In diesen Zeiten muss man schnelle Entscheidungen treffen.
Wir hatten uns, nachdem unsere eigentlichen Urlaubspläne, dieses Jahr zum Glück eher unspektakulär, wegen Corona ins Wasser gefallen waren, schon darauf eingestellt, die Sommerferien in Finnland zu verbringen. Ganz eventuell, wenn die Situation es zuliesse – die finnische Regierung hatte von vornherein angekündigt, dass sie über die Lockerung der Reisebeschränkungen länderspezifisch je nach Entwicklung der jeweiligen Infektionszahlen entscheiden würde – dürften wir gegen Ende der Ferien vielleicht sogar nach Estland fahren.
Wir genossen den heissen Juni in Finnland, als alle anderen noch arbeiten gingen und die Ausflugsziele so leer waren wie im November. Und dann ging alles ganz schnell: Mitte Juni entschied die finnische Regierung, dass wir in sechs Länder fahren dürften, ohne hinterher in Quarantäne zu müssen – nach Estland, Lettland, Litauen, Dänemark, Norwegen und Island.
Ich las dem Ähämann – wir sassen gerade im Abendsonnenschein an einem See auf dem Rückweg von Hämeenlinna – die Nachrichten vor, und wir guckten uns an und sagten beide: „Dann fahren wir nach Island!“
Es ist nämlich so, dass wir seit Jahren nach Island wollten. Aber wer fährt schon freiwillig im kurzen finnischen Sommer in ein Land, in dem der Sommer noch kürzer und kälter ist?! Deshalb wollten wir seit Jahren dann doch nicht nach Island.
Zwei Tage später hatte der Ähämann Tickets bei zwei verschiedenen Fährgesellschaften gebucht, die isländischen Einreisebestimmungen recherchiert sowie ein Telefonat mit der dänischen Polizei geführt. Zwei Wochen später fuhren wir los.
Klar, Reisen durch mehrere Länder war schon mal einfacher.
Wir gingen auf der „Grace“ auf schnellstem Weg vom Autodeck in die Kabine. Mit Maske auf.
Wir machten in Schweden nicht wie sonst Pause bei IKEA und Reiseproviantgrosseinkauf im Supermarkt. Wir hielten noch nicht mal an einer Raststätte an. Wir fanden ein abgelegenes Naturschutzgebiet samt Waldklo am Vätternsee für die erste Pause, und einen abgelegenen See für die zweite. Dort füllten wir auch das obligatorische Online-Einreiseformular für Island aus, bezahlten schon mal den Coronatest für uns Erwachsene (Kinder unter 15 müssen nicht) und luden uns die isländische Corona-Tracking-App herunter, die jeder Tourist benutzen muss.
Dann fuhren wir über die grosse Brücke und erlebten zwischen Brücke und Tunnel an einer Behelfs-Grenzstation unsere erste Grenzkontrolle nach 30 Jahren. (Abgesehen von den paar Pro-Forma-Grenzkontrollen bei den Reisen nach Estland, bevor Estland zum Schengen-Gebiet gehörte, und der Reise durchs Baltikum und Polen in die Slowakei mit dem anderthalbjährigen Fräulein Maus, deren Passbild, aufgenommen im zarten Alter von ein paar Wochen, sämtlichen Grenzbeamten ein Lächeln entlockte.) Das ausgelieferte Gefühl war sofort wieder da; noch dazu, wo wir in der Vergangenheit keine besonders guten Erfahrungen mit den Dänen gemacht hatten. (Man hatte uns dort unter Anderem mal 500 Euro Strafe pro Person – ja, auch für jedes Kind! – angedroht, weil wir aus Versehen eine halbe Stunde zu früh in einen Regionalzug zwischen Kopenhagen und Lund gestiegen waren, was damit endete, dass wir Hals über Kopf in Malmö aus dem Zug flüchteten und schon dort in den Schnellzug nach Stockholm stiegen, was für die schwedische Bahn übrigens – „Das ist uns doch egal, ob ihr in Malmö oder in Lund umsteigt!“ – überhaupt kein Problem darstellte.) Der dänische Grenzbeamte aber war einer der netten Sorte, wollte weder Pässe noch Fährticket sehen und winkte uns nach einem kurzen Wortwechsel – „Ihr seid aus Finnland?“ „Ja.“ „Ihr könnt weiterfahren!“ – einfach durch.
Die dänischen Coronabestimmungen finde ich übrigens auch eher fragwürdig. Man darf derzeit entweder nur durchreisen – ohne die Möglichkeit irgendwo zu übernachten; auf dem Rückweg wurden wir bei der Einreise auch gleich prophylaktisch angeranzt, wir dürften ausschliesslich zum Tanken anhalten – oder man muss sechs Nächte bleiben. Das war eine der Sachen, die wir ohne Corona entspannter hätten haben können – dann hätten wir noch eine Zwischenübernachtung in Dänemark eingeschoben. So blieb uns nur, ein paar Stunden im Auto zu schlafen. Wir putzten unsere Zähne an einer Tankstelle, fanden einen netten Parkplatz am Skagerrak, machten es uns mit Kissen leidlich bequem und schliefen alle fünf in unseren Sitzen von kurz nach Mitternacht bis gegen halb sechs. Das war besser als erwartet. Und früh um sechs ganz allein im Morgenlicht in den Dünen und am Strand zu sein war wunderschön.
Die Rückreise gestaltete sich ähnlich kompliziert. Statt einer Zwischenübernachtung fuhren wir einfach die 1000 km und die Nacht durch. (Unerwarteterweise gab es noch eine Grenzkontrolle in Schweden, die aber sehr nett verlief: „Ihr seid eine Familie? Keine Hunde und Katzen dabei?“, wurden wir auf Schwedisch gefragt und dann lachend durchgewinkt.) Zum Glück wurde es erst kurz vor Mitternacht dunkel und schon gegen zwei wieder hell. Und ich habe noch nie so eine leere Autobahn erlebt. (Und die schwedischen Autobahnen sind immer leer!) Dann nahmen wir die Morgen- statt der Abendfähre von Stockholm, gingen noch im Hafen schlafen und schliefen bis Åland durch.
Dieses Jahr und genau jetzt nach Island zu fahren war trotzdem die beste Entscheidung des Jahres.
Auch deswegen, weil der finnische Sommer aufhörte, als wir wegfuhren. Und weil es nie wieder so leer sein wird in Island wie in diesem Sommer. Schon in unserer zweiten Woche dort war es deutlich voller als in der ersten. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es ist, wenn die normale Anzahl an Touristen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zieht…!
Demnächst wird’s hier jedenfalls viel Reiserückblick und viele Fotos geben.
Wenn ich ein paar Wäscheberge abgetragen habe.
Dienstag, 21. Juli 2020 um 16:54
Ich freu mich schon auf euren Reiserückblick und die Fotos! Wir waren in 2015 dort – in diesem Jahr gibt’s „Urlaub zu Hause“. LG Eva
Dienstag, 21. Juli 2020 um 17:03
Wir hatten uns auch schon auf Urlaub zu Hause eingestellt. Aber wer weiss, was noch kommt… dann haben wir lieber jede Chance genutzt. (Und ich glaube, Urlaub in Island war coronatechnisch ungefährlicher als Urlaub in Finnland, wo sich inzwischen allüberall die einheimischen Touristen stapeln.)
Dienstag, 21. Juli 2020 um 20:20
Großartige und bewundernswerte Entscheidung. Ich freue mich auf mehr.
Lieben Gruß, Slo
Dienstag, 21. Juli 2020 um 20:51
Dann hattet ihr ja noch einen schönen Urlaub ! Ich freue mich auf die Bilder ! (Nach Deutschland darf man von Finnland aus nicht ???)
Dienstag, 21. Juli 2020 um 22:13
Inzwischen ja. (Glaube ich. Ich bin grad nicht so ganz auf der Höhe der neuesten Nachrichten.) Vorher halt nur mit Quarantäne hinterher.
Dienstag, 21. Juli 2020 um 22:00
Da bin ich auf die Reiseberichte gespannt; die Anreise klang schon abenteuerlich…ein paar Fotos habe ich schon auf Instagram gesehen…es sah soooo toll aus! 👍🏻
LG Petra
Mittwoch, 22. Juli 2020 um 15:40
Schön noch Mal von dir zu hören. Ich freue mich schon auf bilderreiche Posts in den kommenden Tagen, wenn die Wäscheberge weg sind. Island ist auf meinem „Noch nicht besucht, aber möchte gern“-List.
Dienstag, 28. Juli 2020 um 08:49
Oh spannend, spannend. Ich bleibe ja in diesem Jahr in Deutschland. Aber sag mal, Island voll? Gut, ich war vor 10 Jahren dort. Von voll konnte da keine Rede sein. Hat sich das so geändert? Ich lese am besten gleich weiter
Dienstag, 28. Juli 2020 um 14:48
Also ich habe das zumindest von Leuten, die in den letzten Jahren, gern auch mehrmals, in Island waren, gehört. Ausserdem sahen wir die riesigen Parkplätze für Reisebusse (die jetzt zum Glück leer waren) und hörten, dass dieses Jahr nur 25% der üblichen Touristenzahl da war. Da möchte ich mir nicht ausmalen, wie es ohne Pandemie dort ist…