der Nähe für die anstehenden Skiferien vorbereitete, zu Hilfe.

Nur der Abschlepphaken am Herrn Picasso fand sich nicht. Weil der nämlich in irgendeiner Zubehörtasche irgendwo im Kofferraum (unter zwei Kubikmetern Klamotten, Kinderwagen, Schlitten und Handtüchern) untergebracht ist und erst angeschraubt werden muss.

Liebe Automobilhersteller, etwas Dümmeres und Unsinnigeres ist euch wohl nicht eingefallen?!

(Nächstes Projekt: Abschlepphaken suchen und im Handschuhfach deponieren.)


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Lappland ist anders

Sonntagabend in Sodankylä, 100 km nördlich des Polarkreises.

Wir brauchen Milch, dringend. Und tanken müssen wir auch. Dass Sonntag ist und die Läden heute schon 18:00 Uhr schliessen, ist uns erst aufgefallen, als wir schon unterwegs waren vom Mökki in die 40 km entfernte Stadt. Viel zu spät. Milch werden wir wohl an der Tankstelle kaufen müssen. Wir fahren schnell, trotzdem überholen uns ein Linienbus und diverse PKWs. Zum Glück fahren sonntags keine Holz-LKWs. Wenn so einer an einem vorbeigerauscht ist, kann man sekundenlang keinen Meter weit sehen, solche Schneewolken wirbeln die auf. Nicht, dass das den gemeinen lappländischen Autofahrer irgendwie beeindrucken würde. Unsereiner, aus „dem Süden“, geht doch jedes Mal vom Gas.

Punkt 18:00 lenkt der Ähämann den Herrn Picasso auf den Supermarktparkplatz. Ich springe aus dem Auto – versuchen kann man’s ja mal – und zu meiner grossen Verwunderung sind die Türen des Supermarktes weder verschlossen, noch hält mich irgendjemand zurück. Ich stürme in den Laden, zücke das Telefon, rufe den Ähämann an. „Mais!“, meldet er sich. „Und Orangensaft.“ „Okay“, sage ich, „bis gleich!“. Während ich zum Milchregal renne, begegnen mir mindestens noch fünf andere verspätete Einkäufer, die in aller Ruhe die Regale abwandern. Zehn nach um stehe ich an der Kasse und beobachte, wie eine Verkäuferin den Laden abläuft, um zu gucken, ob noch jemand drin ist. Mindestens noch drei Leute. Die Verkäuferin geht wieder. Ohne die drei Leute zu drängeln. „Im Süden“ wird schon ab einer halben Stunde vor Ladenschluss regelmässig ausgerufen, wieviel Zeit noch verbleibt bis zum Ladenschluss. Und ab mindestens fünf Minuten vorher sind alle Türen verschlossen. Da kann sich keiner mehr reinschleichen, so wie ich das gerade gemacht habe.

Noch etwas ist anders: Hinter der Kasse im lappländischen Supermarkt steht ein Kühlschrank. Obendrauf steht ein Schild: „Würmer und Maden zum Eisangeln“. Würmer kosten 5 Euro das Stück, eine Made 1,99. Hm.

Ich schleppe meine Milchpackungen, den Mais und den Orangensaft zum Auto, wo der Ähämann und die Mäusekinder „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielen. Vor einer Woche, als hier -35 Grad waren, standen auf dem Supermarktparkplatz lauter Autos mit laufendem Motor. Ohne jemanden drin. „Im Süden“ schliesst auch nicht jeder sein Auto ab. Aber sein Auto mit steckendem Zündschlüssel allein zu lassen, das finde selbst ich nach acht Jahren Finnland ziemlich mutig vertrauensvoll.

Wir fahren weiter zur Tankstelle. Auf dem Fussweg neben der Hauptstrasse zieht ein Skiläufer gemächlich dahin. Richtig, im Norden werden nämlich keine Tonnen von Streusand und Splitt auf die Fusswege gekippt. Damit die Omis und Opis sich gut auf ihren Tretschlitten fortbewegen können.

Vielleicht, denke ich dann und erinnere mich an meinen Winter in Konnevesi, vielleicht ist Lappland ja gar nicht so anders. Vielleicht ist es einfach nur bei uns „im Süden“ anders.