Das Fräulein Maus und ihre Harfe sind diese Woche auf einem Musiklager im Nachbarort.
Alle Teilnehmer, die nicht dort, sondern wie das Fräulein Maus zu Hause schlafen, sollten sich bitte schon bei der Anmeldung Essensmarken für alle Mahlzeiten, die sie dort essen wollten, bestellen. Das war ein bisschen schwierig zu entscheiden, weil zu dem Zeitpunkt noch keine Stundenpläne bekannt waren und sie vielleicht am Montag kein Mittagessen gebraucht hätte, weil es da erst mittags losgeht, oder vielleicht braucht sie eher keins am Sonntag, weil da zwar am Nachmittag Abschlusskonzert ist, aber der Vormittag vielleicht frei, und Abendbrot braucht sie eigentlich gar nicht, weil normalerweise vor um fünf Schluss ist, aber als ich sie gestern hinbringe, stellt sich raus, dass nach dem Abendbrot auch noch eine Orchesterprobe ist, ich ihr ja aber überhaupt kein Abendbrot bestellt habe, grosses Essensmarkendurcheinander jedenfalls. Ich darf die eine Essensmarke aber noch nachkaufen, und das Fräulein Maus bekommt sie zusammen mit ihren sechs Mittagessensmarken in einem – „Pass gut drauf auf!“ – Umschlag überreicht.
Als ich sie dann noch bis zum Eingang des Speisesaals begleite, steht da mutterseelenallein auf einem Stühlchen ein Körbchen für die Essensmarken. Zum Hineintun.

Und es würde niemand merken, nähme man sich stattdessen eine heraus. Oder ginge einfach ohne seine Essensmarke hineinzutun essen.
Aber das macht hierzulande ja niemand.
***
Nachdem wir das Fräulein Maus zum Musiklager gebracht haben, fahren die Herren Maus und ich aufs Erbeerfeld.
Der Erdbeermensch kommt uns gleich fröhlich winkend entgegen. „Darf man denn schon selber pflücken?“, frage ich. „Nee, noch nicht. Unsere Pflücker haben selbst gerade so genug zu tun.“ „Schade, aber dachte ich mir schon fast. Ab wann ungefähr wird man denn selber pflücken können?“ „Kann ich noch nicht sagen, ist ja alles so spät, dieses Jahr…“ „Ich frag‘ auch nur, weil wir nächste Woche in den Urlaub fahren und gerne vorher noch ein paar Erdbeeren pflücken wollten, aber…“ und ich komme gar nicht mehr dazu, den Satz mit „Ich würde dann eben auch einfach ein paar fertig gepflückte kaufen“ zu vollenden, denn der Erdbeermensch guckt die erwartungsvollen Herren Maus an, murmelt „Ach nächste Woche schon? Naja, da lässt sich vielleicht was einrichten…“ und weist uns ein paar Reihen „Rumba“ zum Pflücken zu.



***
Als wir wieder zu Hause sind, klingelt mein Telefon.
Als wir im März den Termin bei der Einwanderungsbehörde hatten, hatte der Ähämann vorher mehrmals überprüft, ob er auch alle Dokumente eingepackt hatte und mich mehrmals gefragt, ob ich mir sicher sei, dass an unserem Antrag jetzt alles eindeutig sei und wir wirklich nichts vergessen hatten auszufüllen. Ich war da sehr viel gelassener als vor jedem bisherigen Ausflug auf die deutsche Botschaft und versicherte dem Ähämann, die würden uns schon sagen, wenn wir noch was nachzureichen hätten oder irgendwas nicht eindeutig sei.
Am Telefon ist heute dann tatsächlich eine sehr nette und, das finde ich ja immer recht hilfreich, überaus deutlich sprechende Mitarbeiterin der Einwanderungsbehörde. Sie würde gerade unsere Anträge bearbeiten, und sie hätte zu meinem noch ein paar Fragen.
Unser jüngstes Kind zum Beispiel, das hätte gar keine Aufenthaltsgenehmigung, wie das denn käme? Das weiss ich leider auch nicht. Also nicht so genau. Nach der Geburt der beiden Grossen bekamen wir nämlich jeweils ein Schreiben, dass wir für sie eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen hätten. Ich weiss noch, dass ich, weil für den kleinen Herrn Maus kein solcher Brief kam, extra zur Polizei ging, und mir dort gesagt wurde, das sei nicht mehr nötig. Vielleicht hab‘ ich’s auch einfach falsch verstanden, es interessierte jedenfalls jahrelang niemanden. (Letztes Jahr fiel auch erst auf, dass der kleine Herr Maus hier überhaupt nicht als Deutscher registriert war. „Was machen wir denn da jetzt?!“, fragte ich ein wenig panisch. „Ach, da kommst du einfach mal mit seinem Pass vorbei, und dann tragen wir das nach, ist kein Ding!“, versicherte mir die nette Dame auf dem Maistraatti.) „Ja, also theoretisch braucht er schon eine Aufenthaltsgenehmigung, aber dann weiss ich ja jetzt bescheid, dass das keinen besonderen Grund hat, das reicht mir“, sagte die nette Mitarbeiterin der Einwanderungsbehörde.
„Jaaa, und dann ist mir noch aufgefallen, dass in deinem Pass Monika Karen, aber auf dem Antragsformular Karen Monika steht, ist das ein Fehler?“ „Nee“, sage ich lachend und erzähle ihr die ganze Geschichte und sie lacht auch und ich sage, darauf freue ich mich am meisten an einem finnischen Pass, dass da dann endlich mein richtiger Name drinstehen wird, „Aber echt mal!“, lacht sie zurück.
Und wo ich denn derzeit arbeiten würde, mein Arbeitsvertrag wäre ja befristet gewesen, und ob ich den letzten Zahlungsbescheid vom Arbeitslosengeld einfach nochmal an meinen Online-Antrag anhängen könnte, damit geklärt sei, wovon ich zur Zeit lebe.
„Mach‘ ich sofort!“, verspreche ich, und: „Was machen wir denn nun wegen der Aufenthaltsgenehmigung des kleinen Herrn Maus? Sollen wir die dann jetzt doch noch beantragen?“ „Ach Quatsch, das lohnt sich jetzt doch nicht mehr!“, sagt sie. Und dann frage ich noch, kurz bevor wir uns verabschieden, ob sie vielleicht so ungefähr schon sagen könne, wie lange es noch dauern würde mit unserem Antrag. Nicht mehr lange, sagt sie, ganz gewiss kein Jahr, niemals würde es für EU-Bürger so lange dauern! „Ach schön!“, sage ich, „Da wird es ja vielleicht doch was mit den Präsidentenwahlen im Januar!“ „Aber dicke“, sagt sie, „höchstens ein paar Tage dauert das noch!“